Sowohl bei der Mittäterschaft als auch bei der Beihilfe zum Mord können in Bezug auf die Strafbarkeit der Beteiligten Probleme ergeben. Dann kommt der § 28 StGB ins Spiel, weshalb es wichtig ist, dessen Systematik sowie den Anwendungsbereich zu verstehen.

 

Wann findet § 28 StGB Anwendung?

Normalerweise gilt bei Konstellationen mit mehreren Beteiligten an einer Tat der Grundsatz der Akzessorietät: Die Strafe des Teilnehmer richtet sich nach der Strafe des Täters, der Taterfolg wird dem Teilnehmer zugerechnet.

Liegen besondere persönliche Merkmale vor, wird dieser Grundsatz aber ausnahmsweise durchbrochen, vgl. § 28 StGB. Nach § 28 StGB gelten besondere Rechtsfolgen für das Vorliegen besonderer persönlicher Merkmale. Dabei muss zwischen täterbezogenen und tatbezogenen Merkmalen unterschieden werden.

§ 28 StGB findet nur für täterbezogene Merkmale Anwendung, gemeint sind solche Eigenschaften und Umstände und Gesinnungen, die den Täter näher charakterisieren. Tatbezogene Merkmale sind dagegen Umstände, die die objektive Beschaffenheit der Tat näher beschreiben, beispielsweise die Art und Weise der Tathandlung. Tatbezogene Merkmale sind nach dem oben genannten Grundsatz streng akzessorisch, liegen sie beim Täter vor, werden sie dem Teilnehmer zugerechnet. Für täterbezogene Merkmale (solche der 1. und 3. Gruppe des § 211 StGB) gilt § 28 StGB.

Kurzum: Liegen täterbezogene Merkmale bei einem Beteiligten vor, kommt § 28 StGB zur Anwendung.

Die Vorschrift besteht aus zwei Absätzen, die im Prüfungsaufbau an unterschiedlicher Stelle geprüft werden und die unterschiedliche Rechtsfolgen benennen und daher streng voneinander zu trennen sind.

 

§ 28 I StGB

Der § 28 I StGB findet auf strafbegründende persönliche Merkmale Anwendung. Die Vorschrift wird im Prüfungsschema nach der Schuld geprüft und ist unter der Überschrift der „Strafzumessung“ zu verorten. Die Rechtsfolge des § 28 I StGB ist nämlich, dass dem Teilnehmer die strafbegründenden persönlichen Merkmale zugerechnet werden, die Strafe aber nach § 49 I StGB zu mildern ist.

 

§ 28 II StGB

Der § 28 II StGB betrifft besondere persönliche Merkmale, die auf einem Grundtatbestand aufbauen und die Strafe schärfen, mildern oder entfallen lassen. Sie wirken damit strafmodifizierend. Die Rechtsfolge des § 28 II StGB ist, dass für die Strafbarkeit des Beteiligten nur seine jeweils verwirklichten strafmodifizierenden besonderen persönlichen Merkmale berücksichtigt werden (sog. Lehre von der Tatbestandsverschiebung). Aufgrund dessen ist § 28 II StGB im Rahmen des Tatbestands zu prüfen, nämlich nach der Prüfung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen.

 

Die Anwendung des § 28 StGB auf die Mordmerkmale des § 211 StGB

Nun gilt es, die Vorschrift des § 28 StGB im Zusammenhang mit den Mordmerkmalen des § 211 StGB zu betrachten.
Hier bezeichnet man die Merkmale der 2. Gruppe des § 211 StGB als tatbezogene Mordmerkmale. Auf sie ist § 28 StGB nicht anwendbar, da sie streng akzessorisch sind, also dem Teilnehmer zugerechnet werden.
Die Merkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 StGB werden als täterbezogen bezeichnet, auf sie findet die Vorschrift des § 28 StGB Anwendung.
Ob § 28 I StGB oder § 28 II StGB Anwendung findet, hängt vom Verhältnis zwischen Mord und Totschlag ab. Der Streit zwischen Rechtsprechung und herrschender Literatur über das Verhältnis von § 211 StGB und § 212 StGB ist seit jeher ein Standardstreit im Strafrecht.

Die Rechtsprechung geht bei § 211 StGB und § 212 StGB von zwei selbständigen, voneinander zu unterscheidenden Straftatbeständen aus. § 211 StGB ist also nach der Rechtsprechung nicht als Qualifikation zum § 212 StGB zu lesen. Die täterbezogenen Merkmale des § 211 StGB sind daher nach dieser Ansicht auch nicht strafschärfend, sondern strafbegründend, da § 211 ein eigenständiges Delikt darstellt. Damit findet bei der Rechtsprechung § 28 I StGB Anwendung.

Die herrschende Ansicht in der Literatur sagt hingegen, dass Mord und Totschlag in einem Qualifikationsverhältnis zueinander stehen, wobei § 211 StGB den Tatbestand des § 212 StGB qualifiziert. Alle Tatbestandsmerkmale des § 212 StGB seien auch in § 211 StGB enthalten, der § 211 StGB ginge nur quantitativ noch darüber hinaus.
Folgerichtig wird von der Literatur § 28 II StGB angewendet. Die täterbezogenen Merkmale des § 211 StGB sind nach dieser Ansicht nämlich strafmodifizierend.

Ihr Team der Akademie Kraatz und der Assessor Akademie

 

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