BVerwG, Beschluss vom 14.08.2024 - 6 VR 1.24: Compact Verbot auf dem Prüfstand
27.01.2025 | von Sander Singer
BVerwG, Beschluss vom 14.08.2024 - 6 VR 1.24
Im Eilverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es um die Frage, ob das Totalverbot des rechtsextremen Compact-Magazins (nach den Maßstäben des Eilverfahrens) rechtmäßig war.Sachverhalt der Entscheidung zum Compact-Verbot
Die Antragstellerin, ein 2010 gegründetes Unternehmen in Brandenburg, veröffentlicht das “COMPACT-Magazin für Souveränität” (40.000 Exemplare monatlich) sowie weitere Publikationen und betreibt Online-Formate wie “COMPACT.DerTag” auf YouTube.Am 5. Juni 2024 untersagte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) unter Berufung auf § 3 I S. 1 Alt. 2, § 17 Nr. 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 II Alt. 2 GG die Tätigkeit und Existenz der Antragstellerin, da sie als verfassungsfeindlich eingestuft wurden. Auch ordnete das BMI die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung an.
Das BMI argumentierte, dass die Vereinigung eine verfassungsfeindliche Grundhaltung zeigt und eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die verfassungsmäßige Ordnung einnähme, indem sie ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftsbild propagierte und fremdenfeindliche sowie antisemitische Positionen verbreitete.
Die Antragstellerin erhob am 24. Juli 2024 Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung und beantragte gleichzeitig vorläufigen Rechtsschutz. Sie argumentierte, das Verbot ziele auf ein Totalverbot der publizistischen Verbreitung des monatlichen COMPACT-Magazins sowie des YouTube-Kanals ab. Sie berief sich hierbei auf Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 I GG. Auch sei die Anwendung des Vereinsgesetzes unzulässig, da die Gesetzgebungskompetenz für das Presse- und Medienrecht bei den Bundesländern liegt. Außerdem sei die Antragsstellerin kein Verein iSd § 2 I VereinsG. Jedenfalls sei der Verbotsgrund des Sichrichtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung nicht erfüllt. Zudem halten sie das Verbot für unverhältnismäßig.
Vereinsgesetz
§ 3 Verbot(1) Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot). (…)
17 Wirtschaftsvereinigungen
Die Vorschriften dieses Gesetzes sind auf Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, konzessionierte Wirtschaftsvereine nach § 22 des Bürgerlichen Gesetzbuches, Europäische Gesellschaften, Genossenschaften, Europäische Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nur anzuwenden,
1. wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten oder
(…)
Wesentliche Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts
Das Vereinsgesetz ist auch auf Medienunternehmen anwendbar.Jedoch erweist sich das Totalverbot (nach dem Prüfungsmaßstab des Eilverfahrens) als unverhältnismäßig.
Bedeutung für Deine Jura Klausur
Der Beschluss befasst sich mit einer relevanten Sachverhaltskonstellation im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 80 V VwGO.Es geht um eine klassische Abwägungsfrage zwischen dem Interesse der sofortigen Vollziehung und der Pressefreiheit aus Art. 5 I S. 2 Alt. 1 GG. Der Beschluss eignet sich daher besonders gut für eine Klausur.
Zulässigkeit des Antrags nach § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO
Im Rahmen der Zulässigkeit ergaben sich hier keine wirklichen Probleme. Im Rahmen einer Examensklausur wird das JPA den Sachverhalt jedoch um die typischen Probleme eines Antrags nach § 80 V (z.B. Auslegung eines "schiefen" Antrags, Abgrenzung zu § 123 I VwGO, allgemeines Rechtsschutzbedürfnis und offensichtliche Unzulässigkeit der Hauptsache usw.) ergänzen.Begründetheit
Der Obersatz der Begründetheit bei einem Antrag nach § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO lautet wie folgt:Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung (nach § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO) formell rechtswidrig ist und/ oder eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Dies ist insbesondere dann gegeben, soweit der zugrunde liegende Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist.
Bezugnehmend hierauf führt das BVerwG (im Urteilsstil) aus:
[…] Dies folgt daraus, dass nach der in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Verbotsverfügung derzeit offen sind. Die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung dennoch aufrechtzuerhalten, wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung der Antragstellerin mit hinreichend gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen wäre. Dies ist nicht der Fall.
1. Durch die sofortige Vollziehung des Verbotes würde die vollständige Medientätigkeit verhindert. Weil aber gerade die Medientätigkeit den Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragsteller darstellt, überwiegt das Aussetzungsinteresse und Art. 5 I 2 Alt. 1 GG ist besonders zu berücksichtigen.
2. Dass das BMI anführt, dass die Medienerzeugnisse verfassungsfeindliche Inhalte verbreiten und genau deshalb verboten werden müssen, wird vom BVerwG nicht aufgegriffen. Vielmehr soll das Vereinsgesetz und seine Verbotstatbestände auch auf Medienunternehmen angewandt werden. Das hat besondere Auswirkung auf die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung:
Das Vereinsgesetz sieht mildere Mittel vor, zum Beispiel eine teilweise Einschränkung. Gerade hieraus ergibt sich, dass ein Totalverbot nicht uneingeschränkt standhalten muss.
3. Dass die Inhalte des Medienhauses zwar zum Teil die Menschenwürde aus Art. 1 I GG verletzen würden und die Rhetorik in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen impliziert, bestreitet das BVerwG nicht. Allerdings müsse gerade wegen der Relevanz von Art. 5 I GG die Verhältnismäßigkeit eines Totalverbots besonders sorgfältig aufgearbeitet werden. Auch wenn es sich hierbei noch um eine „summarische“ Prüfung handelt, zeichnet sich ab, dass die Begründung des BMI für eine andere Entscheidung in der Hauptsache nicht ausreicht.
Bewertung der Entscheidung: Vereinsverbot möglich, aber Meinungs- und Pressefreiheit beachten
Das Bundesverwaltungsgericht bejaht (in Übereinstimmung mit seiner umstrittenen „linksunten.indymedia“ Rechtsprechung, BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 - 6 A 1.19) die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf Medienunternehmen. Dennoch betont es die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit:Im Hinblick auf diese grundlegenden Grundrechte steigen die Anforderungen an ein Verbot im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung: Die verbotene Vereinigung muss durch den betreffenden Verbotsgrund des Vereinsgesetzes geprägt sein. Mithin darf es nicht nur zu einzelnen verfassungswidrigen Äußerungen bzw. sonstigen Verhaltensweisen der jeweiligen Vereinigung (hier: COMPACT) kommen. Des Weiteren misst das Gericht den Grundrechten auch in der Interessenabwägung des Eilverfahrens ein großes Gewicht bei.
Mithin kann man festhalten, dass das Vereinsgesetz zwar auch auf Vereine, die Medieninhalte herstellen, anwendbar ist. Jedoch ist eine Verbotsverfügung nach dem Vereinsgesetz im Hinblick auf die hohe Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit restriktiv zu handhaben.
Nicht nur angesichts ihrer Aktualität (zumal das Hauptverfahren noch läuft), sondern gerade aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Aspekte ist die vorliegende Entscheidung geradezu prädestiniert für eine Examensklausur.
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Relevante Lerninhalte
- Verfahren nach § 80 V VwGO
- Arbeit mit unbekanntem Gesetz (Vereinsgesetz; in der Klausur abgedruckt)
- Verfassungsrecht: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit
Relevante Rechtsprechung
- BVerwG, Beschluss vom 14.08.2024 - 6 VR 1.24
- BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 - 6 A 1.19 = BVerwGE 167, 293 = NVwZ-RR 2020, 738
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