Die Initiative iur.reform liefert Ende des Jahres 2022 empirische Daten zu möglichen Ausbildungsreformen.

 

Die Reformbedürftigkeit der juristischen Ausbildung und die Initiative iur.reform

Die juristische Ausbildung unterlag in den letzten 150 Jahren kaum Veränderungen. Das noch heutzutage praktizierte klassisch zweistufige Ausbildungsmodell basiert grundlegend auf einer 1869 in Preußen durchgeführten Ausbildungsreform. Indes nimmt der immer wiederkehrende Diskurs nach einer grundlegenden Reformierung der Jurist*innenausbildung nicht ab. So sei das derzeitige Ausbildungssystem veraltet und werde den Anforderungen an eine moderne juristische Ausbildung immer weniger gerecht. Eine Reform sei dringend angebracht. So jedenfalls die nahezu einhellige Meinung in einer Anhörung von Expert*innen im Deutschen Bundestag im Dezember 2020. Die Staatsexamina erfüllten zwar laut Professorin Barbara Dauner-Lieb ihren Grundzweck, jedoch werde es kaum bestritten, dass vor allem diese reformbedürftig seien. Anlass der Anhörung waren zwei Anträge bezüglich eines möglichen verstärkten Fokus auf Digitalisierung in der juristischen Ausbildung. Häufig genannte reformbedürfte Aspekte in der Diskussion betreffen etwa die Einführung eines (zusätzlichen) Bachelors, die Möglichkeit, bundesweit das Examen abschichten zu können (d. h. die Klausuren nach Rechtsgebieten über einen gestreckten Zeitraum zu schreiben), oder das sog. E-Examen, also die Möglichkeit, das Examen am Computer anzufertigen.

Doch trotz zahlreicher Reformvorschläge, eine grundlegende Reform selbst blieb stets aus. Der Gesetzgeber begnügte sich die letzten Jahrzehnte stattdessen oft mit kleineren Veränderungen, wie etwa der Einführung des Schwerpunktes im Jahr 2003 und einer damit einhergehenden Stärkung von Grundlagenfächern sowie Schlüsselqualifikationen. Erforderlich für eine wesentliche Reformierung der Jurist*innenausbildung wären jedoch großangelegte Studien, Konzeptentwürfe sowie Konferenzen unter Beteiligung aller juristischer Akteur*innen, welche fehlen. Dabei zeigte die letzte grundlegende Ausbildungsreform, die probeweise Einführung einer einstufigen Jurist*innenausbildung, welche durch die Tagung zur Krise der Juristischen Ausbildung in Loccum im Jahr 1968 ihren Anstoß fand.


 

Wer ist die Initiative „iur.reform“ und was sind die Ziele?

Die Initiative iur.reform setzt hier an und hat sich zum Ziel gesetzt, den zersplitterten Diskurs verschiedener Akteur*innen zur juristischen Ausbildung auf einer zentralen Plattform zu bündeln und anhand einer großangelegten Abstimmung unter Beteiligung von Studierenden, Absolvent*innen, Praktiker*innen, Lehrenden, Prüfungsämtern sowie politischen Entscheidungsträger*innen auszuwerten.

Dafür wurden über 250 Beiträge zur Reformdebatte aus dem Zeitraum von 2000 bis 2021 gesammelt und ausgewertet. 44 häufig diskutierte Vorschläge wurden in Thesenform zusammengefasst und wurden zwischen dem 17.01.2022 und dem 17.07.2022 in einer großen Abstimmung von Studierenden, Praktiker*innen, Lehrenden, Mitarbeiter*innen der Landesjustizprüfungsämter und den politischen Entscheidungsträger*innen, kurz: allen Akteur*innen bewertet. Derzeit läuft die Auswertung der Abstimmungsergebnisse, die in einer wissenschaftlichen Studie am Ende des Jahres 2022 veröffentlicht werden sollen.

Die Herangehensweise verfolgt einen wissenschaftlich offenen Ansatz. Iur.refom zielt nicht auf eine bestimmte Reform und hat keine Präferenz in Bezug auf die Ergebnisse. Die Abstimmung und ihre Ergebnisse stellen dabei das Herzstück von iur.reform dar. Sie werden flankiert von einem Informationsbereich auf der Webseite www.iur.reform.de. In dem Informationsbereich können die vorgeschlagenen Thesen sowie die in der Literatur vorgebrachten Pro- und Contra-Argumente eingesehen werden. Die Webseite soll damit auch zu einer Art Wiki für Reformvorschläge für die juristische Ausbildung werden. Hierbei haben die Akteur*innen auch die Möglichkeit eigene Reformvorschläge einzureichen, die über unsere Darstellung hinausgeht.

Mit diesem Vorgehen will die Initiative zwei Ziele erreichen. Erstens soll durch die Abstimmung über die vorgeschlagenen Reformthesen ein umfassendes Stimmungsbild erhoben werden. Es soll in Zukunft nicht mehr möglich sein unter Verweis auf die diffuse Debatte eine Reform nicht anzugehen.
Zweitens soll durch die Aufbereitung der Argumente aus der Literatur eine Debatte auf einer gemeinsamen Datengrundlage entstehen, in der alle an der juristischen Ausbildung beteiligten Personen gemeinsam über die bestehenden Vorschläge diskutieren.


 

Notwendigkeit eines gemeinsamen Diskurses

Wie dringend notwendig ein gemeinsamer, auf empirischen Daten fußender, Diskurs aller an der juristischen Ausbildung beteiligten Personen an einem Tische ist, zeigt jüngst der verunglückte Beitrag von Tiziana Chiusi zur Debatte um den sog. „integrierten Bachelor“ – eine Reformthese, welche die juristische Welt schon eine Weile kontrovers beschäftigt – und die Reaktionen darauf.

Unabhängig von der jeweiligen Meinung zur Reformbedürftigkeit der juristischen Ausbildung – Frau Chiusi ist hier Vertreterin einer sehr speziellen Mindermeinung –, funktioniert Meinungsaustausch nur durch respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe unter Berücksichtigung von Fakten. Die Art und Weise der Gesprächsführung in Medien und Öffentlichkeit zeitigte daher einen wesentlichen Punkt: Ein zersplitterter Diskurs, der polemisch und mittelbar über verschiedene Publikationsplattformen geführt wird, verhärtet die Fronten und macht eine Reform schwierig. Und nicht nur das, es bereitet auch Hürden dahingehend, überhaupt über eine ergebnisoffene Neugestaltung nachzudenken. Gleichzeitig ist die über Jahre hinweg gewachsene Unübersichtlichkeit der Forderungen jener, die nur die Reformwilligkeit deutlich eint, eine Herausforderung. Eine, die im Grundsatz einen schätzenswerten Effekt demokratischer Verhältnisse spiegelt: Viele Köpfe haben viele Ideen. Das ist Ausdruck pluralistischer Realität. Iur.Reform hat die Vielzahl der Stimmen geordnet, sortiert und so in Einzelthesen aufbereitet, dass ein Prozess der Evaluation der Rechtswissenschaften geschehen kann. Das Ergebnis der Umfrage soll dann herangezogen werden, um mit allen Ideen gemeinsam ins Gespräch zu treten; ungeachtet der jeweiligen Position zur Reformbedürftigkeit der juristischen Ausbildung.

Dieser Beitrag wurde verfasst von
iur.reform


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