Die Lehre vom dolus generalis (Jauchegrubefall)

Nach der Lehre vom dolus generalis wurden früher Fälle gelöst, in denen sich der Täter insofern über den Kausalverlauf irrt, als dass bei einem einheitlichen zweiaktigen Handlungsgeschehen der tatbestandliche Erfolg nicht bereits wie gewollt durch die erste Handlung verwirklicht wird, sondern ungewollt durch die zweite Handlung (im Jauchegrubenfall: Todesverursachung nicht durch Erwürgen, sondern erst durch das anschließende Versenken). Der Täter handelt hier nach der Lehre des dolus generalis bzgl. des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs vorsätzlich, da bei einem einheitlichen Handlungsgeschehen ein Generalvorsatz besteht. Es ist also nicht erforderlich, zwischen den beiden Handlungsakten zu differenzieren, vielmehr erstreckt sich der Vorsatz der ersten Handlung automatisch auf die zweite Handlung (Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 13 I 3 d).

Die Lehre vom dolus generalis ist jedoch abzulehnen, da sie eine unzulässige Fiktion zu Lasten des Täters darstellt. Schließlich handelt der Täter zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung gem. § 8 StGB in der Gestalt des zweiten Handlungsakts nicht vorsätzlich (Verstoß gegen das in Art. 103 II GG und § 1 StGB geregelte Analogieverbot). Der Vorsatz muss sich nach dem Simultanitätsprinzip / Koinzidenzprinzip i.S.d. § 8 StGB i.V.m. § 16 I StGB jedoch stets auf die konkrete Tathandlung beziehen und nicht auf das allgemeine Tatgeschehen an sich.

 

Alternativansicht 1:

Nach einer anderen Ansicht liegen bei Konstellationen eines einheitlichen zweiaktigen Handlungsgeschehens zwei selbstständige Handlungen in Tatmehrheit gem. § 53 StGB vor. Bezüglich der ersten Tathandlung liegt eine versuchte Tötung und bzgl. der zweiten Tathandlung eine fahrlässige Tötung vor (Backmann, JuS 1972, 196, 199). Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass sie nicht berücksichtigt, dass die beiden Teilakte (im Jauchegrubenfall: Würgen und Versenken) nicht beziehungslos zueinander stehen. Ein einheitliches Geschehen würde also willkürlich auseinandergerissen.

 

Alternativansicht 2: 

Nach einer weiteren Ansicht (Rspr.) ist an die mit Tötungsvorsatz begangene Ersthandlung anzuknüpfen und zu fragen, ob danach eine wesentliche oder nur unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vorliegt. Da nicht alle Einzelheiten eines Geschehensablaufs vorhersehbar sind, schließen unwesentliche Abweichungen, die sich in den Grenzen des nach der allgemeinen Lebenserfahrung Vorhersehbaren halten, den Vorsatz nicht aus. Die im Jauchegrubenfall auftretende Abweichung ist als vorhersehbar einzuschätzen, mithin handelte der Täter in diesem Fall bzgl. der Tötung vorsätzlich (BGHSt 14, 193, 194).

 

Stellungnahme: 

Der letztgenannten Ansicht ist aus rechtsdogmatischen Gründen zu folgen. Die Fiktion eines Generalvorsatzes ist zum einen nicht zulässig und zum anderen auch gar nicht erforderlich, um das Geschehen strafrechtlich angemessen zu würdigen. Die Annahme zweier selbstständiger Tathandlungen wiederum würde zu einer nicht sachgerechten getrennten strafrechtlichen Behandlung der streitgegenständlichen Teilakte führen.

Sehen Sie sich hierzu auch unser entsprechendes YouTube-Video an:

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Hendrik Heinze
Mitgeschäftsführender Gesellschafter der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR


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