Grundsatz umfassender Sachverhaltsaufklärung, § 244 II StPO

Zu den strafprozessrechtlichen Grundsätzen gehören der Grundsatz umfassender Sachverhaltsaufklärung. Dieser gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Wahrheit um jeden Preis zu ermitteln. Gleichwohl bilden Beweisverwertungsverbote die Ausnahme vom Grundsatz der umfassenden Sachverhaltsaufklärung.

 

Einschränkung dieses Grundsatzes durch Verfahrensvorschriften

Solche können ggfs. zu Verwertungsverboten führen. Das Gericht unterliegt gem. § 244 II StPO der Pflicht zur Amtsaufklärung, d.h. es hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Diese Pflicht erstreckt sich jedoch nur auf die in rechtlich unanfechtbarer Weise gewonnenen Beweismittel. Unverwertbar sind im Strafverfahren nämlich solche Aussagen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind, wenn diese im Einzelfall schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung.

 

Das Recht des Beschuldigten auf einen Verteidiger in jeder Lage des Verfahrens

Nach § 137 Abs. 1 S. 1 StPO kann sich der Beschuldigte „in jeder Lage des Verfahrens“ des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Bei der polizeilichen Vernehmung ist er gem. § 136 Abs. 1 S. 2 iVm § 163 a Abs. 4 S. 2 StPO darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, „jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu beauftragen“. Daher ist die Vernehmung zu unterbrechen, wenn der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger sprechen will. Wenn der Polizeibeamte die Vernehmung dennoch fortsetzen möchte, braucht es hierfür nach erneuter Aufklärung über sein Recht auf Konsultation eines Verteidigers der ausdrücklichen Einverständniserklärung des zu Vernehmenden, dass er von seinem Recht zur Zuziehung eines Verteidigers nicht Gebrauch mache.
Zwingt ein Polizeibeamter den Beschuldigten zur Fortsetzung der Vernehmung, bis der Sachverhalt vollends aufgeklärt sei, verstößt er damit gegen die oben genannten Vorschriften (§ 136 Abs. 1 S. 2 iVm § 163 a Abs. 4 S. 2 StPO).

 

Liegt bei Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Polizeibeamten ein Verwertungsverbot vor?

Ob diese gesetzeswidrige Vorgehensweise der Polizei die Aussage des Beschuldigten unverwertbar macht, ist der StPO nicht zu entnehmen. Nicht jeder Fehler bei der Beweiserhebung begründet ohne weiteres das Verbot, das verfahrenswidrig erlangte Beweismittel zum Nachteil des Beschuldigten zu verwerten. Zwischen Aufklärungsinteresse und dem Grundsatz des fairen Verfahrens ist die Entscheidung, ob ein Verwertungsverbot vorliegt oder nicht, nach der herrschenden Abwägungslehre aufgrund einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen zu treffen. Die vereinzelten – hier aber nicht einschlägigen – Verwertungsverbote in §§ 108 Abs. 2, 136 a Abs. 3 S. 2 StPO enthalten keine abschließende Regelung.

 

Abwägung faires Verfahren - Interesse an der Wahrheitsfindung im Strafprozess

Ein Verwertungsverbot ist vorliegend also dann anzunehmen, wenn das Interesse an der Einhaltung der StPO-Normen, die für ein faires Verfahren sorgen sollen, in ihrer Gewichtigkeit der Wahrheitsfindung im Strafprozess im vorliegenden Fall unterlegen sind. Ein Verwertungsverbot liegt immer nahe, wenn die verletzten Verfahrensvorschriften dazu bestimmt sind, die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern. Die Verteidigung des Beschuldigten hat im Strafverfahren eine große Bedeutung für die Fairness des Verfahrens, vgl. Art. 6 Abs. 3c EMRK, da der Beschuldigte in dieser Situation ansonsten dem Strafverfolgungsapparat schutzlos ausgeliefert ist. Seine Stellung ist daher schon dann beeinträchtigt, wenn sein Wunsch, vor Vernehmung einen Verteidiger zu befragten, missachtet oder wirksam unterlaufen wird.

Daher sind die Angaben des Beschuldigten bei seiner polizeilichen Vernehmung bei Vereitelung der Konsultation eines Verteidigers unverwertbar.

 

Strafprozessrecht in der Examensklausur

In strafrechtlichen Examensklausuren haben Sie es regelmäßig mit StPO-Zusatzfragen zu tun. Diese können einen nicht unerheblichen Teil ihrer Klausurbewertung ausmachen, runden einen gelungenen materiellen ggfs. Teil gut ab oder gleicht einen weniger gut gelungenen materiellen Klausurteil im Zweifel hinreichend aus. Deshalb sollten Sie hier nicht auf Lücke lernen!

Für einen weiteren Examens-„Klassiker“ auf dem Gebiet des Strafprozessrechts, schauen Sie sich gerne auch unseren letzten Blogbeitrag zum Thema Verstoß gegen § 252 StPO bei Vernehmung des Ermittlungsrichters? an.

Ihr Team der Akademie Kraatz und der Assessor Akademie

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