Lohn- und Leistungsgefahr im Arbeitsrecht

25.10.2024 I Sophie Goldenbogen



In den letzten Blockbeiträgen haben wir die Leistungs- und Preisgefahr im Kaufrecht sowie die Herstellungs- und Vergütungsgefahr im Werkrecht kennengelernt. Bei diesen Begriffspaaren geht es unter anderem darum, wie es sich verhält, wenn es im Rahmen der Leistungsabwicklung dazu kommt, dass die Leistungserbringung für eine der Parteien unmöglich wird. Typischerweise geht in den Klausuren die Kaufsache vor der Übereignung kaputt oder das bereits hergestellte Werk verbrennt vor der Abnahme durch den Besteller. Heute wollen wir uns die gleiche Problematik im Dienstrecht und noch spezieller im Arbeitsrecht ansehen.

Der Fall

Betrachten wir hierzu einen einfachen Fall. Der Arbeitnehmer N fordert von seinem Arbeitgeber G den Lohn für einen verstrichenen Arbeitstag, ohne aber selbst gearbeitet zu haben. Der Grund: N ist deshalb am Morgen nicht zur Arbeit erschienen, weil der Verkehr im gesamten Stadtgebiet durch einen Streik bei der Verkehrsbetriebe lahmgelegt wurde.
Wie ist die Rechtslage?

Die Wiederholbarkeit der Arbeitsleistung

Wie auch schon im Kauf- und Werkrecht beschäftigen wir uns nicht gleich mit der Frage, ob der Arbeitnehmer den Lohn bekommt. Wir haben uns ja auch in den anderen Fällen nicht immer gleich auf die Frage gestürzt, ob der Verkäufer noch sein Geld bekommt oder ob der Werkunternehmer seinen Lohn erhält. Stattdessen haben wir uns immer erst damit beschäftigt, ob die eigentliche Leistung, die der Anspruchssteller erbringen müsste, überhaupt noch möglich ist. Im Kaufrecht spielt hier nun die Unterscheidung von Stück- (dann unmöglich) und Gattungsschuld (nur unmöglich bei Konkretisierung) eine Rolle. Im Werkrecht ging es um die Abgrenzung einer wiederholbaren (dann nicht unmöglich) von einer nicht-wiederholbaren (dann unmöglichen) Leistung. Im Dienstrecht ist das ganz ähnlich. Auch hier tritt grundsätzlich keine Unmöglichkeit ein, wenn die aus dem Dienstvertrag geschuldete Leistung sinnvoll noch wiederholbar ist. Mit dem bloßen Verstreichen des vereinbarten Termins, an dem die Dienstleistung hätte, erbracht werden sollen, tritt nicht automatisch Unmöglichkeit ein.
Im Arbeitsrecht ist das aber anders. Die Arbeitsleistung ist quasi eine Art Stückschuld. Genauer gesagt: Die Erbringung der Arbeitsleistung ist ein absolutes Fixgeschäft. Der Arbeitnehmer muss genau an diesem Tag seine Arbeitsleistung erbringen. Wenn er das nicht tut, so ist die Arbeitsleistung nicht nachholbar. Es tritt also mit Ablauf des Arbeitstages Unmöglichkeit in Bezug auf die Erbringung der Arbeitsleistung ein. Für unseren Fall bedeutet das folgendes: Weil N am Arbeitstag nicht gekommen ist, ist mit dem Ablauf des Arbeitstages die Erbringung seiner Arbeitsleistung (für diesen Tag) unmöglich geworden. Er muss die Arbeit auch nicht nachholen (muss aber natürlich am nächsten Tag ganz normal wieder zur Arbeit erscheinen).

Das Schicksal der Gegenleistung

Es ist nun wie im Kaufrecht: mit der Feststellung, dass der Anspruch des Käufers auf die Kaufsache gemäß § 275 Abs. 1 BGB untergegangen ist, geht (bei gegenseitigen Verträgen) immer auch die Rechtsfolge einher, dass gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auch der Anspruch des Verkäufers auf den Kaufpreis erlischt. Und so ist es jetzt auch im Arbeitsrecht. Der Arbeitnehmer verliert eigentlich gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB seinen Anspruch auf den Arbeitslohn. Der Arbeitgeber trägt also zwar die Leistungsgefahr, der Arbeitnehmer im Gegenzug aber die Lohngefahr. Oder anders ausgedrückt: Ohne Arbeit, kein Lohn. 

Die Ausnahme

Die Lohngefahr liegt also beim Arbeitnehmer, genauso wie die Preisgefahr beim Verkäufer oder die Vergütungsgefahr beim Werkunternehmer lag. Wir haben aber gelernt, dass es sogenannte „Ostervorschriften“ gibt. Der Gedanke: Der eigentlich verloren geglaubte Anspruch wird doch aufrecht erhalten! In Kaufrecht gibt es hierfür etwa den § 446 S. 3 BGB oder § 447 BGB, im Werkrecht §§ 644, 645 BGB. Natürlich greift immer auch § 326 Abs. 2 BGB. Im Arbeitsrecht übernimmt diese Funktion vor allem § 615 BGB. Die Norm ist hier aber nicht einschlägig, da sie nur solche Risiken erfasst, die nicht bereits der Arbeitnehmer tragen muss. Der Arbeitnehmer trägt aber grundsätzlich das sogenannte Wegerisiko. Vor allem unterfällt das Wegerisiko nicht § 616 S. 1 BGB, die eine weitere Lohngefahrvorschrift ist. Fälle, die man unter § 616 S. 1 BGB subsumieren könnte, wären etwa der Todesfall in der Familie des Arbeitnehmers oder eine seltene Familienfeier. Auch die Pflege eines erkrankten Kindes gehört hierzu. In all diesen Fällen behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf den Lohn, obwohl er selbst wegen eines solchen Grundes die Arbeitsleistung nicht erbracht hat. Die Lohngefahr ist in solchen Fällen beim Arbeitgeber.
Zurück zu unseren Fall. Es bleibt dabei: ohne Arbeit, kein Lohn für N.

Fazit

Damit sind wir am Ende unserer kleinen Reihe rund um die Leistungs- und Preisgefahr. Wir haben gesehen, dass man gut unterscheiden muss zwischen der Frage, ob es für eine Person nicht mehr möglich ist, die Leistung zu erbringen und der daraus folgenden Konsequenz, dass man deshalb gegebenenfalls selbst nichts mehr bekommt. All das gilt natürlich nur bei sogenannten gegenseitigen Verträgen, die man auch synallagmatische Verträge nennt. Denn nur auf diese Verträge sind §§ 320 ff. BGB, und damit auch § 326 BGB, anwendbar.
Solltet Ihr Euch im Zivilrecht noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Sophie Goldenbogen
 


RSS Feed abonnieren