Die Prüfung von Freiheitsgrundrechten in Deiner Jura Klausur

11.09.2024 | von Dr. Robert König

Freiheitsgrundrechte in juristischen Prüfungen

Die Prüfung von Grundrechten ist ein zentraler Bestandteil der juristischen Ausbildung und spielt in vielen Klausuren des öffentlichen Rechts eine wichtige Rolle. Neben der klassischen Grundrechtsklausur sind die Grundrechte auch im allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht von Relevanz – insbesondere im Rahmen der Ermessensprüfung (vgl. § 114 VwGO).
In diesem Blogartikel werden wir uns eingehend mit der Prüfung von (Freiheits-)Grundrechten in juristischen Klausuren befassen. Hierbei geht es um den typischen Klausurfall, in welchem das Grundrecht in seiner Funktion als Abwehrrecht des Bürgers gegen Eingriffe des Staates relevant wird.
Hinweis: Dieses Prüfungsschema gilt daher nicht für grundrechtliche Leistungsrechte, welche sich aus der Funktion der Grundrechte als Schutz-, Leistungs- und Teilhaberecht ableiten lassen (siehe hierzu Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 486).

Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte (Abwehrrecht)

Die materiell-rechtliche Prüfung eines Eingriffs in ein Freiheitsgrundrecht erfolgt immer entlang des folgenden Schemas:

1. Schutzbereich

Die Prüfung eines Grundrechts beginnt immer mit der Feststellung des Schutzbereichs. Der Schutzbereich umfasst den grundrechtlich geschützten Lebensbereich und unterteilt sich in den sachlichen und persönlichen Schutzbereich.
a) Persönlicher Schutzbereich
Der persönliche Schutzbereich bestimmt, welche Personengruppen vom jeweiligen Grundrecht geschützt werden. Grds. unterscheidet man zwischen sog. Jedermann-Grundrechten (z.B. Art. 4 GG), auf die sich jeder Mensch berufen kann, und Deutschen-Grundrechten (z.B. Art. 8 GG), die grds. nur deutschen Staatsbürgern zustehen.
Hinweis: Auch juristische Personen können sich unter den Voraussetzungen des Art. 19 III GG auf einzelne Grundrechte berufen.
b) Sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich definiert denjenigen Lebenssachverhalt, den ein Grundrecht umfasst und den es schützt. Art. 5 I S. 1 Alt. 1 GG schützt z.B. in sachlicher Hinsicht die Meinungsfreiheit. Dies ist – grob gesagt – die Freiheit, eine Meinung zu bilden und kundzutun.
Tipp: Um den Schutzbereich korrekt zu definieren, ist es entscheidend, das jeweilige Grundrecht genau zu kennen. Da die Schutzbereiche der Grundrechte individuell verschieden sind, bietet es sich hier an, dass die Schutzbereiche dementsprechend schlichtweg auswendig gelernt werden. Ein tiefgreifendes Verständnis ist oftmals nicht erforderlich, sondern beschränkt sich auf das Auswendiglernen von Definitionen und entsprechenden Meinungsstreitigkeiten in den jeweiligen Schutzbereichen. In der Klausur muss man dann „nur“ den Sachverhalt unter dieses präsente Wissen subsumieren.

2. Eingriff in den Schutzbereich

Nachdem der Schutzbereich identifiziert wurde, prüft man, ob ein Eingriff in diesen Schutzbereich vorliegt.
Ein Eingriff kann unterschiedliche Formen annehmen, zum Beispiel durch Gesetze, Verordnungen oder behördliches Handeln, welche die Ausübung des grundrechtlichen geschützten Verhaltens beeinträchtigen. Auch Gerichtsurteile können einen Eingriff darstellen (sog. Urteilsverfassungsbeschwerde).
Tipp: Achte darauf, dass Du den Eingriff klar und präzise beschreibst. Werte alle Sachverhaltsangaben der Klausur genau aus, um den Eingriff präzise zu bestimmen und festzulegen.
a) Der klassische Eingriffsbegriff
Für den klassischen Eingriffsbegriff bietet sich eine einfache Eselsbrücke an. Der sog. FURZ. Was heißt das nun? Das bedeutet, dass der Eingriff final, unmittelbar, rechtsförmlich und ggf. zwangsweise durchsetzbar das entsprechende Grundrecht beschränkt.
Ein Beispiel dafür ist die Beschlagnahme von persönlichem Eigentum durch staatliche Behörden, die einen klassischen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 I GG darstellt.
b) Der moderne Eingriffsbegriff
Der moderne Eingriffsbegriff ist weiter gefasst. Als Unterfälle sind auch die mittelbaren Eingriffe in Grundrechte erfasst.
Nach dem modernen Grundrechtseingriff liegt ein Eingriff vor, wenn grundrechtlich geschütztes Verhalten erschwert oder gänzlich unmöglich gemacht wird. Ein mittelbarer Eingriff liegt dann vor, wenn er mit dem direkten Eingriff als funktionales Äquivalent vergleichbar ist und daher wie ein direkter Eingriff behandelt werden muss.
Z. B. könnte eine Äußerung eines Hoheitsträgers (z. B. Warnung eines Ministers) einen mittelbaren Eingriff oder die Observation durch Polizeibeamte einen Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff darstellen.
Der moderne Eingriffsbegriff hat sich entwickelt, um den veränderten gesellschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, in denen Grundrechte ausgeübt werden. Er erweitert die Möglichkeiten für Bürger, Grundrechtsverletzungen geltend zu machen, auch wenn diese nicht unmittelbar physischer Natur sind.
c) Bedeutung für die Klausur
In juristischen Klausuren und der Praxis des Verfassungsrechts ist es wichtig, zwischen dem klassischen und modernen Eingriffsbegriff zu unterscheiden und zu erkennen, wie sie auf unterschiedliche Sachverhalte angewendet werden können. Wenn beide Begriffe (insbesondere im Fall eines belastenden Verwaltungsakts oder eines belastenden Gerichtsurteils) einen Eingriff bejahen, ist eine Streitentscheidung natürlich obsolet.
Tipp für Referendare: Solltest Du in einer Klausur im 2. Examen einen Eingriff in ein Grundrecht prüfen müssen, z.B. im Rahmen des Ermessens, stellst Du ohne Darstellung des Meinungsstreits direkt auf den modernen Eingriffsbegriff ab.

3. Die verfassungsmäßige Rechtfertigung des Eingriffs

Sobald Du festgestellt hast, dass ein Eingriff vorliegt, musst Du prüfen, ob dieser verfassungsmäßig gerechtfertigt ist.
a) Schranke
Zunächst ist eine Schranke zu ermitteln, welche eine Grundlage darstellt, aufgrund derer in das Grundrecht eingegriffen wird. Jedes Grundrecht hat unterschiedliche Schranken.
Die wichtigsten Schranken sind folgende:
  • Allgemeiner Gesetzesvorbehalt (z. B. Art. 8 II GG)
  • Qualifizierter Gesetzesvorbehalt (z. B. Art. 5 II GG)
  • Verfassungsimmanente Schranken (Grundrechte Dritter, Rechtsgüter von Verfassungsrang)
Das Versammlungsgrundrecht gemäß Art. 8 I GG unterliegt etwa dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt nach Art. 8 II GG. Die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 I S. 1 Alt. 1 GG z. B. unterliegt dem sog. qualifizierten Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 5 II GG (Schrankentrias). Die Glaubensfreiheit nach Art. 4 I, II GG unterliegt lediglich den verfassungsimmanenten Schranken.
b) Schranken-Schranken
Weiterer Prüfungspunkt sind dann die sog. Schranken-Schranken. Das bedeutet, dass der Hoheitsträger nicht zügellos in das Grundrecht eingreifen darf. Der Name Schranken-Schranke kommt daher, dass diese Grundsätze die Schranke (i.d.R. also das in die Grundrechte eingreifende Gesetz) wiederum beschränken.
Die wichtigste Schranken-Schranke ist der sog. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Daneben solltest Du aber auch die folgenden kennen:
  • Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 20 III GG und für Strafgesetze Art. 103 II GG)
  • Zitiergebot (Art. 19 I S. 2 GG)
  • Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I S. 1GG)
Manche Grundrechte enthalten daneben noch eigenständige, besondere Schranken-Schranken (z.B. das Zensurverbot in Art. 5 III GG für die Meinungsfreiheit).
Tipp: Strukturiere Deine Klausur deutlich nach dem Schema Schutzbereich, Eingriff, verfassungsrechtliche Rechtfertigung und bilde entsprechende Obersätze. Beispiel: „Eine Verletzung des Grundrechts XYZ liegt vor, wenn ein Eingriff in den eröffneten Schutzbereich vorliegt, der nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.“
Dies verleiht Deiner Klausur Struktur und wird positiv seitens des Prüfers honoriert.

Fazit zur Prüfung eines Abwehrrechts

Die Prüfung von Grundrechten ist eine grundlegende Fertigkeit in der juristischen Ausbildung und Praxis. Die korrekte Prüfung von Schutzbereich, Eingriff und verfassungsmäßiger Rechtfertigung ist entscheidend, um in juristischen Klausuren erfolgreich zu sein. Mit einer klaren Struktur und präzisen Argumenten kannst Du Deine Chancen auf eine gute Note erheblich verbessern. Schreib regelmäßig Übungsklausuren, um Deine Fähigkeiten in der Grundrechtsprüfung zu verfeinern, und bleib auf dem Laufenden über aktuelle Entwicklungen im Verfassungsrecht. Oftmals liegt der Schwerpunkt der Prüfung auf der Verhältnismäßigkeit. Hier kann man durch das Üben und Schreiben von Klausuren eine Routine entwickeln und gute Argumentationstechniken erlernen.
Am besten gelingt Dir dies mithilfe unseres effektiven Einzel- und Kleingruppenunterrichts. Egal, ob im Jurastudium (Akademie Kraatz) oder Referendariat (Assessor Akademie): Die Kraatz Group ist seit über 20 Jahren Dein verlässlicher Partner vom 1. Semester bis 2. Staatsexamen. Melde Dich bei uns (gerne auch per Kontaktformular) für Deinen kostenlosen Beratungstermin.

Dr. Robert König
Mitgeschäftsführer Jura Essentials Verlag
 


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