„Lover auf dem Kühlergrill“ BGH,
Urteil. v. 20.06.2024– Az. 4 StR 15/24
12.10.2024 | von Sander Singer
Sachverhalt
Anfang 2022 erfuhr der Angeklagte T, dass seine Mutter seinem Vater mit O fremd ging. Hierin sah T die Kränkung der Familienehre und eine Herabwürdigung seines Vaters. Die Eltern stritten sich wegen der Beziehung fast täglich. Der T teilte dem Liebhaber seiner Mutter mit, dass dieser sich von seiner Familie fernhalten solle, weil es sonst „schlimm“ für ihn werde. Am 02. Januar 2023 fuhr der T mit dem Auto seines Vaters, unter Begleitung eines Bekannten, durch die Stadt. Der Beifahrer erkannte O, der mit einer zweiten Person, H, unterwegs war. Er wies den T auf die beiden Personen hin. Dieser hielt daraufhin an, wendete und fuhr über den Bürgersteig von hinten auf O und H zu. H hatte das Wenden bemerkt, war aber davon ausgegangen, dass der Wagen einen Parkplatz gesucht hatte. T fuhr mit durchgetretenem Gaspedal von hinten auf O und H zu. Das Aufheulen des Motors war sowohl T, als auch O und H bewusst, die sich allerdings nicht umdrehten. T kollidierte mit 38km/h ungebremst mit dem O. Er beabsichtigte, dabei den O zu treffen und ihn erheblich zu verletzen. Dessen Tod sowie den Tod oder erhebliche Verletzungen der H nahm der T billigend in Kauf. O wurde rücklinks auf das Fahrzeug geschleudert und prallte mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe. Nach einer Strecke von 13 Metern stürzte er auf einen nebenstehenden PKW und kam sodann auf dem Gehweg zum Liegen. T fuhr weiter, obschon er die potenziell tödlichen Verletzungen der beiden Geschädigten wahrnahm. Der O erlitt Hautabschürfungen, blaue Flecken und einen Teilabriss des linken Ohrs sowie eine Verletzung am Zeh. Alle Verletzungen heilten vollständig aus. Die Jugendkammer des Landgerichts hatte den T wegen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen mit Sachbeschädigung in fünf Fällen verurteilt. Heimtücke hat es mit der Begründung abgelehnt, dass der T nicht mit dem nötigen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe, weil er damit rechnen musste, dass die Geschädigten sein Fahrzeug wegen des aufheulenden Motors und des Scheinwerferlichts wahrnehmen würden. Ein Handeln aus niederen Beweggründen wurde verworfen, weil nicht auszuschließen ist, dass der T aus Angst und Verzweiflung darum, dass seine Familie auseinanderbrechen könnte, gehandelt habe.
Entscheidung
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.2. Die Begründung des LG, mit dem es die Heimtücke abgelehnt hat, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Bedeutung für die Klausur
1. Der tatbestandliche Erfolg ist ausgeblieben, die Versuchsstrafbarkeit von Mord §§ 212, 211 StGB ergibt sich aus §§ 12 I, 23 I StGB.2. Der Täter müsste Vorsatz hinsichtlich aller objektiver unter Vorliegen aller subjektiver Tatbestandsmerkmale beweisen, Tatentschluss haben. Hier liegt das Problem des Falles und die Abweichung zwischen dem LG und dem BGH: Der Täter müsste Vorsatz hinsichtlich einer heimtückischen Begehungsweise haben. Heimtückisch tötet, wer in feindlicher Willensrichtung, die auf der Arglosigkeit des Opfers beruhende Wehrlosigkeit bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Opfer, wenn es sich keiner unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sieht. Unerheblich ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in voller Tragweite überblickt. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. Für das Bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Die Erwägungen des Landgerichts stellen ausschließlich auf die Sichtweise des Opfers ab. Dieses hätte sich keines Angriffs versehen, auch wenn der Täter damit hätte rechnen müssen, dass das Opfer das Auto bemerkt. Diese Annahme steht diametral zu der o.g. Definition der Heimtücke. Es kommt eben nicht auf die Opfersicht, sondern auf die Täterperspektive an. Selbst wenn der Täter davon ausging, dass er kurz vor dem Aufprall bemerkt würde, war der Zeitraum zwischen dem Bemerktwerden und dem Aufprall so kurz, dass die Heimtücke deshalb nicht ausscheiden muss. Ausnutzungsbewusstsein lag somit vor.
3. Der Täter müsste unmittelbar zur Tatbegehung angesetzt haben. Das ist der Fall, wenn er subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht’s los“ überschreitet und aus der subjektiven Perspektive des Täters objektiv keine weiteren Schritte notwendig sind, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Aus der Sicht des T waren keine weiteren Schritte zur Herbeiführung des Erfolges mehr notwendig, er hat unmittelbar angesetzt.
4. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft
5. Wegen der langen Freiheitsstrafe, die mit der Verurteilung wegen Mordes einhergeht, ist eine verhältnismäßige Bestrafung geboten. Die von der Literatur angeführte Tatbestandslösung, nach der ein besonderer Vertrauensbruch bzw. die Typenkorrektur, nach der eine besondere Verwerflichkeit wie bei einem niederen Beweggrund vorliegen muss, wird von der Rechtsprechung nicht angewandt. Vielmehr wird eine Einschränkung auf Rechtsfolgenseite über § 49 I Nr.1 StGB vorgenommen. Wohlgemerkt wurde die Sache im vorliegenden Fall wegen der Rechtsfehler an die Vorinstanz zurückverwiesen, der BGH hat keine abschließende Entscheidung gefällt.
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