Arbeitsgericht Köln: Teilnahme an Potsdamer Treffen rechtfertigt nicht die Kündigung langjähriger Mitarbeiterin

22.07.2024 | von Sander Singer


 

ArbG Köln, Urteil vom 03.07.2024 - 17 Ca 543/24

Die Entscheidung ArbG Köln, Urteil vom 03.07.2024 - 17 Ca 543/24, thematisiert die praxisrelevante Frage, ob rechtes Gedankengut bzw. die Teilnahme an rechtsextremen Treffen einen Kündigungsgrund darstellen kann.

Sachverhalt

Die 64-jährige Klägerin ist seit dem Jahr 2000 bei der Stadt Köln beschäftigt und war zuletzt als zentrale Ansprechpartnerin für das Beschwerdemanagement im Umwelt- und Verbraucherschutzamt tätig. Sie ist seit 2017 in der Werte-Union als erste Landesvorsitzende engagiert. Sie nahm am 25.11.2023 an dem sog. „Potsdamer Treffen“ in der Villa Adlon in Potsdam teil, über welches bundesweit durch das Medium Correctiv berichtet wurde. Hier sollen sich mehrere Rechtsradikale vernetzt haben. Die Klägerin selbst gibt an, dass sie keine näheren Informationen gehabt habe, was auf dem Treffen besprochen werden sollte und dass sie einer persönlichen Einladung eines Bekannten gefolgt sei, mit dem sie später auch essen gehen wollte.
Dies nahm die Stadt Köln zum Anlass, der Klägerin, die tariflich ordentlich aufgrund der langen Beschäftigungsdauer nicht kündbar ist, mehrere außerordentliche Kündigungen auszusprechen. Eine Kündigung stellte eine sog. „Verdachtskündigung“, eine andere eine sog. „Tatkündigung“ dar. Vorher zog die Stadt den Personalrat sowie den Gleichstellungsbeauftragten hinzu.
Die Stadt begründet die Kündigungen damit, dass die Klägerin durch die Teilnahme an dem Treffen in Potsdam mit mutmaßlich rechtsextremen Teilnehmern und dort diskutierten Remigrationsplänen gegen ihre Loyalitätspflicht ihrem Arbeitgeber gegenüber verstoßen habe. Ihr kommen durch die Beschäftigung im öffentlichen Dienst ähnliche Pflichten zu denen eines Beamten zu. Aufgrund der erheblichen öffentlichen Proteste gegen die Weiterbeschäftigung der Klägerin kann keine weitere angemessene Verwendung mehr im öffentlichen Dienst für sie gefunden werden. 

Wesentliche Aussagen Arbeitsgericht: Teilnahme allein genügt nicht

Die Kündigungen waren unwirksam. Allein die Teilnahme an besagtem Treffen stellt keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar.
Die Klägerin trifft aufgrund ihrer Beschäftigung keine gesteigerte politische Treuepflicht. Die Loyalität erschöpft sich in dem Maß, was für eine funktionsgerechte Durchführung des Arbeitsverhältnisses unabdingbar ist. 

Bedeutung für die Klausur

Ordentliche Kündigung

Eine ordentliche Kündigung der Klägerin kam nach § 34 II TVöD nicht in Betracht. Die Kündigung eines Mitarbeiters, der älter als 40 Jahre und mehr als 15 Jahre beschäftigt ist, darf nur noch aus wichtigem Grund und damit außerordentlich ausgesprochen werden. 

Prüfungsschema außerordentliche Kündigung

a) Wirksamer Arbeitsvertrag
b) Schriftliche Erklärung, §§ 623, 126 BGB
c) Anhörung des Betriebs-/ Personalrats, § 102 BetrVG
d) Kein Kündigungsschutz des Arbeitnehmers
e) Wichtiger Grund i.S.d. § 626 I BGB und Frist nach § 626 II BGB
f) Kein Verbot oder Sittenwidrigkeit
g) Wirksamkeitsfiktion nach § 13 I S. 2 KSchG i.V.m. § 7 KSchG
h) Mglw. Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB

Kündigungsschutzgrund zugunsten der Mitarbeiterin?

Als Kündigungsschutzgrund der Arbeitnehmerin kommt im vorliegenden Fall wiederum der § 34 II TVöD in Betracht. Dieser schließt zum einen aus, dass eine ordentliche Kündigung erfolgt, definiert aber zudem die strenge Anforderung eines wichtigen Grundes zur Aussprache einer außerordentlichen Kündigung. Wie dieser Begriff zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Im Vergleich zu der ordentlichen Kündigung ist allerdings anerkannt, dass es nicht nur eines Grundes bedarf, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, sondern dass dies zusätzlich auch mit sofortiger Wirkung erfolgen soll. 
Hieraus ergibt sich eine zweistufige Prüfung. Diese findet sowohl bei privaten-, als auch bei öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen statt:
1. Der Kündigungsgrund muss „an sich“ schwer genug wiegen, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Betrachtung ist hierbei abstrakter Natur. Es findet keine Einzelfallbetrachtung statt.
2. Wird der erste Punkt bejaht, ist in einem zweiten Schritt anhand des Einzelfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen. Hierbei sind die betrieblichen Interessen (bzw. die öffentlichen Interessen bei Beschäftigung im öffentlichen Dienst) mit denen des Arbeitnehmers abzuwägen. Ausschlaggebende Aspekte sind regelmäßig das Alter des Arbeitnehmers, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, soziale Konsequenzen der Kündigung, etwaige Unterhaltsverpflichtungen sowie die Möglichkeit einer Freistellung anstatt der Kündigung. Insbesondere muss eine negative Prognose über den weiteren Verlauf einer Beschäftigung gefasst werden.

Verdachtskündigung

Eine Verdachtskündigung ist eine personenbezogene Kündigung. Diese kann sowohl ordentlich als auch außerordentlich erfolgen. Sie ist einschlägig, wenn gegen den Arbeitnehmer ein Verdacht besteht, der dazu führt, dass der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbar ist. Hierin ist dann ein wichtiger Grund zu sehen. Die Stadt hat hier angeführt, dass die Klägerin im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine falsche eidesstattliche Versicherung abgeben haben soll. Dem ist das Arbeitsgericht nicht gefolgt, denn die Stadt hat keine hinreichenden Verdachtsmomente belegt.

Verhaltenskündigung (Tatkündigung)

Eine Tatkündigung oder auch Verhaltenskündigung bezieht sich auf Handlungen des Arbeitnehmers. Hier kommen insbesondere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers in Betracht. An dieser Stelle macht die Stadt geltend, dass der Klägerin besondere Treuepflichten aus der Beschäftigung im öffentlichen Dienst zukommen. Hier wird die sog. „Funktionstheorie“ des BAG relevant: Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist nur diejenige politische Loyalität abzuverlangen, welche für eine funktionsgerechte Ausführung der Tätigkeit unabdingbar ist. Der Maßstab ist am Einzelfall zu bestimmen: Lehrern kommt bspw. eine hohe Loyalitätsverpflichtung zu. Sie sollen demokratische Grundwerte an besonders beeinflussbare Schüler vermitteln. Dagegen kommt einfachen Verwaltungsangestellten nur eine Loyalität gegenüber den Grundsätzen der Verfassung zu. Dabei ist jeweils egal, ob die Pflichtverletzung im Dienst oder im Privaten erfolgt. 

Fazit: Teilnahme an Potsdamer Treffen rechtfertigt keine Kündigung

Auch wenn das Arbeitsrecht „nur“ ein Nebengebiet im 1. Examen darstellt, so hat die Kündigung innerhalb des Arbeitsrechts mit die höchste Klausurrelevanz. Aktuelle Urteile, wie dasjenige des Arbeitsgerichts Köln, die Themen von gesellschaftlicher Relevanz betreffen, werden darüber hinaus gerne in den mündlichen Prüfungen beider Examina abgeprüft.
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