Aufbau: Das vorsätzliche Begehungsdelikt

24.01.2024 I Hendrik Heinze
 

Der Aufbau einer zu verfolgenden Straftat in der Gestalt eines vorsätzlichen Begehungsdelikts gliedert sich in im Wesentlichen in 6 Stufen: Tatbestand, Objektive Bedingung der Strafbarkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe und Strafverfolgungsvoraussetzungen.


Prüfungsschema: Das vorsätzliche Begehungsdelikt im Strafrecht (Übersicht)
 

Prüfungsschema der Begehungsdelikte (im Detail)

Heute sehen wir uns das vorsätzliche Begehungsdelikt genauer an. Das fahrlässige Begehungsdelikt (z.B. die fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB und die fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB) und die Unterlassungsdelikte (z.B. das unechte Unterlassungsdelikt des Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 13 I StGB und das unechte Unterlassungsdelikt der unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323 StGB) werden in einem anderen Blogbeitrag behandelt.

I. Tatbestand

Der Tatbestand eines Begehungsdelikts gliedert sich in den objektiven und den subjektiven Tatbestand.

1. Objektiver Tatbestand

a) Objektive Tatbestandsmerkmale vom jeweiligen Delikt

Die objektiven Tatbestandsmerkmale umschreiben die objektiven Unrechtsmerkmale des jeweiligen Delikts. Z.B. erfordert der Diebstahl gem. § 242 I StGB in objektiver Hinsicht die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.

b) Besondere objektive Tatbestandsmerkmale bei Erfolgsdelikten

Erfolgsdelikte enthalten Tathandlungen, bei denen die Strafbarkeit an einen konkreten Erfolgseintritt anknüpft (z.B. die Verletzung eines Menschen im Sinne der einfachen Körperverletzung gem. § 223 I StGB).
Bei den Erfolgsdelikten muss der Täter neben den objektiven Tatbestandsmerkmalen des jeweiligen Delikts auch die folgenden besonderen objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllen:

aa) Kausalität der Tathandlung für den eingetretenen tatbestandlichen Erfolg

Kausal ist nach der Äquivalenztheorie unter Berücksichtigung der conditio-sine-qua-non-Formel jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der eingetretene tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (BGHSt 1, 332 ff.).
Im Wesentlichen sind die folgenden 5 Sonderfälle der Kausalität zu unterscheiden:

bb) Objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen Taterfolgs

In der Literatur ist es allgemeinhin anerkannt (h.M.), das Erfordernis der „objektiven Zurechenbarkeit des eingetretenen Taterfolgs“ bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten i.R.d. objektiven Tatbestands nach der „Kausalität der Tathandlung für den eingetretenen Taterfolg“ zu prüfen.
Diese Ansicht hat sich in der Rspr. noch nicht einheitlich durchgesetzt. Sie verzichtet bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten vielmehr größtenteils weiterhin auf das Kriterium der objektiven Zurechenbarkeit. Stattdessen vermeidet sie eine ausufernde Strafbarkeit infolge der Weite der Äquivalenztheorie unter Berücksichtigung der conditio-sine-qua-non-Formel mit dem Verweis auf das Zusammenspiel zwischen dem subjektiven Tatbestand und der Kausalität. Da sich der Vorsatz schließlich auch auf die Kausalität beziehen muss, ist bei wesentlichen Abweichungen des Kausalverlaufs von der Tätervorstellung schlicht der Vorsatz ausgeschlossen, womit eine betreffende Strafbarkeit ausscheidet. Bisher geht die höchstrichterliche Rspr. einzig bei der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder -schädigung des Opfers sowie allgemein bei Fahrlässigkeitsdelikten auf Aspekte der Lehre der objektiven Zurechnung tatbestandlich ausdrücklich ein (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2015 – 4 StR 223/15; BGH, Beschluss vom 11.07.1991 – 1 StR 357/91; BGHSt 32, 262 ff.; Lasson, ZJS 2009, 359, 360).
Beide Ansichten sind in diesem Zusammenhang gut vertretbar, doch ist gerade im Hinblick auf die Prüfungen des Ersten Staatsexamens die h.M. üblicher.
Für die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs bzgl. des Täters müsste ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Tathandlung und dem betreffenden Erfolg bestehen. Es müsste sich also die von dem Täter geschaffene rechtlich missbilligte Gefahr in dem eingetretenen tatbestandlichen Erfolg realisieren.
Im Wesentlichen sind die folgenden 7 Fallkonstellationen zu unterscheiden, die im Hinblick auf die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs bzgl. des Täters von Bedeutung sind:
 

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz

Vorsatz ist das Wissen und Wollen bzgl. der Tatbestandsverwirklichung zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung (Simultanitätsprinzip / Koinzidenzprinzip i.S.d. § 8 StGB i.V.m. § 16 I StGB). Die maßgebliche Tatzeit gem. § 8 StGB bestimmt sich hierbei allgemein danach, wann der Täter einen ursächlichen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung leistet oder leisten will. Der Zeitpunkt des tatbestandlichen Erfolgseintritts ist in diesem Zusammenhang hingegen unerheblich, so dass der Vorsatz nicht bis zur Tatbestandsverwirklichung vorliegen muss. Entscheidend ist vielmehr derjenige Zeitpunkt, zu dem der Täter die Beherrschbarkeit der Tatbestandsverwirklichung aus der Hand gibt bzw. geben will (vgl. Fischer, § 8 StGB Rn. 3, § 15 StGB Rn. 4).
Es sind die folgenden 3 Formen des Vorsatzes und 5 Sonderfälle unterscheiden:
 


Grundsätzlich genügt jede Vorsatzform zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestands, es sei denn, dass der jeweilige Tatbestand ausdrücklich eine bestimmte Form des Vorsatzes oder besondere subjektive Tatbestandsmerkmale verlangt.

II. Objektive Bedingungen der Strafbarkeit

Vereinzelte Delikte verfügen über objektive Bedingungen der Strafbarkeit. Hierbei handelt es sich um Strafbarkeitsbedingungen, die als Tatbestandsannex außerhalb des Unrechtstatbestands stehen. Sie müssen hierbei objektiv tatsächlich vorliegen, aber weder Bezugsobjekt des Vorsatzes noch der Fahrlässigkeit sein (vgl. BGH, NJW 2003, 2394; Krause, JURA 1980, 449 ff.).

III. Rechtswidrigkeit der Tat

Eine Tat ist rechtswidrig, wenn sie im Widerspruch zur Rechtsordnung steht und nicht durch einen Erlaubnissatz gedeckt ist (Leipold / Tsambikakis / Zöller – Tsambikakis, § 11 StGB Rn. 62).

1. Grundsätzliche Indizierung der Rechtswidrigkeit der Tat durch die Tatbestandsverwirklichung

Grundsätzlich kann klausurtaktisch bei dem Fehlen gegenteiliger Sachverhaltsangaben die Rechtswidrigkeit eines verwirklichten Tatbestands von dem Klausurbearbeiter schlicht festgestellt werden.

2. Kein Vorliegen von Rechtfertigungsgründen

Klausurrelevant sind v.a. die folgenden 15 Rechtfertigungsgründe:
 

IV. Schuld des Täters

Der Täter handelt schuldhaft, wenn ihm die Tat im Hinblick auf die ihr zugrundeliegende rechtlich tadelnswerte Gesinnung persönlich vorwerfbar ist (Gallas, ZStW 1955, 1, 45).
Eine solche Vorwerfbarkeit wird bei Erwachsenen, also Personen über 21 Jahren, grds. vermutet. Dies lässt sich aus den Normierungen der §§ 19, 20 StGB und der §§ 3, 105, 106 JGG ableiten, wonach die Schuldfähigkeit bei Erwachsenen die Regel, die Schuldunfähigkeit hingegen die Ausnahme ist. So sind Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres (das 14. Lebensjahr ist mit dem 14. Geburtstag vollendet) gem. § 19 StGB generell schuldunfähig. Jugendliche gem. § 1 II Alt. 1 JGG, also Personen, die das 14. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind wiederum gem. § 3 JGG bedingt schuldfähig. Es muss mithin in jedem Fall als besondere Strafbarkeitsvoraussetzung i.R.d. Strafmündigkeit (Schuldfähigkeit) positiv festgestellt werden, dass Jugendliche zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug waren, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. Leipziger Kommentar – Verrel / Linke / Koranyi, § 20 StGB Rn. 1 ff.; Diemer / Schatz / Sonnen, Jugendgerichtsgesetz – Diemer, § 3 JGG Rn. 2; Brunner / Dölling, § 3 JGG Rn. 4). Aus den §§ 105, 106 JGG lässt sich hingegen auf die volle Strafmündigkeit von Heranwachsenden gem. § 1 II Alt. 2 JGG (Personen, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben) schließen (Diemer / Schatz / Sonnen, Jugendgerichtsgesetz – Diemer, § 3 JGG Rn. 2). Wie Erwachsene handeln Heranwachsende nur dann ohne Schuld, wenn sie zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung infolge der in § 20 StGB aufgeführten Störungen einsichts- oder steuerungsunfähig sind.

1. Schuldfähigkeit

Nach § 19 StGB ist schuldunfähig, wer zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung gem. § 8 StGB noch nicht 14 Jahre alt ist. Der individuelle Entwicklungsstand des Täters ist hierbei völlig unerheblich.
Nach § 20 StGB ist wegen seelischer Störungen schuldunfähig, wer aus einem der in der Norm genannten Gründe unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln:
Nach § 21 StGB ist vermindert schuldfähig, wer in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aus einem der in § 20 StGB genannten Gründe erheblich vermindert ist. Nach § 49 I StGB kann das Gericht die Strafe in diesen Fällen auf der Strafzumessungsebene mildern.

2. Spezielle Schuldmerkmale

Die Lehre der speziellen Schuldmerkmale ist sehr umstritten. So werden die bei einzelnen Delikten anzutreffenden besonders tadelswerten Gesinnungsmerkmale teilweise der strafrechtsdogmatischen Kategorie der Schuld zugeordnet (vgl. Küper, JZ 1991, 761 ff.; Köhler, JuS 1984, 762 ff.).
Andere Ansichten (Rspr. und h.M.) wiederum verzichten auf den Prüfungspunkt der „speziellen Schuldmerkmale“ i.R.d. Schuld. In diesem Sinne werden die vorgenannten Gesinnungsmerkmale als Bestandteil des objektiven Tatbestands oder des subjektiven Tatbestands angesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20; BGHSt 22, 375; Fischer, § 28 StGB Rn. 6a; Leipold / Tsambikakis / Zöller – Waßmer, § 28 Rn. 14; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 544, 545).
Zwar können die verschiedenen Ansichten zu den speziellen Schuldmerkmalen teilweise zu unterschiedlichen strafrechtlichen Ergebnissen führen. Solange sich die st. Rspr. aber nicht die Lehre der speziellen Schuldmerkmale zu eigen macht, können Gesinnungsmerkmale, sofern eine Erörterung nicht erkennbar geboten erscheint, klausurtaktisch ohne nähere Erläuterung als Element des Unrechtstatbestands angesehen und damit im Tatbestand geprüft werden.

3. Unrechtsbewusstsein

Wer wissentlich und willentlich einen Tatbestand verwirklicht, handelt grds. mit Unrechtsbewusstsein.
Da bei Fahrlässigkeitsdelikten die Tatbestandsverwirklichung nicht wissentlich und willentlich erfolgt, besteht in diesem Zusammenhang das Erfordernis eines potentiellen Unrechtsbewusstseins. Ein solches liegt vor, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat zwar nicht erkannt hat, er es bei Einhaltung der pflichtgemäßen Sorgfalt aber hätte erkennen können (vgl. BGHSt 21, 18, 20).

4. Kein Vorliegen von Entschuldigungsgründen

Im Hinblick auf die Entschuldigungsgründe sind v.a. die folgenden 5 Fälle klausurrelevant:
 

V. Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe

Strafausschließungsgründe schließen eine Strafbarkeit von vornherein aus.
Strafaufhebungsgründe beseitigen hingegen eine Strafbarkeit im Nachhinein (vgl. Fischer, § 32 StGB Rn. 17).

VI. Strafverfolgungsvoraussetzungen

Wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt, sind Strafverfolgungsvoraussetzungen keine Voraussetzungen der Strafbarkeit, sondern der Verfolgbarkeit eines rechtswidrigen und schuldhaft verwirklichten gesetzlichen Tatbestands (vgl. Bosch, JURA 2013, 368 ff.; Mürbe, JA 1997, 321).

Fazit zum vorsätzlichen Begehungsdelikt

Wie Ihr seht, ist bereits der Aufbau eines vorsätzlichen Begehungsdelikts ziemlich anspruchsvoll. Zumindest dann, wenn man ihn rechtsdogmatisch durchdringen und alle für die Klausur relevanten Definitionen sowie potentiellen Streitstände beherrschen möchte. 
Nicht umsonst sind es gerade die Noten im Strafrecht, die bei vielen Studenten und Referendaren alles andere als zufriedenstellend sind. Wenn auch Ihr in den Strafrechtsklausuren nicht über ein „ausreichend“ (4 bis 6 Punkte) hinaus kommt oder gar ein Nichtbestehen der Prüfungen droht, dann seid Ihr jedenfalls nicht allein. Das Strafrecht ist schließlich im Detail sehr komplex und man muss in der Strafrechtsklausur deutlich mehr Seiten zu Papier bringen als im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht.
Unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (Grundstudium bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) stehen Euch gerne zur Seite, wenn Ihr Euch im Strafrecht verbessern möchtet. Ruft uns gerne für einen kostenlosen Probetermin an.
 
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR

 



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