BGH, Beschluss vom 08.10.2024: K.O.-Tropfen als gefährliches Werkzeug?!
29.01.2025 | von Sander Singer
BGH, Beschluss vom 08.10.2024 – 5 StR 382/24
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich mit der klausurrelevanten Frage, ob K.O.-Tropfen ein gefährliches Werkzeug darstellen können.Auch wenn es in der Entscheidung um den Tatbestand des § 177 StGB, also um eine Sexualstraftat geht, sind die Merkmale der Norm parallel zu denen des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und § 250 II Nr. 1 StGB gefasst.
Sachverhalt (klausurgerecht aufgearbeitet)
Der Angeklagte kannte die Nebenklägerin aus der Swinger-Szene, wobei seit spätestens 2019 keine sexuellen Kontakte mehr zwischen ihnen bestanden. Im August 2022 übernachtete die Nebenklägerin beim Angeklagten und dessen Verlobter anlässlich eines in der Nähe stattfindenden Konzerts. Ursprünglich war ein Austausch sexueller Handlungen nicht vorgesehen.Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte jedoch, der bereits stark alkoholisierten Nebenklägerin sowie seiner Verlobten heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte die Frauen sexuell enthemmen, um mit ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich an deren gegenseitigen Handlungen sexuell zu erregen. Zu diesem Zweck tropfte er das GBL mit einer Pipette in ein alkoholfreies Getränk, das die Nebenklägerin ahnungslos zu sich nahm. Ein weiteres Getränk, ebenfalls mit GBL versetzt, gab er höchstwahrscheinlich auch seiner Verlobten, die es ebenfalls trank. Der Angeklagte war sich bewusst, dass die Verabreichung der Substanz in Verbindung mit Alkohol die Frauen bis zur Bewusstlosigkeit bringen und sie daran hindern konnte, sich gegen etwaige Handlungen zu wehren. Zudem war ihm klar, dass dies erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer potenziellen Todesgefahr mit sich bringen konnte.
Das GBL, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, bekannt als „Liquid Ecstasy“), umgewandelt wird, führte zu der beabsichtigten Wirkung. Die Nebenklägerin, sonst eher verschlossen, begann mit der Verlobten des Angeklagten ausgelassen zu tanzen. Im weiteren Verlauf entkleideten sich die beiden Frauen gegenseitig, legten sich auf eine Couch und küssten sich. Der Angeklagte trat schließlich hinzu, küsste die Nebenklägerin und berührte sie an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva. Er war sich dessen bewusst, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL weder einen eigenen Willen bilden noch äußern konnte und sie sich ohne die Droge niemals auf ihn eingelassen hätte.
Nach Abschluss der sexuellen Handlungen war die Nebenklägerin zunächst nicht auffindbar. Sie wurde später im Garten liegend, schlafend, kaum ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet vorgefunden. Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko, dass sie durch das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Einatmen von Erbrochenem ersticken könnte.
Handelt es sich bei dem GBL um ein Gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 VIII Nr. 1, Alt. 2 StGB?
Wesentliche Aussagen des BGH zur Einordnung der K.O.-Tropfen
Bei den K.O.-Tropfen (GBL) handelt es sich nicht um ein gefährliches Werkzeug gem. § 177 VIII Nr. 1, Alt. 2 StGB (und damit auch nach § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB).Das Wissen für Deine Jura Klausur
Obwohl es in der Entscheidung um den Tatbestand des § 177 StGB geht, sind die Merkmale der Norm parallel zu denen des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB gefasst. Mithin kann eine Auslegung der Begriffe anhand des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB erfolgen.Sind K.O.-Tropfen ein gefährliches Werkzeug?
1. Fraglich ist, ob die Tropfen ein gefährliches Werkzeug darstellen, § 177 VIII Nr. 1 Alt. 2 StGB.Ein Werkzeug ist ein für bestimmte Zwecke geformter Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Die GBL-Tropfen sind aber flüssig. Würde man sie als Werkzeug einordnen, würde dies gegen Art. 103 II GG verstoßen.
Hierfür spricht auch das systematische Argument: Genau wie bei § 250 II Nr. 1 StGB, zu dem sich der BGH bereits geäußert hat, liegt dann kein Werkzeug vor, wenn das Mittel erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper wirkt. § 250 II Nr. 1 StGB ist nach dem Willen des Gesetzgebers, genau wie § 177 StGB, an § 224 StGB orientiert.
Die Pipette, mit der die Tropfen in das Glas getropft wurden, kann ebenso kein Werkzeug darstellen, auch wenn sie ein körperlicher Gegenstand ist. Ein Werkzeug ist gefährlich, wenn es nach seiner Art und seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Der Gegenstand, der ein gefährliches Werkzeug sein soll, muss unmittelbar auf den Körper einwirken (Wortlaut des § 224 I Nr. 2 StGB „mittels“). Die Pipette hat aber keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Körper des Opfers.
2. Ein weiterer Gesichtspunkt, den der BGH diskutiert, ist die Frage, ob § 224 I Nr. 2 StGB ein lex speciales zu § 224 I Nr. 1 StGB, also der „Beibringung von Gift“, darstellt. Diese Erwägung könnte dann auf § 177 StGB übertragen werden und eine andere Bewertung des Tatbestandes herbeiführen, der selbst kein Pendant zu § 224 I Nr.1 StGB auflistet.
Für eine solche Auffassung spricht, dass bei der Verwendung von Flüssigkeiten, Gasen oder Strahlen, die durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet werden, jedenfalls beide Tatbestände erfüllt werden könnten. Auch der Gleichlauf in der Behandlung von § 224 StGB und § 177 StGB nach dem gesetzgeberischen Willen spricht hierfür. Eine „Lücke“ in § 177 StGB müsste durch die extensive Auslegung des Werkzeugbegriffes geschlossen werden.
Dagegen spricht allerdings, dass Spezialität nur dann vorliegt, wenn der Tatbestand alle Merkmale des generellen Tatbestandes in sich aufnimmt und modifiziert oder erweitert. Das ist schon im Hinblick auf den Wortlaut nicht der Fall. Auch historisch wurde der § 224 I Nr. 1 StGB im Rahmen des 6. StrRG als Ersatz für den § 229 StGB aF, die „Vergiftung“, eingeführt. Dieser soll vielmehr mit eigenem Regelungsgehalt in § 224 StGB aufgehen und nicht einen „Unterfall“ von § 224 I Nr. 2 StGB darstellen.
Mithin handelt es sich bei den Tropfen um kein gefährliches Werkzeug.
Hinweis: § 177 StGB ist in den meisten Bundesländern kein Prüfungsstoff. Dennoch ist die Entscheidung des BGH wegen § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und § 250 II Nr. 1 StGB sehr prüfungsrelevant.
Weitere Delikte in der Klausur
In der Klausur wäre jedoch § 224 I Nr. 1 StGB erfüllt. GBL oder andere Substanzen, die als K.O. Tropfen wirken, sind regelmäßig andere gesundheitsschädliche Stoffe. Dies sind Stoffe, die mechanisch (z.B. Glassplitter), thermisch (z.B. heiße Flüssigkeiten) oder biologisch-physiologisch (z.B. Viren, Bakterien und Arzneimittel) wirken. Gesundheitsschädlich ist der Stoff, wenn er unter den konkreten Bedingungen dazu geeignet ist, die Gesundheit des Opfers erheblich zu schädigen.§ 224 I Nr. 2 StGB ist hingegen mit der o.g. Argumentation zu verneinen.
Einordnung des Urteils für Jura Studium & Examen
Die Sexualdelikte sind in den meisten Bundesländern kein Prüfungsstoff im 1. und 2. Jura Examen. Gleichwohl ist es höchst wahrscheinlich, dass die in der Entscheidung durch den BGH erörterten Gesichtspunkt bald Gegenstand einer Examensklausur werden - und zwar im Kontext der gefährlichen Körperverletzung oder des besonders schweren Raubes. Beide Delikte gehören sowohl im 1. als auch im 2. Staatsexamen zu den absoluten Lieblingsdelikten der Prüfungsämter.Wenn sich bei Dir im Strafrecht bisher nicht der gewünschte Erfolg einstellt, ist die Kraatz Group ist Dein Partner für Top-Noten im Jurastudium (Akademie Kraatz) und Referendariat (Assessor Akademie). Melde Dich bei uns für einen kostenlosen Beratungstermin oder eine Probestunde. Wir freuen uns auf Dich!
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