„BGH funkt dazwischen“ BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – Az. 2 StR 171/23
26.08.2024 | von Sander Singer
BGH, Beschluss vom 10.01.2024 – StR 171/23
Die Entscheidung BGH, Beschluss vom 10.01.2024 – StR 171/23, thematisiert ein Beweisverwertungsverbot für einen nicht ordnungsgemäß angeordneten Funkzellenbeschluss (Ermittlung des Verdächtigen über die Standortdaten seines Handys). Beweisverwertungsverbote sind von hoher Prüfungsrelevanz – sowohl für die strafprozessuale Zusatzfrage im 1. als auch für sämtliche StGB-Klausuren im 2. Examen.
Sachverhalt
T stieg gemeinsam mit unbekannten Dritten sowohl am 07.10.2019 als auch am 10.02.2020 und 14.02.2020 in diversen Restaurants und Shishabars ein. Dort entwendete er Bargeld und Genussmittel. Bei den Einbrüchen führte er jeweils ein Kubotan (Schlüsselanhänger zur Selbstverteidigung mit einem kurzen, spitzen Stab) einsatzbereit bei sich.
Die Polizei beantragte am 12.02.2020 bei der Staatsanwaltschaft den Erlass eines „Funkzellenbeschlusses“ auf der Grundlage des im Raum stehenden besonders schweren Fall des Diebstahls gem. §§ 242, 243 StGB. Über die Standortdaten des Telefons des T wurde dieser sodann als Täter ermittelt. Das Landgericht führte die Inhalte der Funkzellenauswertung entgegen dem Widerspruch der Verteidigung in die Hauptverhandlung ein und hat seine Überzeugung von der Täterschaft auch auf die Verwertung der aus der Funkzellenüberwachung gewonnenen Erkenntnisse gestützt.
Das Landgericht verurteilte den T wegen Diebstahls mit Waffen (§ 244 StGB) in drei Fällen und Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.
Gegen diese Verurteilung wendet sich T mit dem Mittel der Revision. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er behauptet, dass die Funkzellenüberwachung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, unzulässig war, so dass die gewonnenen Beweise jedenfalls nicht verwertbar waren.
Wesentliche Aussagen
Die Beweiserhebung an sich verstieß bereits gegen § 100g III S. 1 StPO iVm § 100g I S. 3 bzw. Abs. 2 StPO. Aus dem Beweiserhebungsverbot folgt ein Beweisverwertungsverbot.
Relevanz für die StGB Klausur
Der aufgegriffene Beschluss eignet sich wunderbar für eine Zusatzfrage oder eine mündliche Prüfung im 1. Examen sowie die StA-, Urteils- oder Revisionsklausur im 2. Examen. Besonders interessant ist hier, dass die erhobenen Beweise keinem expliziten Beweisverwertungsverbot qua Gesetz unterliegen und das Verwertungsverbot entsprechend hergeleitet werden muss.
Begründung des Beweisverwertungsverbots
Die Beweiserhebung ist Teil des Ermittlungsverfahrens und in den §§ 48 ff. StPO geregelt. Insbesondere die mediale Überwachung findet sich in §§ 100a ff. StPO. Die hier problematische Funkzellenüberwachung fällt unter die „Erhebung von Verkehrsdaten“ iSd § 100g StPO. Die Norm stellt die Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in die individuellen Rechtsgüter zum Zwecke der Ermittlung dar. In Abs. 3 ist festgelegt, dass die Voraussetzungen von Abs. 1 vorliegen müssen. Hierzu zählt, dass eine sog. „Katalogstraftat“ nach § 100a II StPO vorliegen muss. Ein Blick in die entsprechende Norm lässt schnell erkennen, dass der zum Zeitpunkt der Beantragung des Funkzellenbeschlusses im Raum gestandene Diebstahl in einem besonders schweren Fall nach §§ 242, 243 StGB nicht von dem Katalog erfasst ist. Die Beweiserhebung hat somit keine Ermächtigungsgrundlage und ist damit unzulässig.
Nun sind im vorliegenden Fall die Daten allerdings erhoben worden und stehen damit den Ermittlungsbehörden zur Verfügung. Es muss sich also in der Klausur gefragt werden, ob die unzulässig erhobenen Daten auch im Strafverfahren verwertet werden dürfen oder ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt. Dies kann entweder gesetzlich angeordnet sein oder muss gesondert begründet werden.
Gesetzliche Beweisverwertungsverbote
Prominentestes Beispiel für ein gesetzliches Verbot ist § 136a StPO, der in Abs. 3 die Verwertung von Beweisen verbietet, die durch Einwirkung auf die Willensentschließung und -betätigung oder durch Zwang gegenüber dem Beschuldigten zustande gekommen sind. Weitere Beispiele finden sich in § 252 StPO oder in § 100d II S. 1 StPO. Jedoch sind gesetzlich angeordnete Beweisverwertungsverbote innerhalb der StPO die Ausnahme.
Abwägungslehre des BGH
Liegt kein explizites gesetzliches Verbot vor, muss nach der „Abwägungslehre“ des BGH das staatliche, strafprozessuale Interesse an der Aufklärung gegen die individuellen Rechtsgüter des Betroffenen abgewogen werden. Grundsätzlich ist die Beweisverwertung aber zulässig. Ein Beweisverwertungsverbot muss über die Lehre gesondert begründet werden.
Der BGH hat in seiner Rechtsprechung zu § 100a StPO bereits dargelegt, dass der Eingriff in die individuellen Rechtsgüter des Betroffen derart hoch ist, dass das staatliche Interesse an der Verurteilung dahinter zurücktreten muss. Diese Grundsätze überträgt er nun auf die vorliegende Konstellation. Die Ermittlungen greifen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG ein. Grundsätzlich ist die Voraussetzung für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs zumindest eine gültige Ermächtigungsgrundlage. Bereits an dieser fehlt es jedoch. Würde man die durch den Eingriff gewonnenen Beweismittel dennoch verwerten, würde dies allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen (Verstoß gegen Art. 20 III GG sowie die Grundrechte des Betroffenen).
Wesentliche Punkte für die Klausur
Für die Klausur lässt sich merken: Es muss eine Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Beweisen vorliegen. Fehlt es bereits an einer solchen, muss gefragt werden, ob ein Beweisverwertungsverbot explizit normiert ist. Ist auch das nicht der Fall, muss über die Abwägungslehre ermittelt werden, ob zugunsten des Betroffenen ein Beweisverwertungsverbot greift. Im Fall einer fehlenden Rechtsgrundlage für Eingriffe in Rechte der Betroffenen liegt ein Beweisverwertungsverbot i.d.R. nahe.
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