BGH: Hotelkosten bei Beherbergungsverbot im Rahmen der Corona-Pandemie

25.03.2024 | von Sander Singer

BGH, Urteil vom 06.03.2024 – VIII ZR 363/21

Während der Corona-Pandemie mussten viele Hotelübernachtungen gestrichen werden. Daher wundert es nicht, dass sich der BGH jüngst mit der Frage des Kostenrisikos bei einem behördlich angeordneten Beherbergungsverbot beschäftigt hat.

Sachverhalt

Die Klägerin buchte im Oktober 2019 - zum Zweck einer touristischen Reise für sich und vier Mitreisende - drei Doppelzimmer im Hotel der Beklagten in Lüneburg für den 14. bis 16. Mai 2020 über einen nicht stornierbaren Tarif. Sie zahlte im Voraus. Sowohl am 07. als auch am 08. Mai 2020 erklärte die Klägerin per E-Mail, sie „storniere“ die Buchung und bitte um Rückzahlung. Hintergrund der E-Mails war, dass die Landesregierung Niedersachen touristische Reisen bis zum 25. Mai 2020 wegen der Pandemie verboten hatte. Sie meinte, Hotel und Gast seien deswegen von der Leistungspflicht befreit. Das Hotel lehnte eine Rückzahlung ab und bot der Klägerin lediglich eine Verschiebung der gebuchten Leistungen auf die Zeit nach der Aufhebung der Beschränkungen, jedoch nicht später als bis zum 30. Dezember 2020 an. Dies lehnte die Klägerin wiederum ab.

Wesentliche Aussagen des Bundesgerichtshofs

  1. Die Revision der Beklagten wird abgewiesen.
  2. Der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des Entgeltes ergibt sich aus § 346 I BGB.
  3. Durch das Beherbergungsverbot war es dem Hotel i.S.d. § 275 I BGB rechtlich unmöglich, die Beherbergungsleistung zu erbringen. Die Klägerin konnte somit wirksam gemäß §§ 326 V, 323 IV BGB vom Vertrag zurücktreten.

Bedeutung für die Klausur

Die Entscheidung BGH, Urteil vom 06.03.2024 – VIII ZR 363/21 hat eine hohe Examensrelevanz, da sie mit dem Rücktritt und dem Unmöglichkeitsrecht wichtige Bereiche des Schuldrechts AT thematisiert.

1. Gedankliche Abgrenzung zu § 313 BGB

Die Klausurkonstellation sieht zunächst wie die typische Klausur zu § 313 I BGB, der Störung der Geschäftsgrundlage (StöGG), aus.
Im Rahmen einer (zumindest gedanklichen) Vorprüfung zu § 313 I BGB ist allerdings stets die Anwendbarkeit des Instituts zu diskutieren. Dabei ist zu beachten, dass die StöGG subsidiär ist gegenüber:
  • Vertraglichen Vereinbarungen
  • Gewährleistungsrechte
  • Garantien
  • Auslegung über §§ 133, 157 BGB: insb. auflösende Bedingung nach § 158 II BGB
  • Gesetzlichen Sonderregelungen
  • Gewährleistung (Rücktritts und Kündigungsvorschriften)
  • Anfechtung, §§ 119 ff. BGB
    • Zweckverfehlungskondiktion, § 812 I S. 2 2. Alt. BGB
    • Unmöglichkeit, § 275 BGB
Hintergrund für die Subsidiarität ist die Natur der Norm: § 313 BGB sieht in Abs. 1 grundsätzlich nur eine Anpassung des Vertrages vor. Der (den Klausurregelfall darstellende) Rücktritt über § 313 III BGB ist nur eine ultima ratio der Vertragsanpassung, durch die der bestehende Vertrag zu einem „nicht mehr bestehenden“ Vertrag durch Rücktritt „modifiziert“ wird. Insofern ist, selbst wenn § 313 BGB Anwendung findet und hierüber ein Rücktritt stattfinden soll, zunächst stets nach der Möglichkeit einer Vertragsanpassung und dann erst nach einem Rücktrittsrecht zu fragen. Im vorliegenden Fall ist die StöGG hinter den Regeln zur Unmöglichkeit subsidiär. Ist eine Leistungserbringung vollständig unmöglich geworden, schafft auch eine Vertragsanpassung über § 313 I BGB keine Abhilfe.

2. Verhältnis zwischen Rücktritt und § 313 BGB

Die im Rahmen des Urteils festgelegte Grundsatzentscheidung, dass das Risiko bei dem Hotel liegt, eignet sich hervorragend, um sich den Unterschied zwischen der StöGG und dem Rücktritt aufgrund von Unmöglichkeit noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Telos der StöGG ist die Auflösung einer Situation, in der keine der Parteien das Risiko allein zugeordnet werden kann (Stichwort: normatives Element). Sie ist kodifiziertes Richterrecht und vertypt eine Fallgruppe des § 242 BGB. Das Institut ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass derjenige, der eine Leistung verspricht, auch das Risiko für diese Leistung (zumindest bis zum Übergang des Risikos, z. B. durch Gefahrübergang) trägt. Aufgrund einer Wertentscheidung soll zwischen beiden Parteien Vertragsgerechtigkeit hergestellt werden, indem der übervorteilten Seite die Vertragsanpassung (oder Auflösung) durch das Gesetz aufgezwungen wird.
Der Rücktritt (§§ 323 ff. BGB) hingegen arbeitet mit klar zugewiesenen Risikosphären. Geht die Sache in der Sphäre des Schuldners unter, bevor dieser seine Leistung erbringen kann oder wird eine Dienstleistung unmöglich, bevor sie erbracht werden kann, dann liegt das Risiko grds. bei dem Schuldner. Erwägungen, die das Risiko in die Sphäre des Gläubigers verlagern können, sind z. B. solche zur Stornierungsmöglichkeit bei einer Reise oder einem Hotelzimmer. Verzichtet der Kunde (Gläubiger) auf eine solche Stornierungsmöglichkeit, indem er z. B. eine solche Zusatzoption nicht mitbucht, geht das Risiko, die Reise aufgrund von Umständen, die in der Person des Kunden liegen (z. B. Krankheit im Urlaub, Autounfall auf der Anreise), auf den Kunden über. Wählt er hingegen eine solche Stornierungsmöglichkeit ab, so trägt der Schuldner (Hotel) das Risiko für die in der Vereinbarung umfassten Umstände (i. d. R. Krankheit, Flugausfall, Zugverspätung etc.). Dass ein Beherbergungsverbot allerdings verlängert wird, ist kein Umstand, der in der Person des Kunden liegt. Anders als bei einem Ausfall des Transportmittels für die Anreise, welches sich der Kunde frei auswählen konnte und dabei z. B. auch berücksichtigen kann, dass die Bahn unzuverlässig fährt, sind solche Erwägungen auf Kundenseite für ein Beherbergungsverbot nicht zu erwarten.

3. Prüfungsschema Rücktritt (§§ 323 ff. BGB)

Die Prüfung des Rücktritts (§§ 323 ff. BGB) läuft wie folgt ab:

a) Anwendbarkeit
Im Rahmen der Anwendbarkeit des Rücktritts (insb. Abgrenzung zu Kündigung und sonstigen Vertragsbeendigungsmöglichkeiten) ist im vorliegenden Fall anzumerken, dass der mit dem Hotel geschlossene Vertrag jedenfalls keine Stornierungsmöglichkeit vorgesehen hat. Der Rücktritt ist somit anwendbar.

b) Rücktrittserklärung
Die Rücktrittserklärung nach § 349 BGB wurde zum ersten Mal am 07. Mai und sodann nochmals am 08. Mai abgegeben. Problematisch war, dass die Verordnung, welche die rechtliche Unmöglichkeit nach sich gezogen hat, erst am 08. Mai verkündet wurde, also einen Tag nach der ersten Erklärung. Der BGH hat allerdings klargestellt, dass im Rahmen der Wertung von § 323 IV BGB bereits die erste Erklärung am 07. Mai zählt: Zu diesem Zeitpunkt war bereits ersichtlich, dass die Verordnung, welche auch vorher schon galt, aufgrund unveränderter Umstände verlängert werden würde.

c) Rücktrittsgrund
Der Rücktrittsgrund ergibt sich hier aus Gesetz gem. § 326 V BGB i.V.m. § 275 I BGB aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit der Leistungserbringung. Der Klägerin war daran gelegen, die Buchung in genau diesem bestimmten Zeitraum wahrzunehmen. Der Verweis auf einen späteren Zeitpunkt durch das Hotel stellt - bei billiger Abwägung der Belange - eine Unzumutbarkeit dar. Deswegen war eine Fristsetzung vor Rücktrittserklärung lt. einer Vorinstanz nicht nötig. Die Buchung für ein bestimmtes Datum stellt ein relatives Fixgeschäft i.S.v. § 323 II Nr. 2 BGB dar.

d) Ausschluss?
Der Rücktritt war nicht gem. § 326 V BGB, § 323 VI BGB ausgeschlossen. Das Beherbergungsverbot stellt eben keinen Umstand dar, der in der Person des Gastes begründet ist i.S.d. § 537 I S. 1 BGB. Das Verbot war „nach epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählt. Es knüpfte dabei weder an die Person oder spezifische Eigenschaften des einzelnen Gastes noch an solche des Mietobjektes an. […]“. Hierdurch hat sich ein „allgemeines Lebensrisiko“ verwirklicht.

 

Fazit zu den Hotelkosten bei Beherbergungsverbot im Rahmen der Pandemie

Fragen zur Corona Pandemie waren in den vergangenen Jahren ein beliebtes Prüfungsthema in beiden Examina. Wie die hier dargestellte, äußerst examensrelevante BGH-Entscheidung zeigt, beschäftigten sie die Rechtsprechung bis heute.
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Relevante Lerninhalte

  • Rücktritt gem. §§ 323 ff. BGB
  • Unmöglichkeit gem. § 275 BGB

Relevante Rechtsprechung

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