Das Minderjährigenrecht: Eine Übersicht für die klausur- und examensvorbereitung!

31.07.2024 | von Sophie Goldenbogen


 

Das 1x1 des Minderjährigenrechts in der Klausur

Das Minderjährigenrecht gehört zur Grundausstattung eines jeden Juristen. Vom Playstationkauf bis zur Grundstücksübertragung; Probleme rund um die beschränkte Geschäftsfähigkeit lassen sich überall einbauen und sind daher hervorragend für Examensklausuren (und das echte Leben) geeignet.
Die Kenntnis der §§ 106 ff. BGB ist deshalb elementar, da die Wirksamkeit von Verträgen in einer Klausur eine ganz entscheidende Weichenstellung für viele Folgeprobleme im Rahmen der Anspruchsprüfung ist.
§ 985 BGB oder doch § 812 BGB? - nur wer sich mit dem Minderjährigenrecht auskennt, findet die Lösung. Das ist aber nicht immer so leicht. Besonders das Trennungs- und Abstraktionsprinzip bereitet vielen Studierenden Schwierigkeiten.
Im heutigen Blogbeitrag zeigen wir Euch anhand eines einfachen Falles die Grundlagen und wo Ihr in einer Klausur genau aufpassen müsst.

Sachverhalt

Der 16-jährige K will vom volljährigen V ein uPhone 15 erwerben. Die beiden einigen sich auf einen Kaufpreis von 1500 €. K leistet eine sofortige Baranzahlung in Höhe von 500 € und bekommt das Smartphone von V überreicht. Als K’s Eltern davon erfahren, verweigern sie die Genehmigung, da sie dem K seit jeher den Kauf eines Smartphones verboten haben.
Frage 1: Ist der Kaufvertrag wirksam zustande gekommen?
Frage 2: Ist K wirksam Eigentümer des uPhones geworden?
Frage 3: Ist V Eigentümer der 500 € geworden?

Vorüberlegungen

Für die Prüfung der Wirksamkeit einer Willenserklärung, die ein Minderjähriger abgibt, geht man folgende Punkte durch:

Kurzlösung Frage 1 (Kaufvertrag)

Klar ist K und V haben sich geeinigt. Wegen K’s Minderjährigkeit, klappern wir jetzt aber die gerade genannten Punkte ab.
(1.) Die Willenserklärung des K könnte jedoch unwirksam sein, da K gem. § 106 BGB in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.
(2.) Die Willenserklärung des K könnte gleichwohl wirksam sein, wenn sie für K gem. § 107 Alt. 1 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Das sind jedoch nur solche Geschäfte, die die Rechtsstellung des Minderjährigen unmittelbar ausschließlich verbessern. Durch den Kaufvertrag würde K jedoch schuldrechtlich verpflichtet werden, den Kaufpreis an V zu zahlen, § 107 Alt. 1 BGB scheidet damit aus.
Es ist im Übrigen auch kein rechtlich neutrales Geschäft gem. § 107 Alt. 1 BGB analog, das dem Minderjährigen weder einen rechtlichen Vor- noch Nachteil bringen würde.
(3.) Die Willenserklärung ist auch nicht gemäß § 110 BGB wirksam, da der Minderjährige zum einen die Leistung noch nicht vollständig bewirkt hat (Schutz des Minderjährigen vor Folgeverpflichtungen!) und zum anderen das Taschengeld des K nicht zur freien Verfügung stand, sondern die Eltern den Kauf eines Smartphones gerade von der konkludenten Generaleinwilligung ausgenommen haben.
(4.) Der Kaufvertrag ist also gem. § 108 I BGB ohne Einwilligung geschlossen. Da die Eltern den Vertrag auch nicht genehmigt haben, ist der unwirksam.

Lösung Frage 2 (Übereignung des uPhones)

Allerdings könnte die Übereignung des uPhones wirksam sein. Dieses Mal brauchen wir zwei korrespondierende, dingliche Willenserklärungen für eine Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB.
K und V haben sich über den Eigentumsübergang gem. § 929 S. 1 BGB geeinigt. Dieses Mal ist die Willenserklärung des K gem. § 107 Alt. 1 BGB auch wirksam, da das dingliche Rechtsgeschäft der Übereignung dem K nur den rechtlichen Vorteil des Eigentums verschafft.
Nicht vergessen, die dingliche Willenserklärung, die der V dem K gegenüber abgegeben hat, muss auch zugehen. Da gem. § 131 II Alt. 1 BGB eine Willenserklärung auch wirksam einem Minderjährigen zugehen kann, wenn das Rechtsgeschäft dem Minderjährigen nur einen rechtlichen Vorteil verschafft, haben wir hier kein Problem. Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 929 S. 1 BGB vorliegen (Übergabe der Kaufsache, Einigsein bei Übergabe und Berechtigung des V), ist K wirksam Eigentümer des uPhones geworden, juhu.

Lösung Frage 3 (Übereignung des Geldes)

Fraglich ist schließlich noch, ob die Übereignung der 500 € wirksam ist. Wieder brauchen wir zwei dingliche, korrespondierende Willenserklärungen zur Übertragung des Geldes gem. § 929 S. 1 BGB.
Aber die dingliche Willenserklärung des K ist nicht gem. § 107 Alt. 1 BGB wirksam, da das dingliche Rechtsgeschäft der Übereignung des Geldes den rechtlichen Nachteil des Eigentumsverlusts nach sich zieht. Da keine Einwilligung i.S.d. § 107 Alt. 2 BGB vorliegt, die Voraussetzungen des § 110 BGB nicht vorliegen und die Eltern die Übereignung des Geldes nicht genehmigt haben, ist die dingliche Willenserklärung des K i.S.d. § 929 S. 1 BGB nicht wirksam abgegeben. Damit ist V nicht Eigentümer des Geldes geworden.

Zusammenfassung zu Teil 1

Wir sehen, die Minderjährigkeit des K wirkt sich unterschiedlich auf die drei Rechtsgeschäfte aus. Das liegt am Trennungs- und Abstraktionsprinzip: die drei Rechtsgeschäfte sind grundsätzlich in ihren Rechtsfolgen und ihrer Wirksamkeit unabhängig voneinander zu betrachten. Wenn man hier sauber unterscheidet, ist die Prüfung eigentlich ganz einfach, oder?

Fortführung

Im Examen hört der Spaß aber hier nicht auf. Stattdessen knüpft sich nun die Frage nach einer Rückabwicklung an. Hier hält das BGB zwei wesentliche Ansprüche auf Rückabwicklung einer rechtsgrundlosen Leistung bereit, die wir uns jetzt einmal ansehen wollen.

Sachverhalt

Die Eltern des K verlangen, dass K die 500 € von V zurückverlangt. Der V hingegen verlangt Rückgabe des uPhones.
Frage: Hat K gegen V einen Anspruch auf Rückgabe der 500 €?
Frage: Hat V gegen K einen Anspruch auf Rückübereignung des uPhones?
Bearbeitervermerk: Es sind nur § 985 BGB und § 812 BGB zu prüfen.

Rückgabe der 500 € aus § 985 BGB (–)

Da die Übereignung der 500 € gem. § 929 S. 1 BGB an der Minderjährigkeit scheiterte, ist K auch Eigentümer geblieben. Der V ist Besitzer der 500 € in Geldscheinen. Und da auch der Kaufvertrag an der Minderjährigkeit scheitert, hat der V auch kein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB. Der V muss die Geldscheine also an K gem. § 985 BGB zurückgeben.

Rückgabe der 500 € aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB (+)

Der V hat wegen der Minderjährigkeit kein Eigentum, sondern nur Besitz an den Geldscheinen durch Leistung des K erlangt. Da der Kaufvertrag unwirksam ist, liegt auch kein Rechtsgrund für diesen Besitz vor und K hat einen Anspruch gegen V auf Rückgabe der Satz gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB. 

Herausgabe des uPhones aus § 985 BGB (–)

Da die Übereignung des uPhones gem. § 929 S. 1 BGB nicht an der Minderjährigkeit scheiterte, da dieses dingliche Rechtsgeschäft nur rechtlich vorteilhaft war (§ 107 BGB), ist K Eigentümer des uPhones geworden. Der V hat also keinen Anspruch auf Rückgabe gem. § 985 BGB.

Herausgabe des uPhones aus § 812 I S. 1 Alt. 1 (+)

Der K hat also Eigentum und Besitz am uPhone durch Leistung des V, das er nicht gem. § 985 BGB herausgaben muss. Da der Kaufvertrag aber unwirksam ist, liegt für das Erlangte (Eigentum und Besitz) kein Rechtsgrund vor. V hat damit gegen V einen Anspruch auf Rückübereignung des uPhones gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB.

Zusammenfassung Teil 2

Wir sehen, dass sich die Minderjährigkeit und das Trennungs- und Abstraktionsprinzip auch in diesen Folgefragen auswirkt und hier keine Fehler gemacht werden sollten.

Fazit

Solide Kenntnis des Minderjährigenrechts gehört im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm und es ist schon seit dem ersten Semester Dauerbrenner in Klausuren.
Das Telos kennen die meisten daher gut: Schutz des Minderjährigen („Die heilige Kuh des Zivilrechts“), im Aufbau jedoch tun sich viele schwer. Wir hoffen, dass Ihr die Struktur der Prüfung durch diesen Beitrag besser versteht und Euer Wissen an der richtigen Stelle abliefern könnt.
Jüngst etwa hat der BGH in seinem Beschluss vom 18. April 2024 - V ZB 51/23 (= NJW 2024, 1957) wieder Stellung zum Minderjährigenrecht bezogen. Als Stichwort genügt hier die inzwischen vom BGH aufgegebene, aber in der Klausur immer noch abgefragte, sogenannte „Gesamtbetrachtungslehre“.
Wenn Ihr Euch im Minderjährigenrecht noch nicht examensreif fühlt oder wissen wollt, ob Eltern wirklich für ihre Kinder haften, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Sophie Goldenbogen

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