Der Besitz im Sachenrecht

22.11.2024 | von Florian Bieker



Der Besitz ist im 3.Buch im ersten Abschnitt des BGB geregelt. Zwar handelt es sich um einen kurzfristigen Abschnitt, aber er ist für das Verständnis des Sachenrechts und des gesamten Zivilrechts elementar. Im BGB existieren verschiedene Arten von Besitzformen, die von anderen Besitzformen sicher abgegrenzt werden müssen. Die Lektüre der §§ 854 ff. BGB ist daher unumgänglich, wenn man sich mit den Besitzformen und den Besitzschutzansprüchen in dem Zusammenhang auseinandersetzt. Da es sich bei den Vorschriften über den Besitz um ein kompaktes Regelungskonstrukt handelt, hat man sich die Vorschriften schnell vergegenwärtigt. Wichtig ist, dass man sich anschließend vertieft mit den einzelnen Vorschriften beschäftigt. Die Vorschriften sind außerordentlich wichtige Vorschriften im Bereich des Sachenrechts. Ob Besitzdiener gem. § 855 BGB oder mittelbarer Besitzer gem. § 868 BGB, jegliche Besitzvorschriften lassen sich in zivilrechtlichen Klausuren integrieren, sodass die Kenntnis der Schemata und Definitionen der besitzrechtlichen Vorschriften zwingend gelernt und wiederholt werden muss. Oftmals werden die verschiedenen Besitzformen und Besitzvorschriften nur rudimentär behandelt, jedoch verstecken sich auch in den Besitzvorschriften mannigfaltige Probleme. Allein die Vererblichkeit des Besitzes nach § 857 BGB wird wohl den Wenigstens geläufig sein, wenn man sich mit den Vorschriften über den Besitz (§§ 854 ff. BGB) nicht auseinandergesetzt hat. Gleiches gilt entsprechend für einen Teilbesitz gem. § 865 BGB oder einen Mitbesitz nach § 866 BGB. Oftmals bringt es schon einen entscheidenden Vorteil, wenn man diese besitzrechtlichen Vorschriften überhaupt kennt bzw. weiß, dass derartige besitzrechtliche Vorschriften existieren. Daher dient dieser Beitrag über die verschiedenen Besitzformen und Besitzschutzansprüche dazu, dass Dir die §§ 854 ff. BGB nähergebracht werden.  

Die Bedeutung der Besitzformen in der Klausur

Jeder Examenskandidat muss die verschiedenen Besitzformen beherrschen. Sie spielen besonders in sachenrechtlichen Klausuren und sachenrechtlichen Ansprüchen eine große Rolle. Ihre Kenntnis ist elementar, um im Examen auch unbekannte Sachverhalte in den Griff zu bekommen. Erfahrungsgemäß stellt das Sachenrecht eine sehr beliebte Materie für den Klausurersteller dar. Auch für die mündlichen Prüfung können die Besitzformen an Relevanz gewinnen, indem beispielsweise gefragt wird, was der Unterschied zwischen Besitzdiener und Besitzmittler ist oder warum der § 861 BGB grundsätzlich vor § 985 BGB geprüft wird.
Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die Besitzformen und die Besitzschutzansprüche näherbringen und eine Antwort auf die bereits erwähnten Fragestellungen geben.

Die Besitzformen im Sachenrecht

1. Allgemeines

Die Vorschriften zum Besitz finden sich in den §§ 854 ff. BGB. Zu differenzieren ist zunächst zwischen den verschiedenen Besitzformen. Die Besitzformen im Sachenrecht sind der unmittelbare und mittelbare Besitz, der Mitbesitz, der Teilbesitz. Besitzschutzansprüche finden sich in § 861 I BGB und § 862 I BGB. Eine nähere Betrachtung bedarf ebenfalls der Besitzdiener nach § 855 BGB.  

2. unmittelbarer Besitz

Der unmittelbare Besitz ist in § 854 I BGB geregelt. Demnach erfolgt der Erwerb der Besitz einer Sache durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. Besitz ist die räumliche Beziehung zwischen einer Person und einer Sache, wo die Person nach der sozialen Verkehrsanschauung für eine gewisse Dauer die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Sache hat und darüber hinaus diese Beziehung von einem natürlichen Besitzwille getragen wird. Eine vorübergehende Trennung ist unschädlich. Bestes Beispiel in diesem Zusammenhang ist wohl der abwesende Wohnungsinhaber, der auch noch den unmittelbaren Besitz nach § 854 I BGB an den in der Wohnung befindlichen Sachen hat, weil er mit seinem Wohnungsschlüssel jederzeit in die Wohnung gelangen und auf seine in der Wohnung befindlichen Sachen zugreifen kann. Dagegen sind die zugesteckten Drogen am Flughafen nicht im Besitz von demjenigen, dem sie zugesteckt wurden. Hier fehlt es an einem natürlichen Besitzwillen, die Sache zu besitzen. Zu beachten ist noch, dass nach § 854 II BGB die Einigung des bisherigen Besitzers und des Erwerbers genügt, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben.

3. Besitzdiener

Der Besitzdiener ist in § 855 BGB geregelt. Dort heißt es: Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten, so ist nur der andere Besitzer. Der Besitzdiener selbst hat keinen Besitz. Er ist lediglich der verlängerte Arm des Besitzers und weisungsgebunden. Das kann beispielsweise im Rahmen vom Abhandenkommen nach § 935 I BGB relevant werden, wenn der Besitzdiener die Sache unbefugt weggibt. Bei dem Besitzdiener handelt es sich meistens um Angestellte, Praktikanten etc.

4. Teilbesitz

Der Teilbesitz ist in § 865 BGB geregelt. Demnach gelten die §§ 858-864 BGB auch zugunsten desjenigen, welcher nur einen Teil einer Sache, insbesondere abgesonderte Wohnräume oder andere Räume, besitzt. Insbesondere bei WG´s kommt ein derartiger Teilbesitz in Betracht. Beispielsweise besitzen bei einer Vier-Personen-WG jede der Personen ein Zimmer, sodass sie Teilbesitz an einer Sache haben, mithin der Wohnung.

5. Mitbesitz

Der Mitbesitz ist in § 866 BGB geregelt. Dort heißt es, dass im Verhältnis zu Mitbesitzern, welche eine Sache gemeinschaftlich besitzen, Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um die Grenzen des den einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt. Es existiert kein Besitz nach Bruchteilen, sondern jeder übt Besitz über die Sache aus. Bestes Beispiel sind hier wohl die Eheleute, die Mitbesitz an den Gegenständen im gemeinsamen Haus haben.

6. mittelbarer Besitz

Der mittelbare Besitz ist in § 868 BGB geregelt. Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnis, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbarer Besitz), heißt es dort. Voraussetzung für einen mittelbaren Besitz sind also ein Besitzmittlungsverhältnis auf Zeit, potenzielle Herausgabeansprüche des mittelbaren Besitzer gegen den unmittelbaren Besitzers und ein widerleglich vermuteter Besitzmittlungswille des unmittelbaren Besitzers für den mittelbaren Besitzer. Zu beachten ist, dass auch die Ehe beispielsweise ein solches Besitzmittlungsverhältnis darstellt oder potenzielle Herausgabeansprüche auch die §§ 812 ff. BGB ausreichen. Zu prüfen ist der mittelbare Besitz unter anderem im Eigentumserwerb nach § 930 BGB.

7. Anspruch wegen Besitzentziehung

Der Anspruch wegen Besitzentziehung ist in § 861 I BGB normiert. § 861 I BGB lautet: wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen, so kann dieser die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, welcher ihm gegenüber fehlerhaft besitzt. § 861 I BGB wird oftmals auch dann einschlägig sein, wenn § 985 BGB in Betracht kommt. § 861 I BGB ist vor § 985 BGB zu prüfen, obwohl das Eigentum grundsätzlich das stärkere Recht ist. Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz auf eine rasche Wiederherstellung der besitzrechtlichen Lage abzielt und als Einwendungen gemäß § 863 BGB petitorische Einwendungen nicht möglich sind. Bei einem Anspruch aus § 985 BGB lassen sich mehr Einwendungen entgegenhalten. Der Anspruch aus § 631 I BGB wird wie folgt geprüft.
  1. Anspruchssteller = ursprünglicher unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer oder Mitbesitzer
  2. Anspruchsgegner = aktueller unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer
  3. Besitzentzug durch verbotene Eigenmacht § 858 I BGB
  4. Fehlerhaftigkeit des Besitzes § 858 II BGB
  5. Kein Ausschluss §§ 861 II, 863, § 864 BGB
  6. Rechtsfolge = Wiedereinräumung des Besitzes

a) Anspruchssteller =ursprüngliche Besitzer
Zunächst muss der Anspruchssteller der ursprüngliche Besitzer gewesen sein. Mit Besitzer ist der unmittelbare Besitzer nach § 854 I BGB gemeint, aber auch der mittelbarer Besitzer, welches sich aus § 869 BGB ergibt, und auch der Mitbesitzer nach § 866 BGB, sofern der Besitz entzogen wurde.
b) Anspruchsgegner = aktueller unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer
Der Anspruchsgegner muss entweder aktueller unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer sein.
c) Besitzentzug durch verbotene Eigenmacht § 858 I BGB
Die verbotene Eigenmacht ist in § 858 I BGB legaldefiniert. Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht). Im Falle des § 861 I BGB kommt nur eine Besitzentziehung in Betracht. Besitzentzug ist der totale und dauerhafte Ausschluss der Sachherrschaft. Darüber hinaus muss der Besitzentzug widerrechtlich sein. Hier ist insbesondere an die §§ 229, 227, 859 BGB zu denken, welche die Widerrechtlichkeit entfallen lassen.
d) Fehlerhaftigkeit des Besitzes § 858 II BGB
Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft, § 858 II 1 BGB. Jetzt kann es passieren, dass der, der die verbotene Eigenmacht ausgeübt hat, verstirbt, was jedoch wegen § 858 II 2 Alt. 1 BGB unschädlich ist. Demnach muss der Erbe des Besitzers (der Besitz geht gem. § 857 BGB auf den Erben über und nicht nach § 1922 I BGB!) die Fehlerhaftigkeit gegen sich gelten lassen. Außerdem muss der Besitznachfolger die Fehlerhaftigkeit gegen sich gelten lassen, wenn er die Fehlerhaftigkeit gemäß § 858 II 2 Alt. 2 BGB (positiv) kennt.
e) kein Ausschluss §§ 861 II, 863, 864 BGB
Der Anspruch darf im Übrigen nicht nach den §§ 861 II, 864 BGB ausgeschlossen sein. Hier hilft die Lektüre des Gesetzes. § 861 II BGB erfasst die Konstellation, wenn der Bestohlene sich die Sache vom Dieb wieder zurücknimmt und der Besitz des Diebs im letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist. Das darf nicht mehr der Dreipersonenkonstellation verwechselt werden, wo eine petitorische Widerklage einschlägig ist. Mehr dazu erfahrt ihr in unseren Unterrichtskursen. § 863 BGB stellt klar, dass als Recht zum Besitz des Entziehers nur die Behauptung geltend gemacht werden kann, dass die Entziehung keine verbotene Eigenmacht war. § 864 I BGB regelt, dass der Anspruch ein Jahr nach Ausübung der verbotenen Eigenmacht erlischt. Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann, § 864 II BGB.
f) Rechtsfolge = Wiedereinräumung des Besitzes
Rechtsfolge ist bei Vorliegen der Voraussetzungen, dass der Anspruchssteller die Widereinräumung des Besitzes verlangen kann.

8. Anspruch wegen Besitzstörung

Der Anspruch wegen Besitzstörung ist in § 862 I 1 BGB normiert. Demnach kann der Besitzer, welcher durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört wird, vom Störer Beseitigung der Störung verlangen. Sind weitere Störungen auch zukünftig zu befürchten kann der Besitzer auf Unterlassung klagen, § 862 I 2 BGB.
  1. Anspruchssteller = ursprünglich unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer
  2. Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht § 858 I BGB
  3. Anspruchsgegner = Störer
  4. Kein Ausschluss §§ 862 II, 863, 864 BGB
  5. Rechtsfolge = Beseitigung der Störung oder Unterlassung der Störung
a) Anspruchssteller = ursprüngliche unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer
Hier ergeben sich grundsätzlich keine Unterschiede zu dem bisher Festgestellten zu § 861 I BGB mit der Ausnahme, dass der Mitbesitzer nach § 866 BGB nicht anspruchsberechtigt ist. Bloße Besitzstörung müssen die Mitbesitzer hinnehmen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 866 BGB.
b) Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht § 858 I BGB
Ferner muss der Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört werden. Verbotene Eigenmacht ist wie schon erwähnt in § 858 I BGB legaldefiniert. In diesem Falle greift der § 858 I Alt. 2 BGB. Besitzstörung ist die Beeinträchtigung der Sachherrschaft. Das ist auf verschiedene Art und Weise denkbar. Praktisches Beispiel wäre hier unter anderem, wenn der Nachbar vor der eigenen Garage parkt, wo das eigene Auto parkt. Zwar kann der Autoinhaber immer noch an das Auto gelangen und unter Umständen Reifen wechseln, Sachen aus – und einladen, aber nicht mehr aus der Garage fahren, sodass der Besitz an dem darin befindlichen Auto gestört ist.

c) Anspruchsgegner = Störer
Darüber hinaus muss der Anspruchsgegner Störer sein. Störer ist derjenige, wer die Störung des Besitzes selbst vornimmt (Handlungsstörer) oder geschehen lässt, obwohl er in der Lage ist sie abzuwenden und auch dazu verpflichtet ist (Zustandsstörer)

d) Kein Ausschluss §§ 862 II, 863, 864 BGB
Zuletzt darf der Anspruch nicht ausgeschlossen sein. Hier lässt sich auf die bereits getätigten Ausführungen verweisen.

e) Rechtsfolge = Beseitigung oder Unterlassung der Störung
Rechtsfolge bei Vorliegen der Voraussetzungen sind die Beseitigung der Störung, § 862 I 1 BGB. Sind auch zukünftig weitere Störungen zu befürchten, besteht ein Unterlassungsanspruch gemäß § 862 I 2 BGB.

9. Selbsthilfe des Besitzers und des Besitzdieners

Die Selbsthilfe des Besitzers ist in § 859 BGB geregelt. Dabei handelt es sich um einen besonderen Fall des Notwehrrechts, welches unter anderem die Widerrechtlichkeit der verbotenen Eigenmacht entfallen lassen kann.  Nach § 859 I BGB darf sich der Besitzer verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren. Hier ist der Besitzer noch im Besitz der Sache und wird gestört, was ihn zur Selbsthilfe berechtigt. Bei § 859 II BGB wird dem Besitzer dagegen eine bewegliche Sache mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, dann darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen. § 859 III BGB betrifft den Besitzentzug eines Grundstücks. § 859 IV BGB stellt klar, dass die Rechte auch dem Besitzer gegenüber dem Rechtsnachfolger des fehlerhaften Besitzers zustehen. Wichtig und zu beachten ist, dass gemäß § 860 BGB auch der Besitzdiener des Besitzers zur Ausübung der nach § 859 BGB bezeichneten Rechte befugt ist.

Fazit zu den Besitzformen und der Besitzschutzansprüche

Die solide Kenntnis der Besitzformen und der Besitzschutzansprüche gehört schon im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm. Sie sind häufiger Gegenstand der in der (sachenrechtliche) Zivilrechtsklausur. Oftmals werden die §§ 854 ff. BGB im Rahmen des Sachenrechts vernachlässigt, was jedoch aufgrund der aufgezeigten Aspekte vermieden werden sollte.
Dass die Kenntnis der verschiedenen Formen und der Besitzschutzansprüche für ein erfolgreiches Staatsexamen wichtig ist, liegt auf der Hand.

Solltet Ihr Euch im Sachenrecht noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Florian Bieker
 


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