Der Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193) und dolus generalis

08.05.2024 | von Hendrik Heinze



Auch wenn die Lehre vom Generalvorsatz letzten Endes anerkannter Maßen überkommen ist, handelt es sich hierbei um ein juristisches Standardwissen, das es gerade im Hinblick auf das 1. Staatsexamen zu beherrschen gilt. Diese Problematik wird vor allem im berühmten Jauchegruben-Fall des BGH relevant, denn wir in dem heutigen Artikel näher beleuchten.

Dolus generalis

Nach der Lehre vom dolus generalis wurden früher Fälle gelöst, in denen sich der Täter insofern über den Kausalverlauf irrt, als dass bei einem einheitlichen zweiaktigen Handlungsgeschehen der tatbestandliche Erfolg nicht bereits wie gewollt durch die erste Handlung verwirklicht wird, sondern ungewollt durch die zweite Handlung.

Rechtsfolgen des dolus generalis für den Vorsatz

Der Täter handelt in den vorgenannten Situationen bzgl. des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs vorsätzlich, da bei einem einheitlichen Handlungsgeschehen ein Generalvorsatz besteht. Es ist also nicht erforderlich, zwischen den beiden Handlungsakten zu differenzieren, vielmehr erstreckt sich der Vorsatz der ersten Handlung automatisch auf die zweite Handlung (Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 74 ff.).

BGH: Ablehnung der Lehre vom Generalvorsatz

Die Lehre vom dolus generalis ist jedoch abzulehnen, da sie eine unzulässige Fiktion zu Lasten des Täters darstellt. Schließlich handelt der Täter zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung in der Gestalt des zweiten Handlungsakts nicht vorsätzlich (Verstoß gegen das in Art. 103 II GG und § 1 StGB geregelte Analogieverbot). Der Vorsatz muss sich nach dem Simultanitätsprinzip / Koinzidenzprinzip i.S.d. § 8 StGB i.V.m. § 16 I StGB stets auf die konkrete Tathandlung beziehen und nicht auf das allgemeine Tatgeschehen an sich.

Der Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193)

Der Problematik des dolus generalis verdeutlicht sich v.a. im sogenannten Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193 = BGH, Urteil vom 26.04.1960 - 5 StR 77/60).

Sachverhalt

Der Täter will das Opfer anfangs töten und würgt es so lange, bis er es irrtümlich für tot hält. Anschließend wirft er das nur bewusstlose Opfer ohne aktuellen Tötungswillen in eine Jauchegrube, um die vermeintliche Leiche zu beseitigen. Das Opfer stirbt erst in der Jauchegrube. Wie hat sich der Täter strafbar gemacht?

Rechtliche Behandlung des Jauchegruben-Falls in der Klausur

Das Verhalten des Täters ist vorliegend unzweifelhaft für die Tötung des Opfers kausal, den es kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
Auch eine betreffende objektive Zurechenbarkeit ist zu bejahen, da kein atypischer Kausalverlauf vorliegt. Es liegt schließlich nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein potentielles Tötungsopfer die Attacke überlebt und der Täter als Laie nicht dazu in der Lage ist zu unterscheiden, ob zu dem Zeitpunkt des Wurfs in die Jauchegrube ein bewusstloser Mensch oder eine Leiche vorliegt. Mithin ist es durchaus denkbar, dass erst die Beseitigung in der Jauchegrube zum Ableben des Opfers (durch Ertrinken) führt.
Fraglich ist jedoch, ob der Täter bzgl. der Tötung vorsätzlich gehandelt hat.
Eine Ansicht: Nach der früher vertretenen Lehre vom dolus generalis liegt mit dem Würgen und Versenken ein einheitliches Handlungsgeschehen vor, das von einem allgemeinen Generalvorsatz umfasst wird (Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 74 ff.). Hiernach wäre eine Strafbarkeit wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts zu bejahen.
Die Lehre vom dolus generalis ist jedoch abzulehnen, da sie eine unzulässige Fiktion zu Lasten des Täters darstellt (s.o.).
Andere Ansicht: Nach einer anderen Ansicht liegen zwei selbstständige Handlungen in Tatmehrheit (Realkonkurrenz) gem. § 53 StGB vor. Bezüglich der ersten Tathandlung liegt eine versuchte Tötung und bzgl. der zweiten Tathandlung eine fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB vor (Backmann, JuS 1972, 196, 199).
Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass sie nicht berücksichtigt, dass die beiden Teilakte (Würgen und Versenken) nicht beziehungslos zueinander stehen. Ein einheitliches Geschehen würde also willkürlich auseinandergerissen.
Weitere Ansicht: Nach einer weiteren Ansicht (Rspr.) ist an die mit Tötungsvorsatz begangene Ersthandlung anzuknüpfen und zu fragen, ob danach eine wesentliche oder nur unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vorliegt. Da nicht alle Einzelheiten eines Geschehensablaufs vorhersehbar sind, schließen unwesentliche Abweichungen, die sich in den Grenzen des nach der allgemeinen Lebenserfahrung Vorhersehbaren halten, den Vorsatz nicht aus.
Die vorliegende Abweichung (Tod durch Ertrinken in der Jauchegrube anstatt durch Erwürgen) ist als vorhersehbar einzuschätzen (s.o.). Mithin hat der Täter bzgl. der Tötung des Opfers nach dieser Ansicht (zumindest bedingt) vorsätzlich gehandelt (BGHSt 14, 193, 194).
Stellungnahme: Der dritten Ansicht ist aus rechtsdogmatischen Gründen zu folgen. Die Fiktion eines Generalvorsatzes ist zum einen nicht zulässig und zum anderen auch gar nicht erforderlich, um das Geschehen strafrechtlich angemessen zu würdigen. Die Annahme zweier selbstständiger Tathandlungen wiederum würde zu einer nicht sachgerechten getrennten strafrechtlichen Behandlung der streitgegenständlichen Teilakte führen.
Mithin ist der Täter vorliegend wegen einer vorsätzlichen Tötung des Opfers zu bestrafen. Da der kurze Sachverhalt keine Hinweise auf etwaige Mordmerkmale enthält, liegt hier ein Totschlag gem. § 212 StGB vor.

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Hendrik Heinze
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