Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – ein Rechtsinstitut wird näher beleuchtet
13.12.2024 | von Florian Bieker
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VmSzD) ist ein sehr beliebtes Klausurthema, weil es sich eben, wie so oft, um eine Dreipersonenkonstellation handelt. Das stellt Klausurkandidaten oftmals vor große Probleme. Hier gilt es zunächst zu erkennen, dass die Klausur mit dem Rechtsinstitut erstellt wurde. Das kann eine Herausforderung darstellen. Allerdings lässt sich die Problematik gut in den Griff bekommen, wenn man sich Personenskizzen anfertigt und so die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, den sog. VmSzD in der Klausur zu erkennen. Anschließend müssen die Voraussetzungen sauber und richtig strukturiert geprüft werden. Der Blogbeitrag beschäftigt sich in erster Linie mit den Voraussetzungen eines derartigen Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und verfolgt für Dich das Ziel, dass Du den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sauber prüfen kannst, nachdem Du das Rechtsinstitut in der Klausur erkannt hast.
Die Bedeutung des VmSzD in der Klausur
Zunächst besteht die Herausforderung, den VmSzD in einer Klausur zu erkennen. Das ist im Einzelfall sehr schwer. Hat man erkannt, dass der VmSzD abgeprüft wird, ist das Rechtsinstitut in der richtigen Anspruchsrichtung einzubauen und sauber zu prüfen. Jeder Examenskandidat muss die Voraussetzungen des VmSzD beherrschen. Dieses Rechtsinstitut lässt sich in nahezu jeder Zivilrechtsklausur einbauen. Die Kenntnis ist elementar, um im Examen auch unbekannte Sachverhalte in den Griff zu bekommen.Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher dieses Rechtsinstitut näherbringen.
Das Wichtigste zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
1. Allgemeines
Bei dem VmSzD handelt es sich um eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme zur Relativität der Schuldverhältnisse. Andere sehen darin einen Fall der richterlichen Rechtsfortbildung gemäß § 242 BGB. Darüber hinaus wird noch die Ansicht vertreten, dass sich dieses Rechtsinstitut über ergänzende Vertragsauslegung herleitet. Der Streit über die dogmatische Herleitung braucht jedoch nicht aufgelöst zu werden, da alle Ansichten zu dem Ergebnis gelangen, dass das Rechtsinstitut anerkannt ist. Grundsätzlich gilt, dass die Schuldverhältnisse nur inter partes wirken, aber in diesem Fall ist es so, dass der Dritte in den Schutzbereich eines Schuldverhältnisses einbezogen wird und selbstständig Ansprüche gegen den Anspruchsgegner geltend machen kann. Bestes Beispiel ist hierfür das Kind einer Mutter, welches im Baumarkt beim Einkaufen ausrutscht, in ein Regal mit Werkzeugen fällt und sich dadurch verletzt, weil der Boden des Baumarkts nicht ordnungsgemäß gereinigt wurde.Zur Verdeutlichung erfolgt eine Personenskizze:
Jetzt stellt sich die Frage, welche Ansprüche das Kind gegen den Geschäftsbetreiber geltend machen kann. Vertragliche Ansprüche scheiden aus, weil das Kind mit dem Geschäftsbetreiber keinen Vertrag geschlossen hat und bei Minderjährigkeit auch nicht ohne weiteres einen Vertrag mit dem Geschäftsbetreiber schließen könnte (§§ 106 ff. BGB). Quasivertragliche Ansprüche (c.i.c.) scheiden ebenfalls aus, weil eine Vertragsanbahnung hier allenfalls zwischen Mutter und Geschäftsbetreiber ansteht. Dingliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche kommen nicht in Betracht, sodass deliktische Ansprüche zu prüfen sind. Hier könnte man jetzt an einen Anspruch aus § 831 I 1 BGB denken. Dieser wird jedoch in aller Regel scheitern, wenn der Angestellte stets sorgfältig gearbeitet hat, dazu angeleitet und überwacht wurde, was dem Geschäftsbetreiber die Möglichkeit der Exkulpation nach § 831 I 2 BGB eröffnet. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheidet mangels kausaler Rechtsgutverletzungshandlung aus, wenn die Verkehrssicherungspflicht vollständig vom Geschäftsbetreiber auf den Angestellten übertragen wurde. Dem Geschäftsbetreiber obliegt dann nur noch die Pflicht der ordnungsgemäßen Überwachung, welches bereits im § 831 I 2 BGB thematisiert wurde und auch im Rahmen des § 823 I BGB dazu führt, dass keine Rechtsgutverletzungshandlung des Geschäftsbetreibers vorliegt. Ein Anspruch aus § 823 II i.V.m. § 223 I oder § 229 StGB wird in aller Regel an dem Vorsatz einer Körperverletzung bzw. an der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung ausscheidet, weil dem Geschäftsbetreiber aus den gleichen Gründen keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Ansprüche direkt gegen den Angestellten können beispielsweise scheitern, wenn dieser insolvent ist. Im Ergebnis hätte das zur Folge, dass der Dritte leer ausgehen würde. Das ist unbillig. Einzige Lösung ist hier das Rechtsinstitut VmSzD, indem der Dritte in das (vor)vertragliche Schuldverhältnis zwischen der Mutter und dem Geschäftsbetreiber einbezogen wird, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Nicht nur in vertragliche Schuldverhältnisse, sondern auch in vorvertragliche Schuldverhältnisse kann der Dritte einbezogen werden. Zunächst ist in einem Gutachten jedoch kurz festzustellen, dass zwischen dem Dritten und dem Geschäftsbetreiber kein Schuldverhältnis vorliegt, sondern nur zwischen der Mutter und dem Geschäftsbetreiber. Anschließend wird die Anspruchsgrundlage der Mutter gegen den Geschäftsbetreiber (c.i.c.) i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geprüft.
2. Leistungsnähe
Erste Voraussetzung ist die Leistungsnähe. Leistungsnähe ist dann gegeben, wenn der Schuldner bestimmungsgemäß mit den Gefahren der Leistung genauso in Berührung kommt wie der Gläubiger. Bei einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ist auf die Schutzpflichten abzustellen, weil es hier noch keine Leistungspflichten gibt. Hier kommt das Kind genauso wie die Mutter auch mit den Gefahren der nicht ordnungsgemäßen Reinigung in Berührung, sodass die Voraussetzung gegeben ist.3. Gläubigernähe
Gläubigernähe beschreibt nach der Wohl und Wehe-Formel, dass der Gläubiger für das Wohl und Wehe des Dritten verantwortlich sein muss. Das ist hier unproblematisch der Fall, indem die Mutter für das Wohl und Wehe ihres Kindes nach § 1626 I BGB verantwortlich ist. Darüber hinaus beurteilt sich nach der aktuelleren Rechtsprechung die Gläubigernähe danach, ob sich ein Interesse an der Einbeziehung in das Schuldverhältnis aus den Umständen ergibt. Das wird man hier auch bejahen müssen.4. Erkennbarkeit für den Schuldner
Erkennbarkeit für den Schuldner meint, dass die Leistungsnähe und die Gläubigernähe für den Schuldner erkennbar sein müssen. Hier ist nicht Voraussetzung, dass er die Dritten exakt kennt, sondern es genügt, dass es für ihn kalkulierbar und vorhersehbar ist, was man hier wohl unproblematisch annehmen kann.5. Schutzbedürftigkeit des Dritten
Die Schutzbedürftigkeit des Dritten ist dann gegeben, wenn der Dritte keine eigenen und gleichwertigen Ansprüche gegen den Schuldner hat. Gleichwertig sind nur eigene vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche. Zu beachten ist hier, dass schuldrechtliche und deliktische Ansprüche keine gleichwertigen Ansprüche sind. Dies folgt aus dem Umstand, dass im vertraglichen Bereich Vermögensschäden ersetzt werden, im deliktischen Bereich dagegen nicht. Darüber hinaus gibt es im vertraglichen Bereich grundsätzlich die Verschuldensvermutung nach § 280 I 2 BGB. Im deliktischen Bereich existiert eine solche Verschuldensvermutung dagegen nicht. Außerdem gibt es im vertraglichen Bereich die Zurechnung von fremden Verschulden nach § 278 BGB, welche im Deliktsrecht ebenfalls nicht existiert. Hier sind keine eigenen Ansprüche des Dritten (Kind) gegen den Geschäftsbetreiber ersichtlich, sodass die Schutzbedürftigkeit gegeben ist.6. Rechtsfolge
Rechtsfolge ist bei Vorliegen der Voraussetzungen, dass der Dritte in den Schutzbereich des Vertrages mit einbezogen wurde und somit selbstständig Ansprüche aus dem Schuldverhältnis i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geltend machen kann.7. Tipps für die Klausur
Die Klausur mit einem VmSzD ist in vielen Fällen eine Klausur mit sehr vielen beteiligten Personen. Eine ausführliche Personenskizze, in der alle Schuldverhältnisse zwischen den Personen kurz skizziert werden, ist da sehr hilfreich, um einen Überblick zu bekommen und den VmSzD zu identifizieren. Personenskizzen helfen in zivilrechtlichen Klausuren generell sehr, um den Sachverhalt in den Griff zu bekommen und schnell zu ordnen.Fazit zum VmSzD
Die herausragende Bedeutung des Rechtsinstituts VmSzD sollte jedem Studenten und Referendar bewusst sein.Die solide Kenntnis der Grundsätze und prüfungsrelevanten Merkmale gehört schon im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm. Häufig stellt sich zunächst das Problem, dass man die Rechtsfigur im Sachverhalt erkennen muss. Hat man das geschafft, so hat man die erste Hürde genommen und es folgt das saubere Prüfen der Voraussetzungen. Hier dürfen keine Schwächen gezeigt werden, da eine souveräne Kenntnis der Prüfungspunkte vorausgesetzt wird.
Wie man sieht, handelt es sich um ein eher anspruchsvolles Thema, welches jedoch mit übersichtlichen Personenskizzen und akribischen Prüfen der Voraussetzungen in den Griff zu bekommen ist.
Solltet Ihr Euch im Schuldrecht und insbesondere im Bereich des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.
Florian Bieker
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