Der Widerruf gem. §§ 355 ff. BGB – eine vereinfachte klausurorientierte Darstellung

06.09.2024 I Florian Bieker



Der Widerruf kann auf mannigfaltiger Art und Weise in einer Examensklausur eingebaut werden. Das Regelungskonstrukt der §§ 312 ff. BGB erscheint zunächst unübersichtlich und komplex. Hat man das System dieser Vorschriften jedoch verstanden, so gestaltet sich der Widerruf eher als „Arbeit mit dem Gesetz“.

Die Bedeutung des Verbraucherwiderrufs in der Klausur

Jeder Examenskandidat muss den Widerruf nach den §§ 355 ff. BGB beherrschen. Bei dem Widerruf handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, welches in der Regel im Rahmen der Prüfungsebene Anspruch erloschen geprüft wird. Allerdings sind auch andere Aufbaumöglichkeiten denkbar, indem z.B. nach Werteersatzansprüchen des Unternehmers gegen den Verbraucher gefragt wird (z.B.: § 357a I BGB), wofür ein Widerrufsrecht und die ordnungsgemäße Ausübung des Widerrufsrechts Voraussetzung sind. Die „Klausur mit dem Widerruf“ gestaltet sich, wie schon erwähnt, oftmals als Gesetzesarbeit, sodass eine nähere schematische Betrachtung im Hinblick auf eine Klausur von Vorteil ist.
Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die Regelungssystematik und die wichtigsten Vorschriften des Widerrufs näherbringen.

Der Verbraucherwiderruf – eine schematische Betrachtung

1. Eingliederung im Anspruchsaufbau

Zunächst ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, wo genau der Widerruf eingeordnet wird. Der Anspruchsaufbau gliedert sich bekanntermaßen in die drei Prüfungsebenen Anspruch entstanden, Anspruch erloschen und Anspruch durchsetzbar.
  1. Anspruch entstanden (hier z.B. Prüfung von rechtshindernden Einwendungen gem. § 125 S.1 BGB oder § 138 I BGB)
  2. Anspruch erloschen (z.B. durch rechtsvernichtende Einwendungen wie Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB oder Widerruf nach §§ 355 ff. BGB)
  3. Anspruch durchsetzbar (z.B. Prüfung einer Verjährung nach § 214 I BGB)

2. Voraussetzungen

Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach § 355 I 1 BGB eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat.
So ist zunächst erforderlich, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gegen den Unternehmer zusteht.
  1. Widerrufsrecht
Zunächst müssen sich ein Verbraucher und Unternehmer gegenüberstehen. Die Verbrauchereigenschaft ist in § 13 BGB geregelt. Demnach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Entscheidend ist also, dass das Rechtsgeschäft überwiegend zu privaten Zwecken bzw. zur privaten Nutzung abgeschlossen wird. So kann ein Anwalt beispielsweise ein privates Geschäft tätigen, wenn er einen Staubsauger für sich privat zuhause über seine Kanzlei bestellt.
Der Unternehmer ist in § 14 BGB geregelt. Gem. § 14 I BGB ist ein Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Hierunter fallen auch Freiberufler. In § 14 II BGB ist dann geregelt, was eine rechtsfähige Personengesellschaft ist. Dies kann z.B. eine OHG oder KG sein.
Steht ein Verbraucher nun einem Unternehmer gegenüber, so ist erforderlich, dass ein Verbrauchervertrag i.S.d. § 312 I BGB vorliegt. Demnach ist Voraussetzung, dass der Verbraucher sich zur Zahlung eines Preises verpflichtet, wobei gem. § 312 Ia BGB zu beachten ist, dass die Vorschriften auch dann anwendbar sind, wenn der Verbraucher personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Bürgschaft keinen solchen Verbrauchervertrag darstellt, weil sich der Bürge hier nicht zur Zahlung eines Preises verpflichtet und § 312 I BGB auf entgeltliche Austauschverträge abzielt, was bei der Bürgschaft als einseitiges Rechtsgeschäft gerade nicht der Fall ist. Außerdem ist hier noch § 312 II BGB zu beachten, wonach bei gewissen Verträgen eine Bereichsausnahme besteht.
Die wichtigsten Verbraucherverträge, die nach §§ 312g I, 355 BGB, §§ 495 I, 355 BGB und §§ 650l, 355 ein Widerrufsrecht geben, sind die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312b BGB, Fernabsatzverträge gem. § 312c BGB, Verbraucherdarlehensverträge nach § 491 BGB und Verbraucherbauverträge nach § 650i BGB. Hier hilft das Gesetz enorm weiter, indem alle relevanten Voraussetzungen und Definitionen in den entsprechenden Paragraphen zu finden sind.
Zuletzt darf das Widerrufsrecht nicht nach § 312g II BGB ausgeschlossen sein. Hier findet sich ein sehr langer Katalog von Nr. 1-13, mithin hat wieder Arbeit mit dem Gesetz zu erfolgen. 
  1. ordnungsgemäße und fristgerechte Ausübung des Widerrufs
Der Widerruf erfolgt durch Erklärung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, § 355 I 2 BGB. Hier muss der Verbraucher nicht das Wort widerrufen verwenden, sondern der Entschluss zum Widerruf des Vertrages muss gem. § 355 I 3 BGB aus der Erklärung eindeutig hervorgehen. Es handelt sich also um eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Erklärende zum Ausdruck bringt, dass er sich nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlt.
Grundsätzlich beträgt die Widerrufsfrist gem. § 355 II BGB 14 Tage und beginnt mit Vertragsschluss. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich im § 356 und den §§ 356a-356e BGB zahlreiche Sonderregelungen, insbesondere zur Frist, finden, die dann greifen, wenn ein derartiger Vertrag vorliegt. Auch hier heißt es wieder arbeitet mit dem Gesetz, um zur richtigen Lösung zu gelangen.
Liegen die Voraussetzungen dann alle vor, stellen sich die Fragen der Rechtsfolgen eines derartigen Widerrufs.

3. Rechtsfolgen des Widerrufs

Hier ist § 355 III 1 BGB zu beachten, der besagt, dass die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren sind. Es handelt sich im Gegensatz zur Anfechtung (ex tunc-Wirkung gem. § 142 I BGB) bei dem Widerruf um eine ex-nunc-Wirkung. Auch hier ist zu beachten, dass für jeden Verbrauchervertrag in den § 357, §§ 357a-357e spezielle Rechtsfolgen normiert sind. Ebenfalls ist die Herausforderung wieder mal, dass mit dem Gesetz gearbeitet und die maßgebliche Vorschrift aufgefunden und angewendet werden muss.
 

4. Sonderfall verbundene Verträge gem. § 358 BGB

Verbunden sind die Verträge über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung und ein Darlehensvertrag gem. § 358 III BGB dann, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Wirtschaftliche Einheit ist dann anzunehmen, wenn die Verträge miteinander stehen und fallen sollen.
 

Hier eignet sich zum besseren Verständnis zunächst eine Skizze:



Bedient sich der Käufer also zur Finanzierung des Kaufs eines teuren Fernsehers eines Darlehens bei einer Bank und sollen diese Verträge miteinander stehen und fallen, so handelt es sich um verbundene Verträge i.S.d. § 358 III 1 BGB. Oftmals ist es in der Praxis auch so, dass Bank und Verkäufer Kooperationsverträge schließen, sodass bei dem Kauf des Fernsehers direkt auch ein Darlehensvertrag in Vertretung für die Bank abgeschlossen wird. Das hat den Zweck, dass sowohl Verkäufer als auch Bank mehr Umsätze generieren können.
Dem Käufer darf allerdings aus dieser Konstellation kein Nachteil erwachsen. Deshalb sind hier besonderes die Widerrufsdurchgriffe nach § 358 I, II BGB erwähnenswert. Mit dem Widerruf des Kaufvertrages wird nach § 358 I BGB auch der Darlehensvertrag widerrufen. Umgekehrt gilt das genauso, § 358 II BGB.
Darüber hinaus ist auch § 359 I 1 BGB zu beachten. Hierbei handelt es sich um einen Einwendungsdurchgriff. Hier kann der Verbraucher gegenüber dem Darlehensgeber alle Einwendungen und auch, entgegen dem Wortlaut, Einreden entgegenhalten, die er aus dem Verhältnis zwischen ihm und dem Verkäufer entgegenhalten kann. Ausgeschlossen ist dies nur in den Fällen von § 359 I 2, 3 und § 359 II BGB.

Fazit zum Verbraucherwiderruf

Die herausragende Bedeutung der juristischen Grundlagen des Verbraucherwiderrufs sollte jedem Studenten bekannt sein.
Gerade aufgrund der mannigfaltigen Widerrufsmöglichkeiten in verschiedenen Konstellationen sollte man das Thema nicht unterschätzen und unvorbereitet auf dieses Thema sein oder gar „auf Lücke lernen“. Zu mindestens die Grundkenntnisse und die Art und Weise der Gesetzesarbeit müssen bekannt sein, um sog. Widerrufsfälle in den Griff zu bekommen.
Gestaltungsrechte wie der Widerruf haben eine hohe Examensrelevanz und können mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer der drei Examensklausuren im Zivilrecht abgeprüft werden.
Solltet Ihr Euch im Schuldrecht, speziell im Bereich des Widerrufrechts, noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Florian Bieker
 

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