Die Anfechtung nach § 119 und § 120 BGB – eine nähere Betrachtung



14.08.2024 I Florian Bieker

Für die Examensvorbereitung spielen die Kenntnisse des Anfechtungsrechts eine wesentliche Rolle. Sie sind für das Gelingen einer Examensklausur elementar. Fehler in diesem Bereich gelten als Grundlagenfehler und werden hart abgestraft. Daher ist eine nähere Betrachtung der Anfechtung nach § 119 BGB und § 120 BGB von Vorteil.

Die Bedeutung der Anfechtung in der Klausur

Jeder Examenskandidat muss die Anfechtung in all ihren Ausprägungen sicher beherrschen. Ihre Kenntnis ist elementar, um im Examen auch unbekannte Sachverhalte in den Griff zu bekommen und entsprechend unter die passende Anfechtungsvorschrift subsumieren zu können. Darüber hinaus ist zu beachten, dass zwischen der Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts und des Verfügungsgeschäfts streng unterschieden werden muss. Beachtet man dies nicht, kann die Klausur unter Umständen schon „im Teich sein“.
Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die wichtigsten Grundsätze des Anfechtungsrechts gem. § 119 und § 120 BGB näherbringen.

Die Anfechtung als Gestaltungsrecht

1. Prüfungsaufbau

Zunächst ist es erst einmal von Vorteil, wenn man sich den Prüfungsaufbau einer Anfechtung vergegenwärtigt. Die Anfechtung wird im Rahmen der Prüfungsebene Anspruch entstanden oder Anspruch erloschen geprüft. Beides ist vertretbar. Gehen wir hier davon aus, dass die Anfechtung als rechtsvernichtende Einwendung auf der Prüfungsebene Anspruch erloschen geprüft wird, ergibt sich folgendes Schema:


2. Zulässigkeit der Anfechtung

Zunächst stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer Anfechtung. Zulässig ist die Anfechtung bei Willenserklärungen und geschäftsähnlichen Handlungen, auf die die Regeln der Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden.
Ein Problem ergibt sich im Hinblick auf das Verhältnis zu den §§ 434 ff. BGB jedoch dann, wenn die Sache übergeben wurde und sie sich als mangelhaft herausstellt. Dann wird das Anfechtungsrecht des Käufers durch die §§ 434 ff. BGB verdrängt, weil ansonsten dem Verkäufer das Recht zur zweiten Andienung aus der Hand geschlagen werden würde. Außerdem könnte die Verjährungsfrist des § 438 BGB durch § 121 BGB unterlaufen werden. Anders ist dies nur dann, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Der arglistig Handelnde ist nicht schutzwürdig, sodass in einem solchem Fall auch eine Anfechtung wegen Täuschung nach § 123 I BGB möglich wäre.

3. Anfechtungserklärung gem. § 143 BGB

Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht. Das heißt, dass die Anfechtung des Rechtsgeschäfts erklärt werden muss, § 143 I BGB. Die Anfechtungserklärung ist eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Erklärende zum Ausdruck bringt, dass er sich nicht mehr an die Erklärung gebunden fühlt. Das Wort anfechten muss nicht benutzt werden, sondern es genügt, wenn sich die Erklärung als Anfechtungserklärung auslegen lässt, §§ 133, 157 BGB.
Die richtigen Anfechtungsgegner sind in § 143 II-IV BGB normiert. Bei einem Vertrag ist der richtige Anfechtungsgegner beispielsweise der andere Teil, wie sich aus § 143 II BGB ergibt.

4. Anfechtungsgrund § 119 und § 120

  1. Anfechtungsgrund § 119 I BGB

§ 119 BGB enthält zwei Absätze, aber drei Anfechtungsgründe.
In Absatz 1 sind zwei davon geregelt, mithin der Inhaltsirrtum und der Erklärungsirrtum. Ein Irrtum i.S.d. § 119 I BGB liegt vor, wenn bei Abgabe der Willenserklärung das Erklärte und Gewollte unbewusst und erheblich voneinander abweichen.
Zu differenzieren ist hier zwischen dem Inhaltsirrtum (§ 119 I Alt. 1 BGB) und dem Erklärungsirrtum (§ 119 I Alt. 2 BGB).
Bei dem Inhaltsirrtum irrt der Erklärende über die Bedeutung seiner Erklärung. Typischer Fall ist hier der „Halve Hahn“, wo der Erklärende denkt, dass er eine Hähnchenkeule bestellt, es sich allerdings in Wahrheit um ein Käsebrötchen handelt. Weitere Beispiele sind in diesem Zusammenhang unter anderem Irrtümer über die Bedeutung von Mengenangaben oder Irrtümer über den Vertragstyp.
Bei einem Erklärungsirrtum erklärt der Erklärende etwas anderes, als das, was er eigentlich erklären wollte. Typische Beispiele sind hier verschreiben, vergreifen und vertippen.
Abzugrenzen sind diese Irrtümer von bloßen Motivirrtümern oder Rechtsfolgenirrtümern, die unbeachtlich sind und gerade keinen Anfechtungsgrund i.S.d. § 119 I BGB darstellen.
Bei einem bloßem Motivirrtum irrt der Erklärende über den Beweggrund zur Abgabe seiner Willenserklärung. Als Beispiel kann man hier anführen, wenn sich nur über den Wert der Sache geirrt wird, welcher in Wahrheit viel geringer ist. Ein weiteres einprägsames Beispiel ist dann gegeben, wenn versucht wird, die Ehe mit einer Reisebuchung zu retten, was jedoch nicht gelingt.
Bei Rechtsfolgenirrtümer irrt der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Erklärung. Als Beispiel kann in dem Zusammenhang angeführt werden, dass der Erklärende über die Länge von Gewährleistungsfristen irrt oder er denkt, dass die Sachmängelhaftung nach §§ 437 ff. BGB nicht gilt, weil sie nicht vereinbart wurde, obwohl sie kraft Gesetz greift.
Die Motivirrtümer wurden vom Gesetzgeber abschließend in § 119 BGB geregelt, sodass alle anderen Motivirrtümer nicht zur Anfechtung berechtigen können, denn es gilt der Grundsatz pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten).
  1. Anfechtungsgrund § 119 II BGB

Wie schon eingangs erwähnt, findet sich in § 119 II BGB ein weiterer Anfechtungsgrund. Dieser wird als sog. Eigenschaftsirrtum bezeichnet. Eine Eigenschaft ist eine solche, die der Person oder Sache unmittelbar für gewisse Dauer anhaftet und für die Wertschätzung erheblich ist. Beispiele für Eigenschaften einer Person sind unter anderem die Vertrauenswürdigkeit, das Alter und die Qualifikation. Nicht dagegen ist beispielsweise die Schwangerschaft die Eigenschaft einer Frau, weil sie nur vorübergehend und nicht von einer gewissen Dauer ist. Bei einer Sache ist beispielsweise das Material, die Qualität und die Herkunft eine Eigenschaft i.S.d. § 119 II BGB. Nicht dazu zählen der Wert und der Preis, welcher sich durch äußere Faktoren bestimmt.
Verkehrswesentlich ist die Eigenschaft dann, wenn sie nach der Verkehrsanschauung oder dem geschlossenen Vertrag bedeutsam ist.
  1. Anfechtungsgrund § 120 BGB

Zuletzt ist noch der Anfechtungsgrund des § 120 BGB näher zu betrachten. Demnach ist derjenige zur Anfechtung berechtigt, welcher eine Willenserklärung durch eine andere Person oder Einrichtung übermitteln lässt, wenn diese die Erklärung falsch übermitteln. § 120 BGB ist also nur auf den Erklärungsboten anwendbar und greift dann, wenn der Erklärungsbote inhaltlich und unbewusst falsch übermittelt. Übermittelt dieser die Willenserklärung bewusst falsch, so finden die §§ 177 ff. BGB analoge Anwendung.

5. Anfechtungsfrist § 121 I BGB

Weiterhin ist zu beachten, dass der Erklärende die Anfechtung fristgerecht erklärt. Die Anfechtungsfrist lässt sich § 121 I 1 BGB entnehmen. Demnach hat der Erklärende in den Fällen der §§ 119, 120 BGB die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) zu erklären, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Das bedeutet grundsätzlich sofort.

6. kein Ausschluss: § 121 II oder § 141 I BGB

Zuletzt ist noch zu prüfen, ob evtl. ein Ausschluss der Anfechtung nach § 121 II oder § 144 I BGB in Betracht kommt. Dies ist jedoch in der Regel sehr selten und muss daher im Sachverhalt auch deutlich angelegt sein.

7. Rechtsfolge § 142 I BGB

Liegen die Voraussetzungen dann alle vor, kann der Erklärende das Rechtsgeschäft anfechten. Gemäß § 142 I BGB ist das Rechtsgeschäft dann von Anfang als nichtig anzusehen (ex-tunc-Wirkung).

Fazit zum Anfechtungsrecht

Die herausragende Bedeutung der juristischen Grundlagen des Anfechtungsrechts sollten nicht unterschätzt werden. Fehler in diesem Feld werden von den Prüfern hart abgestraft, insbesondere deswegen, weil es sich um ein Grundlagenthema aus dem BGB AT handelt. Wie man sieht, bietet das Gesetz in dem Fall eine sehr gute Stütze, welches man unbedingt nutzen und bei der Fallbearbeitung heranziehen sollte, sodass die Anfechtungsfälle durch saubere Arbeit mit dem Gesetz in den Griff zu bekommen sind.
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Florian Bieker
 


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