Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung gem. § 123 I BGB – das Wichtigste in schematischer Form klausurorientiert dargestellt
27.09.2024 | von Florian BiekerBei dem Anfechtungsrecht handelt es sich um eine Materie aus dem BGB AT, welche von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Klausur ist. In nahezu jeder Zivilrechtsklausur kann man eine Anfechtung einbauen. BGB AT steht nach dem Klammerprinzip an oberster Stelle und umklammert alle anderen Rechtsgebiete aus dem Zivilrecht, sodass sich beispielsweise auch im Sachenrecht eine Anfechtung bei einer Prüfung der §§ 929 ff. BGB im Rahmen der dinglichen Einigung integrieren lässt. Erfahrungsgemäß wird das BGB AT vernachlässigt, was jedoch ein schwerer Fehler ist, da Fehler in diesem Bereich hart abgestraft werden.
Die Bedeutung der Anfechtung in der Klausur
Die Grundkenntnisse sind elementar wichtig für das Gelingen der (Examens)klausur. Jeder Examenskandidat muss die wesentlichen Grundzüge und das Schema der Anfechtung beherrschen, um sich im Ernstfall der Klausur keine Blöße zu geben. Fehler in diesem Bereich stellen Grundlagenfehler dar, welche jedoch vermeidbar sind. Gerade in diesem Bereich darf nicht auf Lücke gelernt werden. Das Aufbauschema der Anfechtung und die entsprechenden Definitionen sind hier besonders wichtig, lassen sich jedoch auch gut aus dem Gesetz ableiten.Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die wichtigsten Grundsätze der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Drohung im Rahmen einer schematischen Darstellung näherbringen.
Die Anfechtung gem. § 123 I BGB als Gestaltungsrecht
1. Allgemeines
Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht und kann auf der Ebene „Anspruch entstanden“ oder „Anspruch erloschen“ geprüft werden. Beides ist vertretbar. Hier wird die Anfechtung auf der Ebene Anspruch erloschen geprüft. Da es sich bei der Anfechtung, wie schon eingangs erwähnt, um ein Gestaltungsrecht handelt, ist die Anfechtung nach § 143 I BGB zu erklären. Daher ergibt sich folgendes Prüfungsschema für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I Alt. 1 BGB) oder Drohung (§ 123 I Alt. 2 BGB) nach § 123 I BGB.Bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung handelt es sich um eine solche, die neben den §§ 434 ff. BGB anwendbar ist. Der arglistig Handelnde ist nicht schutzwürdig, sodass die §§ 434 ff. BGB im Gegensatz zur Anfechtung nach § 119 BGB keine Sperrwirkung entfalten.
2. Anfechtungserklärung gem. § 143 I BGB
Die Anfechtung ist zu erklären, § 143 I BGB. Dabei handelt es sich um eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die Erklärende zum Ausdruck bringt, dass er sich nicht mehr an das Rechtsgeschäft gebunden fühlt. Richtiger Anfechtungsgegner ist nach den § 143 II-IV BGB zu ermitteln. Im Rahmen der Erklärung muss der Erklärende nicht das Wort Anfechtung verwenden, sondern es ist im Rahmen einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob es sich bei der Erklärung des Erklärenden um eine solche Anfechtungserklärung i.S.d. § 143 I BGB handelt.3. Anfechtungsgrund arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung
Eine Täuschung liegt dann vor, wenn der Erklärende auf das Vorstellungsbild eines anderen ausdrücklich oder konkludent einwirkt, sodass ein Irrtum bei dem Erklärungsempfänger hervorgerufen wird oder ein bestehender Irrtum aufrechterhalten wird. Beispiel ist hier unter anderem die schwangere Frau, die auf die Frage des Arbeitgebers, ob sie schwanger ist, mit „Nein“ antwortet. Allerdings ist zu beachten, dass auch konkludent getäuscht werden kann. Außerdem kann eine Täuschung auch durch Unterlassen erfolgen, wenn eine Aufklärungspflicht gem. § 242 BGB besteht, der Vertragspartner also nach Treu und Glauben eine Aufklärung erwarten kann oder Umstände bestehen, die für den anderen von erkennbarer Bedeutung sind. Beispielsweise kann der Vertragspartner im Gebrauchtwagenhandel erwarten, dass der Verkäufer über vorherige Unfallschäden aufklärt und erst recht auch dann, wenn der Käufer vorab noch nachfragt. Tut er dies nicht, so täuscht der Verkäufer durch Unterlassen. Etwas anders ist die Lage dann, wenn es sich lediglich um einen Bagatellschaden handelt.Bei einer Drohung handelt es sich, um die Inaussichtstellung eines künftigen Übels, auf das der Erklärende Einfluss zu haben vorgibt. Beispielsweise droht der Vertragspartner mit Schlägen und Tritten, wenn der andere den Vertrag nicht unterzeichnet, sodass in einer solchen Konstellation von einer Drohung gesprochen werden kann.
4. kausaler Irrtum
Bei einer Täuschung muss die Täuschung zu einem kausalen Irrtum des Vertragspartners geführt haben. Irrtum ist jede Fehlvorstellung über Tatsachen. Kausal ist die Täuschung dann, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg bzw. der Irrtum entfallen würde (conditio sine qua non Formel).5. kausale Abgabe der Willenserklärung beim Getäuschten bzw. Genötigten
Im Rahmen der Täuschung ist eine doppelte Kausalität erforderlich, dass die Täuschung zu einem Irrtum und dieser Irrtum zur Abgabe der Willenserklärung geführt hat.Bei der Drohung muss die Drohung ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung sein.
6. Arglist (nur bei der Täuschung anzusprechen)
Der Täuschende muss arglistig handeln. Arglist meint Minimum dolus eventualis, was bedeutet, dass der Erklärende den Irrtum und die darauffolgende Abgabe der Willenserklärung durch seine Täuschung für möglich halten muss und dies billigend in Kauf nehmen. Dies ist z.B. bei Gebrauchtwagenverkäufen bei „Angaben ins Blaue hinein“, die unrichtig sind, der Fall. Anders verhält es sich, wenn der Verkäufer gutgläubig ist und ohne Leichtfertigkeit die falschen Angaben macht. Die Abgrenzung ist im Einzelfall sehr schwierig und kann nicht immer trennscharf vorgenommen werden.7. Widerrechtlichkeit
Sowohl bei Täuschung als auch bei der Drohung ist die Widerrechtlichkeit zu prüfen.Die Widerrechtlichkeit der Drohung ist dann gegeben, wenn die Zweck-Mittel-Relation verwerflich ist. Beispielsweise ist eine Drohung rechtswidrig, wenn mit einer Kündigung gedroht wird, die jedoch offensichtlich einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten würde, was im Rahmen einer inzidenten Überprüfung festzustellen wäre.
Bei der Widerrechtlichkeit handelt es sich entgegen dem Wortlaut im Hinblick auf die Täuschung um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Grundsätzlich ist jede Täuschung rechtswidrig. Ausnahmsweise kann die Täuschung jedoch dann nicht rechtswidrig sein, wenn die gestellte Frage unzulässig ist. Dies ist besonders im Arbeitsrecht relevant. Das Fragerecht des Arbeitgebers leitet sich aus Art. 12 I, 2 I GG ab. Das Fragerecht besteht dann, wenn der Arbeitgeber ein billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat. Hier ist zwischen drei Fallgruppen zu differenzieren. Zum einen die generell zulässigen Fragen, wie etwa nach Alter und Qualifikation. Hier hat der Arbeitnehmer kein Recht zur Lüge und muss die Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Bei den begrenzt zulässigen Fragen handelt es sich um solche, die in gewissem Umfang zulässig sind und der Arbeitnehmer daher unter Umständen die Wahrheit sagen muss, was beispielsweise bei Fragen zu Vorstrafen der Fall ist, die Bezug zum Beruf aufweisen. Bei generell unzulässigen Fragen handelt es sich um solche, wo der Arbeitnehmer per se ein Recht zur Lüge hat und diese nicht wahrheitsgemäß beantworten muss, wie etwa Fragen zur Schwangerschaft oder Konfession, weil diese auf eine verbotene Benachteiligung nach § 1 AGG abzielen.
8. Anfechtungsfrist nach § 124 I BGB
Die Anfechtung kann binnen eines Jahres erfolgen, § 124 I BGB. Beginn der Anfechtungsfrist ist in § 124 II BGB geregelt.9. kein Ausschluss nach § 124 III BGB
10. Rechtsfolge § 142 I
Liegen alle Voraussetzungen kumulativ vor, kann der Erklärende das Rechtsgeschäft anfechten. Rechtsfolge ist, dass das Rechtsgeschäft von Anfang an nichtig ist, § 142 I BGB (ex tunc- Wirkung).
Fazit zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlichen Drohung
Die herausragende Bedeutung der juristischen Grundlagen des Anfechtungsrechts, insbesondere der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Drohung sollte jedem Studenten und Examenskandidaten bekannt sein.Die solide Kenntnis gehört im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm. Sie sind häufiger Gegenstand von zivilrechtlichen Klausuren und können auf verschiedene Art und Weise in nahezu jeder Klausur des Zivilrechts integriert werden.
Die Voraussetzungen lassen sich weitgehend aus dem Gesetz erlesen, sodass sich ein Auswendiglernen lediglich auf die Definitionen beschränkt. Punkten kann man hier durch saubere Arbeit am Gesetz und sicheres Beherrschen der Definitionen sowie ordentlicher Subsumtion.
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Florian Bieker
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