Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte in Deiner Klausur

16.08.2024 | von Dr. Robert König

Drittwirkung von Grundrechten

Unter Drittwirkung der Grundrechte diskutiert man die Frage, ob und inwieweit die Grundrechte auch im Privatrecht zwischen den Bürgern untereinander gelten.
Vom Prüfungsaufbau her wird diese Frage zunächst bei der Beschwerdebefugnis im Rahmen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde relevant. Da hier bereits die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung des Beschwerdeführers ausreicht, sollte man sich nur kurzfassen und sagen, dass eine Grundrechtsverletzung aufgrund einer möglichen mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet. Die Problematik der mittelbaren Drittwirkung sollte man dann erst im Rahmen der Begründetheit vertiefen.

Unmittelbare Drittwirkung nur in Ausnahmefällen

Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG sind die Grundrechte unmittelbar als geltendes Recht für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung verbindlich. In diesem Sinne sind die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat.
Privatpersonen sind hingegen nach der heute ganz herrschenden Meinung bis auf sehr wenige Ausnahmen nicht direkt an Grundrechte gebunden (außer sie üben als Beliehene staatliche Funktionen aus), wie es bei staatlichen Institutionen der Fall ist. Ein Beispiel für die unmittelbare Drittwirkung ist Art. 9 Abs. 3 GG.
Im Übrigen sind Private grundrechtberechtigt, nicht aber grundrechtsverpflichtet. Aufgrund der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Privatautonomie können sie grds. ihre persönlichen Rechtsbeziehungen frei gestalten.

Mittelbare Drittwirkung (Ausstrahlungswirkung) der Grundrechte

Da die Grundrechte aber eine objektive Werteortung darstellen, ist es heutzutage anerkannt, dass die Grundrechte im Wege der mittelbaren Drittwirkung auch auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten ausstrahlen (BVerfGE 7, 198 – Lüth). In diesem Sinne wirken sie über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln (z.B. „Gute Sitten“ in § 138 BGB; „Treu und Glauben“ in § 242 BGB) in die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen hinein. Wenn die Fachgerichte das Privatrecht anwenden, haben sie die mittelbare Drittwirkung daher bei dessen Auslegung zu beachten.
Beispiel: Wenn der Vermieter seinem Mieter verbietet, eine Satellitenschüssel anzubringen, obwohl kein anderweitiger Fernsehempfang möglich ist, verstößt dies gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Aufgrund der Informationsfreiheit des Art. 5 I S. 1 HS 2 GG hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Diese Grundwertung ist über § 242 BGB auch in einem zivilrechtlichen Mietvertrag zu berücksichtigen (BVerfGE 90, 27).
Die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 128, 226 – Fraport; BVerfGE 139, 378 – Bierdosenflashmob; BVerfGE 148, 267 – Stadionverbot) hat die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte deutlich ausgeweitet. So stellt das BVerfG in seiner Fraport-Entscheidung fest, dass die mittelbare Grundwirkung je nach den Umständen des Einzelfalls der Grundrechtsbindung des Staates (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) nahe- bis gleichkommen kann (BVerfGE 128, 226, 249 – Fraport).

Mittelbare Drittwirkung des Allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 I GG

Die Frage der mittelbaren Drittwirkung betraf nach der herkömmlichen Rspr. des BVerfG nur die Freiheitsgrundrechte. Seit der Stadionverbotsentscheidung aus dem Jahre 2018 wird sie nunmehr auch für den Allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG diskutiert. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Einem Fußballfan wurde aufgrund des zivilrechtlichen Hausrechts (§§ 862 Abs. 1 S. 2 BGB, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB) durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) ein deutschlandweites Stadionverbot ausgesprochen. Nach erfolglosem Durchlaufen des ordentlichen Rechtswegs erhob er Verfassungsbeschwerde, weil er sich u.a. in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sah.
Die mittelbare Drittwirkung von Art. 3 Abs. 1 GG im Privatrecht ist v.a. im Hinblick auf die (ebenfalls grundrechtlich verbürgte) Privatautonomie problematisch. Diese ermöglicht es explizit, Vertragspartner frei zu wählen und grds. einen Zwang zum Vertragsabschluss zu verhindern. In diesem Sinne betont das BVerfG, dass Art. 3 Abs. 1 GG kein objektives Verfassungsrecht darstellt, das vorschreibt, dass Rechtsbeziehungen zwischen Privaten immer diskriminierungsfrei sein müssen (BVerfGE 148, 267, 283 – Stadionverbot).
Dennoch kann im Einzelfall, das BVerfG spricht insofern von „spezifischen Konstellationen“, der Allgemeine Gleichheitssatz auch in das Privatrecht ausstrahlen. Dazu hat das BVerfG die folgenden 3 Kriterien postuliert:
  • Öffnung einer Veranstaltung oder Einrichtung für den Publikumsverkehr ohne Ansehen der Person
  • Bedeutung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
  • Entscheidungsmacht aufgrund struktureller Überlegenheit.
Im Beispiel des Stationsverbots für sämtliche Fußballspiele bundesweit waren nach Ansicht des BVerfG diese Kriterien erfüllt (BVerfGE 148, 267, 280 ff. – Stadionverbot).
Weiteres Beispiel: Die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ klagte gegen den Meta-Konzern auf Entsperrung ihrer Facebook-Seite. In diesem Fall sah das BVerfG die spezifische Konstellation als erfüllt an und gab der Partei recht (BVerfG NJW 2019, 1935 – III. Weg).
Weiteres Beispiel: In einem anderen Fall hat das BVerfG für einen NPD-Funktionär, dem ein Hotel ein Hausverbot erteilt hatte, die spezifische Konstellation vereint. Dem Hotel kam keine Entscheidungsmacht aufgrund struktureller Überlegenheit zu, zumal man ohne Weiteres ein anderes Hotel aufsuchten konnte (BVerfG NJW 2019, 3769).
Der Begriff der spezifischen Konstellation muss in Zukunft noch weiter durch das Bundesverfassungsgericht präzisiert werden. Festhalten lässt sich jedoch, dass je mehr Macht der private Inhaber einer Veranstaltung oder Einrichtung besitzt, desto eher kann eine spezifische Konstellation mit der Folge der mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 1 GG angenommen werden (Vgl. Towfigh, Smartbook Grundrechte, S. 60).

Fazit: Der Bürger hat ein Recht auf Schutz auch im Privatrecht

Die mittelbare Drittwirkung ist ein Klassiker des Verfassungsrechts, der daher sitzen muss. Gerade durch die Neuerungen im Bereich der mittelbaren Drittwirkung von Art. 3 Abs. 1 GG ist diese Problematik in den letzten Jahren zu einem beliebten Prüfungsthema geworden. Nicht nur in den Klausuren, sondern auch in der mündlichen Prüfung, denn die mittelbare Drittwirkung eignet sich vortrefflich, um die grundlegende Systematik der Grundrechte abzufragen.
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Dr. Robert König
Mitgeschäftsführer Jura Essentials Verlag
 

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