Die Rechtsfigur der actio libera in causa (a.l.i.c.)

21.08.2024 I Florian Bieker



Die a.l.i.c. stellt ein Standardproblem des Strafrechts dar, welches für die Examensklausur im Strafrecht und auch alle anderen Strafrechtsklausuren zwingend beherrscht werden muss. Daher ist eine nähere Betrachtung des eigentlichen Problems und des Streitstandes durchaus vorteilhaft.

Die Bedeutung der a.l.i.c. in der Klausur

Jeder Examenskandidat muss die a.l.i.c. und ihren Streitstand sicher beherrschen. Bei ihr handelt es sich um ein sog. Strafrecht-AT-Problem. Diese werden in der Examensklausur im Strafrecht immer mal wieder zusätzlich zu den Strafrecht-BT-Problemen eingestreut und werden als Basiswissen vorausgesetzt.
Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die Ausgangsproblematik und den Streitstand zur a.l.i.c. näherbringen und darüber hinaus auch Klausurtipps geben.

1. Ausgangsproblematik

Die actio libera in causa bedeutet übersetzt „in der Ursache freie Handlung“. Das Ausgangsproblem der a.l.i.c. ist, dass sich der Täter vorsätzlich in den Rauschzustand begibt und dadurch für die im Rausch begangene Straftat (z.B.: Totschlag gem. § 212 I StGB) wegen Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB nicht mehr bestraft werden kann. Das würde dazu führen, dass derjenige der sich vorsätzlich berauscht und in diesem Stadium Straftaten begeht, straffrei sein würde.
Das kann nicht sein und löst schon für die Laien Gefühle der Ungerechtigkeit aus. Ziel der a.l.i.c. ist es daher, den Täter ebenfalls aus dem verwirklichten Delikt (und nicht nur aus § 323a StGB) zu bestrafen, sofern er sich vorsätzlich berauscht und die Tat vorsätzlich geht.
Die a.l.i.c. steht allerdings in Konflikt mit dem Koinzidenzprinzip. Das Koinzidenzprinzip besagt, dass zum Zeitpunkt der Tatbegehung Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld vorliegen müssen, was bei einer im Rausch begangenen Tat jedoch wegen Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gerade nicht der Fall ist. Daher stellt sich die Frage, ob die a.l.i.c. überhaupt verfassungsgemäß und wie diese Problematik aufzulösen ist.

2. Der Streitstand

Nach einer Ansicht ist die a.l.i.c. nicht verfassungsgemäß und wird daher vollständig abgelehnt. Hiernach kommt eine Strafbarkeit aus der Straftat XY i.V.m. den Grundsätzen der a.l.i.c. nicht in Betracht. Nach dieser Ansicht käme lediglich eine Strafbarkeit gem. § 323a StGB in Betracht.
Alle weiteren Ansichten gehen von der Verfassungsmäßigkeit der actio libera in causa aus, nur die Anknüpfung und Begründung ist unterschiedlich:
Nach einer Ansicht wird sich die Schuld im Zeitpunkt der Schuldfähigkeit „quasi nach vorn geholt“ und auf die im Rausch begangene Tat erstreckt (sog. Ausdehnungsmodell).
Eine weitere Ansicht vertritt die Meinung, dass in der Konstellation der actio libera in causa eine Ausnahme von dem Koinzidenzprinzip gemacht wird und in diesem Fall das Koinzidenzprinzip nicht gilt (sog. Ausnahmemodell).
Zuletzt wird noch die Ansicht vertreten, dass bei der Konstellation der a.l.i.c. an das sich-Berauschen angeknüpft wird und die a.l.i.c. zwar in vollem Umfang anerkannt wird, jedoch bei verhaltensgebundenen Delikten keine Anwendung findet, weil hier ausdrücklich an die vorgenommene Handlung angeknüpft wird (sog. mod. Tatbestandsmodell). Verhaltensgebundene Delikte sind beispielsweise §§ 315c, 316 StGB.
Jetzt stellt sich die Frage, wie dieser Streitstand aufzulösen ist. Gegen erste Ansicht spricht, dass Strafbarkeitslücken bestehen, solange der Gesetzgeber untätig bleibt. Der Täter würde bei einem solchen Vorgehen straffrei bleiben, was unbillig ist. Gegen das Ausdehnungsmodell und das Ausnahmemodell spricht, dass sie ein Verstoß gegen das Koinzidenzprinzip darstellen und damit eine Analogie zu Lasten des Täters sind, mithin ein Verstoß gegen das Analogieverbot gem. Art. 103 II GG.
Letzte Ansicht, das mod. Tatbestandsmodell, ist sachgerecht. Sie berücksichtigt die Besonderheiten der Delikte und ist daher vorzugswürdig.

3. Sonderproblem error in persona vel objecto i.R.d. a.l.i.c.

Ein weiteres Sonderproblem ergibt sich dann, wenn der Täter im Rauschzustand bei Begehen der Tat die Personen verwechselt. Hier kann man jetzt einerseits die Ansicht vertreten, dass es sich um einen unbeachtlichen error in persona vel objecto handelt, wenn sich die Personenverwechslung im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung bewegt. Die Trunkenheit ändert dann nichts am tatsächlichen Geschehen. Andererseits könnte man die Ansicht vertreten, dass die Personenverwechslung einen aberratio ictus (sog. Fehlgehen der Tat) darstellt, mit der Begründung, dass der maßgebliche Tatplan im schuldfähigen Zustand durch die Personenverwechslung im schuldunfähigen Zustand nicht eingehalten wurde und insofern die Tat fehlgegangen ist.
Vertretbar sind hier beide Ansichten. Entscheidend ist, dass Ihr Euch mit einer überzeugenden Argumentation jeweils der einen oder anderen Meinung anschließt.

4. Sonderproblem unmittelbares Ansetzen eines Versuchs i.V.m. den Grundsätzen der a.l.i.c.

Befindet sich die Rauschtat nur im Versuchsstadium, ist strittig, wann ein unmittelbares Ansetzen des berauschten Täters vorliegt. Hierzu werden drei Ansichten vertreten.
Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass der Täter dann zur Tat ansetzt, wenn er den ersten Schluck Alkohol zu sich nimmt (Theorie vom ersten Schluck).
Andererseits wird die Ansicht vertreten, dass der Täter dann zur Tat angesetzt hat, wenn der Zustand von § 20 StGB erreicht wurde (Theorie der Schuldunfähigkeit).
Zuletzt wird noch die Ansicht vertreten, dass der Täter dann ansetzt, wenn er zur eigentlichen Ausführungshandlung unmittelbar ansetzt.
In der Regel wird nach allen Ansichten ein Ansetzen vorliegen. Sollte mal eine Entscheidung nötig sein, so ist zu empfehlen, dass letzter Ansicht gefolgt wird, denn die anderen Ansichten zuvor verlagern die Strafbarkeit zu weit nach vorn.

5. Tipps zum Aufbau in einer Klausur

Solltet Ihr erkannt haben, dass in Eurer Klausur eine a.l.i.c.-Konstellation abgefragt wird, so beginnt Ihr wie gewohnt mit der Prüfung der Strafbarkeit. Im Rahmen der Schuld solltet Ihr dann den § 20 StGB ansprechen. Hier werdet Ihr wegen der hohen BAK (Blutalkoholkonzentration) zum Ergebnis der Schuldunfähigkeit gelangen, mithin keine Strafbarkeit.
Anschließend setzt Ihr neu an und stellt schon im Obersatz klar, dass Ihr die gleiche Strafbarkeit i.V.m. der a.l.i.c. prüft. Danach stellt Ihr die Ausgangsproblematik und den Streitstand dar. Zuletzt stellt Ihr noch fest, dass der Vorsatz zur eigentlichen Tat, zur Berauschung und zur Begehung der Tat im Berauschungszeitpunkt besteht. Die Strafbarkeit wird in der Regel i.V.m. den Grundsätzen der a.l.i.c. durchgehen.

Fazit zu der actio libera in causa

Die solide Kenntnis der actio libera in causa gehört im 1. Staatsexamen und schon in den Klausuren vorher zum Pflichtprogramm. Sie sind häufiger Gegenstand von Klausuren in denen noch zusätzlich Strafrecht-AT-Probleme eingebaut werden, was nahezu bei jeder Klausur der Fall ist.
Insbesondere gilt es hier, die im Rahmen der Problematik vertretenen Theorien, wie so oft im Strafrecht, fleißig auswendig zu lernen und die Prüfungsstruktur in einer Klausur sauber zu Papier zu bringen. Das bringt die Punkte in einer Klausur und hinterlässt einen souveränen Eindruck.
Solltet Ihr Euch in diesem Bereich noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz (1. Semester bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (Referendariat und 2. Examen) stehen Euch jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.

Florian Bieker
 

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