Die Stellvertretung gemäß §§ 164 ff. BGB – eine schematische Darstellung und die Bedeutung für die Klausur


02.08.2024 I Florian Bieker



Das Stellvertretungsrecht ist in den §§ 164 ff. BGB geregelt und hat für die Examensklausur eine große Bedeutung. Die Stellvertretung lässt sich in vielen Examensklausuren des Zivilrechts auf verschiedene Art und Weise einbauen und ist gerade deshalb beliebt, weil sie eine klassische Dreipersonenkonstellation darstellt, welche in juristischen Klausuren besonders gerne eingebaut wird.
Die sichere Kenntnis und Beherrschung der Vorschriften aus dem Stellvertretungsrecht werden daher vorausgesetzt. Fehler in diesem Bereich werden hart abgestraft. Vor diesem Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit diesen Vorschriften essenzielle Voraussetzung für das Gelingen einer Examensklausur. In diesem Beitrag wollen wir daher das Wichtigste für Dich im Rahmen einer schematischen Darstellung vorstellen.

Das Prüfungsschema der Stellvertretung in der Klausur (§§ 164 ff. BGB)

Zu prüfen ist die Stellvertretung im Rahmen des Vertragsschlusses, mithin auf der Prüfungsebene „Anspruch entstanden“. Hierbei ist problematisch, dass der Stellvertretene selbst nicht mit dem Vertragspartner kontrahiert, sondern der Stellvertreter. Gemäß § 164 I 1 BGB wirkt die Willenserklärung des Stellvertreters für und wider den Stellvertretenen, wenn die Voraussetzungen der
Stellvertretung nach § 164 I BGB vorliegen.

Zur Verdeutlichung eine Personenskizze im Folgenden:


1. Zulässigkeit der Stellvertretung

Zunächst muss die Stellvertretung zulässig sein. Dies ist bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften nicht der Fall, wie sich unter anderem für das Testament aus § 2064 BGB oder für das Schließen der Ehe aus § 1311 BGB ergibt. Falls dieser Prüfungspunkt nicht relevant ist, kann man diesen Prüfungspunkt im Rahmen einer Klausur auch weglassen.

2. Eigene Willenserklärung des Stellvertreters

Dann müsste der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung (§§ 145 ff. BGB) abgegeben haben. Das ist dann der Fall, wenn der Stellvertreter über das Ob und Wie des Vertragsschlusses entscheidet. Abzugrenzen ist in diesem Prüfungspunkt von der bloßen Botenschaft.

Exkurs Botenschaft
Bei der Botenschaft übermittelt der Bote willentlich eine fremde Willenserklärung ohne eigenen Entscheidungsspielraum. Das Risiko der falschen, unvollständigen oder verspäteten Übermittlung trägt der Erklärende. Die Erklärung geht erst dann zu, wenn die Erklärung übermittelt wurde.
Ein Beispiel für einen Erklärungsboten wäre das eigene Kind, welches eine Kündigungserklärung vom Vater übermittelt.
Ein weiterer Bote ist der sog. Empfangsbote, welcher vom Empfangsvertreter nach § 164 III BGB abzugrenzen ist. Der Empfangsbote ist quasi ein personalisierter Briefkasten, welcher ohne eigene Willensbildung die Erklärung entgegennimmt und dazu auch berechtigt ist. Die Willenserklärung geht dann zu, wenn nach dem normalen Verlauf der Dinge mit der Weiterleitung zu rechnen ist, wie beispielsweise bei Ehegatten.
Hier ist jedoch zu beachten, dass Kleinkinder keine Empfangsboten sein können. Erklärungsboten können sie dagegen schon sein.

Ferner ist der Empfangsvertreter vom Empfangsboten zu unterscheiden. Geht dem Empfangsvertreter die Willenserklärung zu, so geht sie auch automatisch dem Vertretenen nach § 164 III BGB zu. Ein Beispiel für den Empfangsvertreter wäre beispielsweise der Prokurist.

3. (Eigene Willenserklärung) im fremden Namen

Darüber hinaus muss der Stellvertreter die Willenserklärung ausdrücklich im fremden Namen abgegeben haben („Ich kaufe diese Flasche Cola im Namen von XY“). Das Offenkundigkeitsprinzip dient dazu, den Rechtsverkehr zu schützen. Der Vertragspartner muss wissen, mit wem er einen Vertrag schließt. Allerdings bestehen auch hier, wie so oft, Ausnahmen nach dem Regel-Ausnahme Prinzip.
Erste Ausnahme ist das unternehmensbezogene Geschäft nach § 164 I 2 BGB. Demnach macht es keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen soll. Diese Ausnahme greift regelmäßig bei Handelskäufen.
Eine weitere Ausnahme stellt das sog. verdeckte Geschäft für den, den es angeht, dar. Demnach kommt ein Vertrag trotzdem zustande, auch wenn der Vertreter die Stellvertretung nicht offenbart, wenn es um den Kauf von alltäglichen Gegenständen geht. Gutes Beispiel ist der Kauf von Brötchen beim Bäcker. Hier ist es dem Vertragspartner gleichgültig, mit wem er den Vertrag schließt, weil dieser sofort erfüllt wird.
Außerdem existiert mit der sog. Namenstäuschung eine weitere Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip. Hier werden die Vorschriften der §§ 164 ff. BGB analog angewendet, wenn es dem Vertragspartner auf die Identität ankommt, wie beispielsweise bei den unberechtigten eBay-Verkäufen durch einen anderen. Für den Vertragspartner ist nicht ersichtlich, wer hinter der Kennung bzw. dem Account steht, sodass er nur mit diesem einen Vertrag schließen will, weil eine Identifizierung schlichtweg nicht möglich ist.
Die Namenstäuschung ist von der sog. bloßen Namenslüge abzugrenzen. Bei der sog. Namenslüge ist dem Vertragspartner die Identität des Gegenübers gleichgültig, wie beispielsweise bei einem Ehebetrüger, der ein Hotelzimmer für sich und seine Geliebte anmietet und sich dafür als jemand anderes ausgibt. Hier kommt ein Vertrag mit dem Hotelbetreiber und dem Ehebetrüger direkt zustande.

4. im Rahmen der Vertretungsmacht

Zuletzt müsste der Vertreter auch im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt haben.
Hier ist zwischen der rechtsgeschäftlichen Vollmacht, gesetzlichen Vertretungsmacht und der Vertretungsmacht kraft Rechtsschein zu differenzieren. Rechtsscheinvollmachten sind stets zum Schluss zu prüfen. Es genügt, wenn der Vertreter eine Art der Vertretungsmacht besitzt.
  1. rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (§ 167 BGB)
Bei der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht handelt es sich um eine formfreie Willenserklärung gegenüber dem Bevollmächtigten (Innenvollmacht) oder aber gegenüber einem Dritten bzw. dem Vertragspartner (Außenvollmacht).
Aufgrund dessen, dass es sich bei der Vollmachtserteilung um eine Willenserklärung handelt, finden die §§ 130 ff. BGB Anwendung. Grundsätzlich ist die Erklärung formfrei, jedoch werden aufgrund der Schutzfunktion der Formbedürftigkeit z.B. bei Grundstückskaufverträgen (§§ 433, 311b I BGB) oder Bürgschaftsverträgen (§§ 765, 766 BGB) Ausnahmen gemacht, damit die Schutzfunktion nicht leerläuft.
  1. Gesetzliche Vertretungsmacht
Gesetzliche Vertretungsmachten sind beispielsweise § 35 I GmbHG, § 124 I HGB und § 1357 I BGB. Die Vertretungsmacht ergibt sich aus dem Gesetz.
Zu beachten ist, dass die Prokura keine gesetzliche Vertretungsmacht ist, sondern eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht mit gesetzlich geregeltem Umfang (§§ 48,49 HGB).
  1. Vertretungsmacht kraft Rechtsschein
Hier sind vorrangig gesetzliche Rechtsscheinvollmachten zu prüfen, wie § 15 I HGB, § 56 HGB und §§ 170 ff. BGB. Anschließend ist auf die ungeschriebenen Rechtsscheinvollmachten einzugehen, wie die Duldungs – und Anscheinsvollmacht.
Bei der Duldungsvollmacht ist strittig, ob sie überhaupt eine Rechtsscheinvollmacht oder einen Unterfall der rechtsgeschäftlichen Vollmacht darstellt. Das kann jedoch dahinstehen, da sie allgemein anerkannt ist.
Der Vertreter muss den Rechtsschein der Berechtigung setzen, was bedeutet, dass er nach außen auftritt, als wäre er Bevollmächtigter. Dies muss der Vertretene bewusst hinnehmen und ihm muss der Rechtsschein zurechenbar sein, indem er positive Kenntnis vom Auftreten des Vertreters hat und nicht einschreitet, obwohl ihm dies möglich wäre. Zuletzt müsste der Vertragspartner analog § 173 BGB gutgläubig gewesen sein und eine kausale Vertrauensbetätigung ausgeübt haben.
Im Unterschied dazu ist die Anscheinsvollmacht gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Vertreters nicht bewusst hinnimmt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können. Die restlichen Voraussetzungen sind mit der Duldungsvollmacht identisch. Auch hier ist strittig, ob die Anscheinsvollmacht anerkannt ist. Entscheidend dafür spricht, dass bei Nachlässigkeiten die Folgen einer Rechtsscheinhaftung vorgesehen sind, wie sich unter anderem aus den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreiben oder aber auch dem potenziellen Erklärungsbewusstsein ergibt.

5. Handeln im Rahmen der Vollmacht und kein Erlöschen der Vollmacht (§ 168 BGB)

Voraussetzung ist weiter, dass der Vertreter im Rahmen der Vertretungsmacht handelt. Beschränkungen können sich aus § 181 BGB, Evidenz und Kollusion ergeben.
Evidenz liegt dann vor, wenn der Vertragspartner die naheliegendste Überlegung nicht anstellt, obwohl ihm sich die fehlende Vertretungsmacht aufdrängt. Die Behandlung dieser Konstellation ist strittig.
Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass die §§ 177 ff. BGB analoge Anwendung finden. Andererseits wird vertreten, dass § 242 BGB Anwendung findet.
Dieser Streit muss bei Ansprüchen gegen den Vertretenen nicht entschieden werden, weil zum einen ein Anspruch gemäß § 242 BGB (Einwand der unzulässigen Rechtsausübung) scheitern wird und zum anderen bei analoger Anwendung der §§ 177 ff. BGB regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Vertretene die Genehmigung nicht erteilen wird, sodass das Rechtsgeschäft nach § 177 I BGB analog unwirksam ist.
Anders ist die Situation dann, wenn nach Ansprüchen gegen den vermeintlichen Vertreter gefragt ist. Vertretbar sind beide Ansichten, allerdings spricht gegen eine analoge Anwendung der §§ 177 ff. BGB, dass der Vertreter eigentlich ein Stellvertreter i.S.d. § 164 I BGB ist, er missbraucht jedoch nur seine Vertretungsmacht.
Bei der Kollusion wirken Vertreter und Geschäftspartner bewusst und gemeinschaftlich zusammen, um den Vertretenen zu schädigen. Dieses Rechtsgeschäft ist nach § 138 I BGB nichtig.
Nach § 168 S. 1 BGB erlischt die Vollmacht, wenn das zugrundeliegende Grundverhältnis erlischt. Die Vollmacht ist strikt von dem zugrundeliegenden Grundverhältnis, wie beispielsweise einem Dienstvertrag nach § 611 BGB oder einem Arbeitsvertrag nach § 611a BGB zu trennen. Erlischt jetzt eines der genannten Rechtsverhältnisse, so erlischt auch die Vollmacht. Umgekehrt gilt das nicht. Ferner kann die Vollmacht auch frei widerrufen werden, wie sich aus § 168 S. 2 BGB ergibt.

6. Rechtsfolge § 164 I BGB

Rechtsfolge des § 164 I 1 BGB ist, dass die Willenserklärung des Stellvertreters unmittelbar für und wider des Stellvertretenen wirkt, sodass ein Vertrag zwischen dem Vertretenen (welcher gerade keine Willenserklärung abgegeben hat) und dem Vertragspartner zustande kommt, wenn die o.g. Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Ist das der Fall, so ist der Anspruch zu mindestens erst einmal entstanden. Ob der Anspruch erloschen oder durchsetzbar ist, ist dann auf den Prüfungsebenen danach zu prüfen.  

Sonderfall Ehegatten

Bei Ehegatten ist die Vorschrift § 1357 BGB zu beachten. Handelt der eine Ehegatte nicht im Namen des anderen Ehegatten, so wird man sich bei einer Stellvertretungsprüfung bei dem Prüfungspunkt „im fremden Namen“ aus der Stellvertretung rausschreiben und erst einmal zu dem Ergebnis kommen, dass keine Stellvertretung i.S.d. § 164 I BGB vorliegt und somit auch kein Vertrag zwischen dem nicht handelnden Ehegatten und dem Vertragspartner.
Allerdings führt § 1357 BGB bei Vorliegen der Voraussetzungen (wirksame Ehe, Geschäft zur Deckung des Lebensbedarf, Angemessenheit des Geschäfts, kein Ausschluss gemäß § 1357 II, III BGB) zu einer gesamtschuldnerischen Mitverpflichtung des nicht handelnden Ehegatten (§ 1357 I 2 BGB).
Achtung Klausurfehler: § 1357 BGB begründet hingegen keine Vertretungsmacht! Sieh Dir hierzu unser Video unter diesem Artikel an, in dem RA Mario Kraatz ausführlich den § 1357 BGB bespricht.

Fazit

Die Grundsätze und Prüfungspunkte der Stellvertretung gehören zum Handwerkskoffer eines jeden Juristen und sind darüber hinaus für das Absolvieren einer erfolgreichen ersten juristischen Prüfung elementar. In fast jeder Klausur im Zivilrecht ist es möglich, die Stellvertretung und die Probleme, die sich im Rahmen davon ergeben, einzubauen. Das Gesetz bietet hier eine gute Hilfestellung, indem sich die Prüfungspunkte der Stellvertretung aus ihm herauslesen lassen.
Solltet Ihr Euch in diesem Bereich noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2.Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Florian Bieker
 


RSS Feed abonnieren