Die Versuchsstrafbarkeit im Strafrecht – Das Wichtigste kurz und kompakt für Dich

20.09.2024 | von Florian Bieker



Die Versuchsstrafbarkeit eines Täters ist vermutlich das beliebteste Thema einer Strafrechtklausur aus dem Bereich Strafrecht AT. Jede Klausur lässt sich so konstruieren, dass früher oder später eine Versuchsstrafbarkeit zu prüfen ist. Die Kenntnisse der Struktur und des Prüfungsschemas der Versuchsstrafbarkeit sind elementar. Wird beispielsweise die Prüfungsreihenfolge vertauscht und das Ansetzen vor dem Tatentschluss geprüft, so gilt dies als schwerer Fehler und wird dementsprechend vom Prüfer hart abgestraft.

Die Bedeutung der Versuchsstrafbarkeit in der Klausur

Jeder Examenskandidat muss das Schema, die Definitionen und die klassischen Streitstände in dem Bereich der Versuchsstrafbarkeit beherrschen. Bereits ab dem ersten Semester sollte man diese Thematik in regelmäßigen Abständen wiederholen, damit sich das Wichtigste setzt. Im Klausurfall darf man bei einer Klausur über eine Versuchsstrafbarkeit nicht überlegen, wie man eine Versuchsstrafbarkeit prüft, sondern muss dieses Wissen abrufbereit parat haben.  Das ist elementar, um im Examen in der Strafrechtsklausur eine saubere Prüfung der Versuchsstrafbarkeit zu Papier zu bringen, denn das wird, insbesondere in der Examensprüfung, vorausgesetzt.
Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die wichtigsten Grundsätze, das Schema und die Definitionen sowie ein paar klassische Streitstände der Versuchsstrafbarkeit, die am häufigsten in Klausuren und mündlichen Prüfungen abgefragt werden, näherbringen.

Eine schematische Betrachtung der Versuchsstrafbarkeit

1. Allgemeines

Eine Versuchsstrafbarkeit ist immer dann zu prüfen, wenn eine Straftat nicht vollendet wurde. Daher ergibt sich zunächst der Vorrang der Prüfung einer vollendeten Straftat. Ist der Sachverhalt eindeutig auf die Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit angelegt, kann dann ausnahmsweise sofort mit der Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit begonnen werden. Das ist in jeder Klausursituation im Einzelfall unterschiedlich zu beurteilen. Grundsätzlich unterteilt sich die Versuchsstrafbarkeit in eine Prüfung, die aus 6 Prüfungspunkten besteht. Vereinfacht dargestellt prüft man eine Versuchsstrafbarkeit also wie folgt:
Strafbarkeit des Täters wegen §§ jeweilige Delikt, 22, 23 I StGB

2. Vorprüfung

Im Rahmen der Vorprüfung stellt man kurz die Strafbarkeit des Versuchs fest. Gemäß § 23 I StGB ist der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens dagegen nur, wenn das Gesetz die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich anordnet. Was Verbrechen und Vergehen sind, ist in § 12 I, II StGB geregelt. Verbrechen sind nach § 12 I StGB rechtswidrige Taten, die ein Mindestmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr vorsehen. Vergehen nach § 12 II StGB sind solche, die ein geringeres Mindestmaß an Freiheitsstrafe vorsehen oder mit Geldstrafe bedroht sind. Beispiele für ein Verbrechen sind unter anderem der Totschlag nach § 212 I StGB oder der Mord nach § 211 StGB. Die einfache Körperverletzung ist ein Beispiel für ein Vergehen, denn diese sieht gemäß § 223 I StGB eine Bestrafung von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor und die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus § 223 II StGB.
Darüber hinaus ist noch festzustellen, dass ein Fall der rechtlichen Nichtvollendung eines Delikts vorliegt. Anschließend ist die Vorprüfung abgearbeitet.

3. Tatentschluss

Der Täter muss mit Tatentschluss gehandelt haben. Tatentschluss meint hier den Vollendungswillen, wobei dolus eventualis genügt. Hier sind inzident alle objektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Straftatbestandes zu prüfen. Darüber hinaus findet auch eine Prüfung von besonderen subjektiven Absichten im Rahmen des Tatentschlusses statt, wenn der Täter beispielsweise aus Habgier handelte. Hier ist zu beachten, dass auch untaugliche Versuche strafbar sind, also solche, die nicht zum Erfolg führen können, weil es sich um ein untaugliches Tatmittel, Tatobjekt oder Tatsubjekt handelt. Als Beispiel ist hier zu nennen, dass der Täter zur Tötung des Opfers ein vermeintliches Gift verwendet, welches jedoch nur zu Gliederschmerzen führt. Bei dem grob unverständigen Versuch handelt es sich um einen Sonderfall des untauglichen Versuchs, wo es gemäß § 23 III StGB zur Absehung von Strafe oder Strafmilderung kommen kann, wenn der Täter aus grobem Unverstand verkennt, dass der Versuch nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden soll, überhaupt nicht zur Vollendung führen kann, was beispielsweise beim Abtreibungsversuch mit Tee gegeben ist. § 23 III StGB ist dann nach der Schuld anzusprechen. Abzugrenzen ist der untaugliche Versuch vom irrealen Versuch. Beim irrealen Versuch baut der Täter auf der menschlichen Einwirkung entzogenen Kräften, wie beispielsweise beim Totbeten. Hier fehlt es an einem strafrechtlich relevanten Tatentschluss. Die Prüfung des Tatentschlusses erfolgt vor dem unmittelbaren Ansetzen, damit die Prüfung Sinn ergibt und festgestellt werden kann, wozu der Täter eigentlich ansetzt.

4. unmittelbares Ansetzen

Anschließend ist das unmittelbare Ansetzen des Täters zu prüfen. Unmittelbar zur Tat setzt der Täter dann an, wenn er nach seinen Vorstellungen von der Tat die „Schwelle zum jetzt geht’s los“ überschreitet und Handlungen vornimmt, die nach seinen Vorstellungen von der Tat unmittelbar ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden sollen, sodass das Rechtsgut aus seiner Sicht schon konkret gefährdet ist. Im Rahmen des unmittelbaren Ansetzens stellen sich eine Reihe von Problemen, welche jedoch in dem heutigen Blogbeitrag nicht vollständig dargestellt werden können.
Näher eingegangen wird hier jedoch auf das unmittelbare Ansetzen im Rahmen eines Unterlassens und bei einer mittelbaren Täterschaft.
  1. Unmittelbares Ansetzen beim Unterlassen
Hier lassen sich drei Ansichten vertreten. Zum einen könnte man die Ansicht vertreten, dass der Täter dann zur Tat ansetzt, wenn er die erste Möglichkeit zur Rettung verstreichen lässt. Andererseits könnte man die Ansicht vertreten, dass der Täter dann zur Tat angesetzt hat, wenn er die letzte Rettungsmöglichkeit verstreichen lässt. Zuletzt könnte man noch die Ansicht vertreten, dass der Täter dann zur Tat ansetzt, wenn nach seinen Vorstellungen von der Tat das Opfer bereits konkret gefährdet ist und er das Geschehen aus der Hand gegeben hat. Entscheidend gegen die ersten beiden Ansichten spricht, dass erste Ansicht zu einer zu weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit führt und Versäumnis der Rettung erst dann als Ansetzen gesehen werden kann, wenn eine Rettung möglich und geboten ist. Zweite Ansicht birgt die Gefahr, dass durch zu langes Zögern das Risiko einer früheren Tatbestandsverwirklichung erhöht wird und außerdem kommt es im Rahmen des Ansetzens auf die Tätervorstellung an, wo auch schon nach seinen Vorstellungen von der Tat eine frühere Gefährdung des Opfers möglich ist. Oftmals liegt jedoch nach allen Ansichten ein unmittelbares Ansetzen vor, sodass der Streit nicht entschieden werden muss.
  1. Unmittelbares Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft
Auch hier lassen sich grundsätzlich drei Ansichten vertreten. Zum einen könnte man die Ansicht vertreten, dass ein unmittelbares Ansetzen dann vorliegt, wenn das Werkzeug mit den Tatausführungen begonnen hat. Andererseits könnte man die Ansicht vertreten, dass der Täter dann unmittelbar zur Tat angesetzt hat, wenn er auf das Werkzeug eingewirkt hat. Zuletzt könnte man noch die Ansicht vertreten, dass der Täter dann angesetzt hat, wenn nach seinen Vorstellungen von der Tat nach der Einwirkung auf das Werkzeug das Opfer bereits konkret gefährdet ist und er das Geschehen aus der Hand gegeben hat. Gegen die erste Ansicht spricht insbesondere § 22 StGB, der besagt, dass der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben muss und nicht sein Werkzeug, sodass diese Ansicht abzulehnen ist. Darüber hinaus ist auch die zweite Ansicht abzulehnen, die rein auf das Einwirken auf das Werkzeug abstellt, weil hier eine zu weite Vorverlagerung der Strafbarkeit erfolgt. Es ist völlig unklar, ob das Werkzeug die Tat ausführen wird. Daher ist letzte Ansicht vorzugswürdig. Der Streit braucht jedenfalls dann nicht aufgelöst werden, wenn das Werkzeug zur Tat ansetzt, weil dann nach allen Ansichten ein Ansetzen vorliegt.

5. Rechtswidrigkeit

Hier ergeben sich keine Besonderheiten. Die Rechtswidrigkeit ist wie gewohnt zu prüfen oder bei keinen in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen kurz festzustellen.

6. Schuld

Gleiches gilt entsprechend für die Schuld. Liegen die Voraussetzungen dann alle kumulativ vor, so hat sich der Täter wegen eines Versuchs strafbar gemacht.

7. strafbefreiender Rücktritt § 24 StGB

Hierbei handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Dieser ist ebenfalls nur ausführlich zu prüfen, sofern die Klausur darauf angelegt ist. Ansonsten ist kurz festzustellen, dass ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB nicht in Betracht kommt. Der strafbefreiende Rücktritt ist ebenfalls sehr vielschichtig und wird in einem anderen Blog-Beitrag noch vertieft behandelt.

Fazit zur Versuchsstrafbarkeit

Die herausragende Bedeutung der Versuchsstrafbarkeit sollte jedem Studenten und vor allem auch Examenskandidaten bewusst sein.
Die solide Kenntnis des Schemas, der Definitionen und der klassischen Probleme der Versuchsstrafbarkeit gehört im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm. Sie sind häufiger Gegenstand der Strafrechtsklausur und werden auch gerne in der mündlichen Prüfung abgeprüft. In jeder Strafrechtsklausur kann eine Versuchsstrafbarkeit abgeprüft werden. In diesem Feld sollte man sich keine Fehler erlauben.
Solltet Ihr Euch in diesem Bereich oder generell in dem Strafrecht AT noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Florian Bieker
 

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