Die Vorsatzformen und Irrtümer in dem Zusammenhang – in (fast) jeder Strafrechtklausur relevant
11.11.2024 | von Florian BiekerDer Vorsatz und die verschiedenen Vorsatzformen sind ein Thema aus dem Bereich des Strafrechts AT. Grundsätzlich lassen sich zwischen drei Vorsatzformen differenzieren. Zum einen dolus directus ersten Grades (Absichtsvorsatz), zum anderen dolus directus zweiten Grades (Wissensvorsatz) und zuletzt der sog. dolus eventualis (Eventualvorsatz). Im StGB sind die Vorsatzformen nicht explizit geregelt. Der Vorsatz des Täters ist jedoch bei jedem Vorsatzdelikt relevant, sodass die Definitionen und Kenntnisse der Vorsatzformen vorhanden sein müssen. Für das Verständnis der Vorsatzdelikte und der Irrtümer in dem Zusammenhang ist es unerlässlich, dass man sich mit den verschiedenen Vorsatzformen auseinandersetzt. Davon ausgehend werden die Probleme und Irrtümer in dem Kontext auch verständlicher. Daher dient der Beitrag dazu, dass Du in erster Linie die verschiedenen Vorsatzformen näher kennenlernst und Dir anschließend typische Problemkreise und Irrtümer im Zusammenhang mit dem Vorsatz präsentiert werden, die unter den zuvor ermittelten Erkenntnissen hinsichtlich des Vorsatzes (hoffentlich) leichter verständlich sind.
Die Bedeutung der Vorsatzformen und Irrtümer in der Klausur
Jeder Examenskandidat muss die verschiedenen Vorsatzformen des Strafrechts sicher beherrschen. Ihre Kenntnis ist elementar, um im Examen auch unbekannte strafrechtliche Sachverhalte in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus handelt es sich um einen Themenbereich aus dem Strafrecht AT, welches in nahezu jeder Strafrechtsklausur relevant ist.Im heutigen Blogbeitrag wollen wir Euch daher die verschiedenen Vorsatzformen und wichtigsten Irrtümer und Streitstände des Strafrechts näherbringen.
Die verschiedenen Vorsatzformen
1. Allgemeines
Die verschiedenen Vorsatzformen sind für den subjektiven Tatbestand relevant. Grundsätzlich lassen sich zwischen drei Vorsatzformen unterscheiden. Zu nennen ist hier der dolus directus ersten Grades, dolus directus zweiten Grades und der dolus eventualis. Zu beachten ist, dass alle drei Vorsatzformen, sofern sie beim Täter vorliegen, dazu führen, dass der Täter wegen eines Vorsatzdelikts bestraft wird, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Besonders problematisch ist die Abgrenzung des dolus eventualis zur bewussten Fahrlässigkeit, welches insbesondere im relativ bekannten „Berliner Raserfall“ relevant wird. Liegt unproblematisch einer der verschiedenen Vorsatzformen vor, ist kein Problem aufzumachen, sondern kurz festzustellen, dass der Täter mit dem entsprechenden Vorsatz vorsätzlich gehandelt hat. Der Vorsatz gliedert sich in ein voluntatives und kognitives Element. Gemäß § 8 StGB muss der Vorsatz bei Vornahme der Tathandlung vorliegen.2. dolus directus ersten Grades
Bei dem dolus directus ersten Grades hat der Täter die Absicht, den entsprechenden Tatbestand zu verwirklichen. Auf kognitiver Ebene muss er die Tatbestandsverwirklichung zumindestens für möglich halten. Bei dem dolus directus ersten Grades handelt es sich um den sog. Absichtsvorsatz und somit die stärkste Vorsatzform.3. dolus directus zweiten Grades
Bei dem dolus directus zweiten Grades hat der Täter auf kognitiver Ebene sicheres Wissen, dass die Tatbestandsverwirklichung eintreten wird, sodass in dem Zusammenhang auch von dem sog. Wissensvorsatz gesprochen wird. Auf voluntativer Ebene nimmt der Täter die Tatbestandsverwirklichung zumindestens billigend in Kauf. Für das Vorliegen dieser Vorsatzform müssen entsprechende Angaben im Sachverhalt zu finden sein, da man sonst nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass der Täter sicheres Wissen hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung hat.4. dolus eventualis
Bei dem Eventualvorsatz (sog. dolus eventualis) hält der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich und nimmt sie billigend in Kauf, mithin findet er sich damit ab. Über die Anforderungen an das voluntative Element besteht Uneinigkeit und Streit. Nach einer Ansicht wird darauf abgestellt, ob es dem Täter gleichgültig ist, ob eine Tatbestandsverwirklichung eintritt. Andererseits wird auch die Ansicht vertreten, dass es darauf ankommt, ob die Tatbestandsverwirklichung wahrscheinlich ist. Allerdings ermöglichen die beiden letztgenannten Theorien keine Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit und lassen sich in der Praxis auch nicht beweisen, sodass diese abzulehnen sind und darauf abzustellen ist, ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt. Kriterien zur Beurteilung sind die Wahrnehmungsfähigkeit, Vermeidungswille und die Vorerfahrungen.5. Problem Abgrenzung dolus eventualis zur bewussten Fahrlässigkeit
In Einzelfällen kann eine Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit sehr problematisch sein. Anschaulichstes Beispiel ist wohl, wie eingangs schon erwähnt, der „Berliner Raserfall“. Hat der Täter bei dem Autorennen wirklich billigend in Kauf genommen, dass andere Menschen bei dem Rennen sterben werden oder hat er darauf vertraut, dass niemand zu Schaden kommt? Das ist die maßgebliche Abgrenzungsfrage, die sich nicht nur im „Berliner Raserfall“ stellt, sondern in allen derartigen Fallkonstellationen, wo zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit abgegrenzt werden muss. Bei der bewussten Fahrlässigkeit vertraut der Täter ernsthaft darauf, dass die Tatbestandsverwirklichung ausbleibt. Ein vages Hoffen genügt nicht. Meiner Einschätzung nach kann ein Täter nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass die Tatbestandsverwirklichung bzw. der Tod von anderen Menschen ausbleibt, wenn man mit derartiger Geschwindigkeit über rote Ampeln durch die Innenstadt einer Großstadt fährt. Eine andere Ansicht ist wohl vertretbar und verdeutlicht, wie schwierig eine derartige Beurteilung ist. Wichtig in einer Klausur ist an dieser Stelle, dass auf vertretbare Weise und unter Auswertung aller Sachverhaltsangaben argumentiert wird, sodass die Lösung nachvollziehbar ist.6. Problem error in persona vel objecto
Bei dem error in persona vel objecto unterliegt der Täter einem Irrtum über die Identität der Person. Zu differenzieren ist zwischen dem unbeachtlichen und beachtlichen error in persona vel objecto. Bei dem unbeachtlichen error in persona vel objecto sind die Objekte rechtlich gleichwertig. Bei dem beachtlichen error in persona vel objecto sind die Objekte dagegen rechtlich ungleichwertig. Bei dem unbeachtlichen error in persona vel objecto tötet der Täter zwar die Person, die er töten wollte, stellt allerdings dann im Nachhinein fest, dass es „die falsche Person“ war. Jetzt stellt sich im Rahmen der Vorsatzprüfung die Frage, ob der Täter in diesen Fällen vorsätzlich handelte. Die Tötung von der „falschen Person“ war nämlich gerade nicht von seinem Vorsatz umfasst. Allerdings ist hier zu beachten, dass ein Name eines Menschen nicht zur Voraussetzung eines Tatbestands gehört. Der Täter wollte einen Menschen töten und hat dies auch getan, egal um welche Person es sich im konkreten Fall handelt. Auch ein versuchter Totschlag an der eigentlich gewollten Person scheidet aus, weil dies zu einer Doppelverwertung des Vorsatzes führen würde. Im Ergebnis ist der Irrtum somit unbeachtlich und der Täter handelte trotz der Personenverwechslung vorsätzlich. Bei dem beachtlichen error in persona vel objecto tötet der Täter eine Person, weil er diese beispielsweise für ein Wildtier im Wald hält. Hier sind die Objekte rechtlich ungleichwertig, sodass es sich um einen beachtlichen error in persona vel objecto handelt. Allerdings ist hier noch weiterhin eine Bestrafung aus Fahrlässigkeit gemäß § 16 I 2 StGB möglich. Denkbar wäre hier eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.7. Problem aberratio ictus
Bei der Konstellation aberratio ictus geht die Tat fehl. Bekanntes Beispiel in dem Zusammenhang ist wohl der Schuss auf das Opfer, welcher jedoch das Opfer verfehlt, gegen eine Hauswand prallt und ein anderes Opfer trifft. Auch in diesen Konstellationen stellt sich hinsichtlich des getroffenen Opfers das Vorsatzproblem. Die Tötung des „falschen Opfers“ war nicht vom Vorsatz des Täters umfasst. Strittig ist wie ein aberratio ictus rechtlich behandelt wird. Wie genau der Streitstand aufgelöst wird, erfahrt Ihr in unseren Unterrichten.8. Irrtum über den Kausalverlauf
Bei dem Irrtum über den Kausalverlauf tritt der Erfolg beim Opfer ein, allerdings auf andere Art und Weise. Prüfen kann man den Irrtum über den Kausalverlauf sowohl im Rahmen der objektiven Zurechnung als auch im Vorsatz. Beides ist vertretbar. Zu differenzieren ist zwischen dem wesentlichen und unwesentlichen Irrtum über den Kausalverlauf. Bei einem wesentlichen Irrtum weicht das Geschehen so wesentlich vom normalen Verlauf der Dinge ab, dass eine andere Bewertung als gerechtfertigt erscheint. Ist das der Fall, entfällt der Vorsatz beim Täter. Bei dem unwesentlichen Irrtum über den Kausalverlauf hält sich die Abweichung noch im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung und Vorhersehbarkeit, sodass keine andere Bewertung der Tat gerechtfertigt ist und die Tatbestandsverwirklichung noch vom Vorsatz umfasst ist. Prominentestes Beispiel ist hier wohl der sog. Jauchegrubenfall. Hier gilt es den Sachverhalt genau auszuwerten, um zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen.Fazit zu den Vorsatzformen und den Irrtümern und Streitständen
Die herausragende Bedeutung der juristischen Grundlagen zu den Vorsatzformen, der Irrtümer und der Streitstände sollte jedem Studenten und Referendar bewusst sein.Die solide Kenntnis der Streitstände und der Irrtümer schon im 1. Staatsexamen zum Pflichtprogramm. Zwischen den einzelnen Vorsatzformen braucht nicht zwingend differenziert werden, wenn der Vorsatz beim Täter unproblematisch zu bejahen ist. Trotzdem sollten alle Vorsatzformen bekannt sein, da es sich anbietet, dass diese Formen auch mal in der mündlichen Prüfung abgefragt werden können.
Die Vorsatzformen und damit einhergehenden Probleme stellen Grundlagenwissen des Strafrechts dar, sodass die Prüfer die Kenntnis voraussetzen und erwarten, dass diese sicher beherrscht werden.
Solltet Ihr Euch im Strafrecht AT noch nicht examensreif fühlen, vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.
Florian Bieker
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