Einwendungen und Einreden im Zivilrecht
20.03.2024I Hendrik Heinze

Einwendungen und Einreden sind im deutschen Zivilrecht materiell-rechtliche Verteidigungsmittel des Schuldners gegen die Realisierung von Ansprüchen des Gläubigers.
 

Prüfungsreihenfolge der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen

Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen sind in folgender Reihenfolge zu prüfen:
A. Vertragliche Ansprüche
I. Primäransprüche auf Vertragserfüllung
II. Sekundäransprüche
B. Vertragsähnliche Ansprüche (quasivertragliche Ansprüche)
C. Dingliche Ansprüche
D. Deliktische Ansprüche
E. Bereicherungsrechtliche Ansprüche

Prüfungsreihenfolge innerhalb des jeweiligen Anspruchs

Innerhalb der einzelnen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen gilt folgende Prüfungsreihenfolge:
A. Anspruch entstanden
B. Anspruch nicht erloschen
C. Anspruch durchsetzbar
Wenn der Gläubiger von dem Schuldner eine Leistung verlangt, liegt es an ihm, die betreffenden Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Dies umfasst bei vertraglichen Ansprüchen den Vertragsschluss und bei Ansprüchen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen deren gesetzlichen Tatbestandsmerkmale.
Als Verteidigung gegen den Anspruch des Gläubigers kann der Schuldner vortragen, der Anspruch sei überhaupt nicht entstanden (rechtshindernde Einwendung), der Anspruch sei zwar entstanden, aber mittlerweile erloschen (rechtsvernichtende Einwendung) oder aber der Anspruch bestehe zwar, seine Durchsetzung sei aber gehemmt (rechtshindernde Einrede).
Für die Verteidigungsmittel des Schuldners in der Gestalt von Einwendungen und Einreden ist es charakteristisch, dass das Gericht Einwendungen von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Einreden hat das Gericht hingegen nur zu berücksichtigen, wenn sich der auf die Leistung verklagte Schuldner auf sie beruft.

Einwendungen

Es sind die rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen zu unterscheiden. 

Rechtshindernde Einwendungen

Rechtshindernde Einwendungen verhindern das Entstehen eines Anspruchs. In diesem Sinne sind bei dem Prüfungspunkt „Anspruch entstanden“ zu prüfen.
Bsp.: Nichtigkeit einer Willenserklärung gem. § 105 BGB wegen der Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden gem. § 104 BGB; Verstoß gegen ein Verbotsgesetz gem. § 134 BGB; Sittenwidrigkeit und Wucher gem. § 138 BGB.

Rechtsvernichtende Einwendungen

Rechtsvernichtende Einwendungen bringen einen entstandenen Anspruch zum Erlöschen oder verändern ihn. In diesem Sinne sind bei dem Prüfungspunkt „Anspruch erloschen“ zu prüfen.
Bsp.: Unmöglichkeit der Leistung gem. § 275 I BGB. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es sich rechtsdogmatisch nur bei § 275 I BGB um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt. § 275 II, III BGB stellt hingegen eine „rechtsvernichtende Einrede“ dar, auf die sich der Schuldner berufen muss, um von seiner Leistungspflicht frei zu werden. § 275 I, II BGB ist mithin eine Einrede, die ausnahmsweise keine „hemmende“ Wirkung entfaltet und die bei dem Prüfungspunkt „Anspruch erloschen oder inhaltlich geändert“ zu prüfen ist; Rücktritt gem. §§ 323 ff. BGB (vgl. § 346 BGB); Erfüllung gem. § 362 BGB.

(Rechtshemmende) Einreden

Es sind die folgenden 2 Arten von Einreden zu unterscheiden:  Die vorübergehend hemmende (dilatorische) und die dauerhaft hemmende (peremptorische) Einrede.
Einreden hindern die Durchsetzbarkeit eines Rechts. In diesem Sinne sind sie bei dem Prüfungspunkt „Anspruch durchsetzbar“ zu prüfen. Wichtige Einreden sind das Zurückbehaltungsrecht sowie die Einrede der Verjährung.

Auswirkungen der Einreden auf den Schuldnerverzug 

Bereits das Vorliegen von Einredevoraussetzungen wirkt grds. verzugsausschließend.
In den Fällen der §§ 273, 1000 BGB gilt hingegen die Besonderheit, dass sie erst mit der entsprechenden Einredeerhebung ex nunc („von nun an“) verzugsausschließend wirken.
Begründet wird dies damit, dass der Gläubiger gem. § 273 III BGB die Möglichkeit haben soll, auf die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts des Schuldners so früh wie möglich mit einer entsprechenden Sicherheitsleistung zu reagieren und damit das Zurückbehaltungsrecht des Schuldners abzuwenden. Diese Reaktionsmöglichkeit würde ausgehöhlt, wenn bereits das bloße Vorliegen von Einredevoraussetzungen verzugsausschließend wirken würde. Denn in diesem Fall müsste der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht für einen Verzugsausschluss nicht geltend machen, weshalb es dem Gläubiger an einem Anlass für eine Sicherheitsleistung fehlen würde. Um bestmöglich das Zurückbehaltungsrecht des Schuldners auszuschließen und damit dessen Verzug zu begründen, bedürfte es mithin einer sofortigen Sicherheitsleistung des Gläubigers, was mit dem Rechtscharakter des § 273 III BGB als eine Reaktionsmöglichkeit des Gläubigers nicht vereinbar ist.
Bei dem Zurückbehaltungsrecht des § 1000 BGB gelten dieselben Grundsätze der Verzugshinderung, da § 273 III BGB analog Anwendung findet.
Besonderheiten bzgl. des Verzugsausschlusses weist auch die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gem. § 320 BGB auf. Vorliegend gelten gem. § 320 I 3 BGB zwar nicht die Grundsätze des § 273 III BGB, doch wirkt das bloße Vorliegen der Einredevoraussetzungen nur dann verzugsausschließend, wenn der Gläubiger die ihm obliegende synallagmatische Gegenleistung nicht angeboten hat. Bietet er die betreffende Gegenleistung hingegen an, kommt ein Verzugsausschluss des Schuldners nicht in Betracht, da sich der Gläubiger ja gerade vertragsgerecht verhält.
Unabhängig von ihrer verzugsausschließenden Wirkung ist allen (materiell-rechtlichen) Einreden gemein, dass ihre Berücksichtigung im Zivilprozess voraussetzt, dass sie spätestens in der letzten Tatsacheninstanz von derjenigen Vertragspartei geltend gemacht werden müssen, die sich auf sie beruft. Eine Prüfung von Amts wegen erfolgt im Gegensatz zu Einwendungen nicht.

Fazit zu den Einwendungen und Einreden

Die rechtliche Einordnung von Einwendungen und Einreden wird Euch im Rahmen Eurer juristischen Ausbildung vom 1. Semester bis zu der letzten Examensprüfung begleiten. Und damit hört es nicht auf. Auch in der zivilrechtlichen Praxis sind die betreffenden Unterscheidungen und rechtlichen Besonderheiten Euer stetiger Wegbegleiter.
Trotz dieser enormen Bedeutung werden im Hinblick auf Einwendungen und Einreden häufig Fehler gemacht. Dies hat häufig damit zu tun, dass die betreffende Materie regelmäßig unterschätzt wird. Aufgrund dessen werden Probleme gar nicht erkannt bzw. zumindest nicht präzise genug bearbeitet.
Wenn Ihr in Euren Zivilrechtsklausuren Probleme haben solltet, stehen Euch unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (Grundstudium bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) gerne hilfreich zur Seite. Ruft uns gerne für einen kostenlosen Probetermin an, wenn Ihr Euch im Zivilrecht verbessern möchtet.
 
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
 



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