Im Rahmen des vorliegenden Streitstands werden die folgenden Ansichten vertreten.

 

Eine Ansicht (Schönke / Schröder – Eser / Bosch, § 249 StGB Rn. 2; Kühl, NStZ 2004, 387, 388)

Nach einer Ansicht handelt es sich bei den Raubdelikten um Fremdschädigungsdelikte und bei den Erpressungsdelikten um Selbstschädigungsdelikte. Die betreffenden Delikte stehen mithin in einem tatbestandlichen Exklusivitätsverhältnis. In diesem Sinne kommt es bei der Abgrenzung von Wegnahme und Vermögensverfügung auf die subjektive Vorstellung des Opfers an. Sagt sich das Opfer sinngemäß: „Die Lage ist aussichtslos. Selbst wenn ich mich weigere, wird der Täter die Sache erhalten“, liegt eine Wegnahme vor. Sagt sich das Opfer hingegen sinngemäß: „Der Täter ist auf meine aktive Hilfe angewiesen. Ohne mich wird er die Sache nicht oder nur schwerlich erhalten“, liegt eine Vermögensverfügung vor. Auch hat die betreffende Ansicht zur Folge, dass bei einer Wegnahme des Täters keine Verwirklichung der Erpressungsdelikte in Betracht kommt. Diese setzen aufgrund der Strukturgleichheit mit dem Betrug vielmehr eine freiwillige Vermögensverfügung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, welche bei einer Wegnahme zwangsläufig ausscheidet.

 

Andere Ansicht (BGHSt 14, 386, 388, 390; 25, 224, 228)

Nach einer anderen Ansicht handelt es sich sowohl bei den Raubdelikten als auch bei den Erpressungsdelikten um Fremdschädigungsdelikte. Der Raub ist hierbei die Qualifikation des Grundtatbestands der räuberischen Erpressung, verdrängt diese konkurrenztechnisch mithin im Wege der Spezialität. In diesem Sinne kommt es bei der Abgrenzung von Wegnahme und Vermögensverfügung auf das äußere Erscheinungsbild der Tat an. Eine Wegnahme liegt also vor, wenn sich der Täter die Sache „nimmt“. Eine Vermögensverfügung liegt hingegen vor, wenn das Opfer die Sache „gibt“. Auch hat die betreffende Ansicht zur Folge, dass bei den als Fremdschädigungsdelikte zu qualifizierenden Erpressungsdelikten nicht zwangsläufig eine Vermögensverfügung vorliegen muss. Vielmehr ist auch die Wegnahme eine taugliche Tathandlung.

 

Stellungnahme

Beide Ansichten sind gut vertretbar. Im Zweifel ist jedoch der zweiten Ansicht zu folgen. Für die erste Anspricht spricht zwar, dass es prinzipiell systemwidrig wäre, wenn der Grundtatbestand der räuberischen Erpressung auf den Strafrahmen der Qualifikation des Raubs verweist. Der Raub als Straftatbestand wäre überflüssig, wenn jede Tatbestandsverwirklichung des Raubs zugleich eine Tatbestandsverwirklichung der räuberischen Erpressung zur Folge hätte. Des Weiteren würde die Intention des Gesetzgebers, eine gewaltsame Wegnahme ohne Zueignungsabsicht nicht als Raub zu bestrafen, unterlaufen. Schließlich ist der Täter einer räuberischen Erpressung „gleich einem Räuber zu bestrafen“. Für die zweite Ansicht spricht jedoch, dass der Wortlaut der Erpressungsdelikte keine Vermögensverfügung verlangt, sondern eine abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung ausreichen lässt. Der Gewaltbegriff der Erpressungsdelikte ist derselbe wie bei der Nötigung, der sowohl vis absoluta auch vis compulsiva umfasst. Auch stehen die Erpressungsdelikte gem. §§ 253, 255 StGB systematisch bei den Fremdschädigungsdelikten (wie dem Raub gem. § 249 StGB) und nicht bei dem Selbstschädigungsdelikt des Betrugs gem. § 263 StGB. Darüber hinaus enthält die erste Ansicht, die eine Erpressungshandlung nur bei einer Vermögensverfügung des Opfers annimmt, nicht hingegen bei einer Wegnahme des Täters, Strafbarkeitslücken. Denn nach ihr würde ein Täter ohne Zueignungsabsicht, der mit vis absoluta eine Sache wegnimmt, mangels Strafbarkeit wegen eines Raubs oder einer räuberischen Erpressung ggü. demjenigen, der mit vis compulsiva die Herausgabe einer Sache veranlasst, bevorzugt werden.

 

Prüfungsstandort des Streitstands

Es empfiehlt sich bei dem vorliegenden Streitstand mit der Prüfung des Raubs zu beginnen und zu erörtern, ob nach den unterschiedlichen Ansichten eine Wegnahme oder eine Vermögensverfügung vorliegt.

Liegt nach beiden Ansichten i.R.d. Raubs eine Weggabe vor, erübrigt sich eine Streitentscheidung gänzlich. Die Raubprüfung ist dann mangels Wegnahme zu beenden und auf die räuberische Erpressung einzugehen. Bei dem betreffenden Nötigungserfolg ist zu erörtern, dass nach einer Ansicht eine Vermögensverfügung zwingend vorausgesetzt wird, wohingegen die andere Ansicht nicht zwangsläufig einen Nötigungserfolg in der Gestalt der Vermögensverfügung voraussetzt, sondern auch eine Wegnahme als Tathandlung ausreichen lässt. Eine Streitentscheidung ist jedoch auch hier entbehrlich, da eine Vermögensverfügung unstreitig vorliegt.

Kommen beide Ansichten hingegen zu dem Ergebnis, dass eine Wegnahme vorliegt, erübrigt sich eine Streitentscheidung i.R.d. Raubprüfung, sie kann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt noch relevant werden. Wenn nämlich eine Raubstrafbarkeit z.B. mangels Zueignungsabsicht ausscheidet, ist bei der räuberischen Erpressung im Hinblick auf den Nötigungserfolg zu erörtern, ob auch eine Wegnahme als taugliche Tathandlung erfasst wird. An dieser Stelle hat eine Streitentscheidung zu erfolgen. Kommt hingegen eine Raubstrafbarkeit in Betracht, kann eine Streitentscheidung wiederum unterbleiben, weil eine Strafbarkeit wegen der räuberischen Erpressung nach beiden Ansichten ausscheidet. Nach der einen Ansicht bereits tatbestandlich, nach der anderen Ansicht der Rspr. konkurrenztechnisch.

Kommen beide Ansichten i.R.d. Raubprüfung wiederum zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Wegnahme oder Weggabe, ist der Streit bereits an dieser Stelle zu entscheiden und anschließend mit der Prüfung fortzufahren.

 

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Hendrik Heinze
Mitgeschäftsführender Gesellschafter der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR


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