Klausurträchtige Probleme des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

29.07.2024 I Tim Kaulfuss



Die Prüfung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts macht Studierenden immer wieder Probleme. Grund ist nicht zuletzt, dass das im Grundgesetz nicht ausdrücklich normierte Grundrecht viele Unterfallgruppen – sogenannte Ausprägungen – hat.
Der Blogbeitrag soll Euch die Angst davor nehmen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Klausur zu bewerkstelligen. An sich geht es „nur“ darum, die Probleme gehört und verstanden zu haben sowie sie an der korrekten Stelle im Gutachten wiederzugeben. Es gilt einmal mehr der Grundsatz des Jurastudiums: Verstehe die Hintergründe und mach Dir den Sinn und Zweck klar. Das erspart unnötiges Auswendiglernen.

Herleitung

Das BVerfG hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht (auch aPR oder APR genannt) aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Das aPR schützt keinen speziellen Lebensbereich, ähnlich wie die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), und hat das Menschsein des Einzelnen zum Gegenstand, wie die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Es ist primär ein Abwehrrecht gegen den Staat.

Besonderheiten im persönlichen Schutzbereich

1. Postmortaler Persönlichkeitsschutz

Grundrechtsträger kann grundsätzlich nur eine lebende, natürliche Person sein. Mit dem Tod endet die Möglichkeit, die eigene Meinung zu äußern oder sich zu versammeln.
Dagegen wäre es aber mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn der Verstorbene mit dem Tod herabgewürdigt und erniedrigt werden dürfte. Die Achtung und Würde eines jeden Menschen, welche ihm kraft Menschseins zukommt, muss mithin über den Tod hinauswirken (postmortaler Persönlichkeitsschutz).
Während das BVerfG diesen Schutz ausschließlich auf Art. 1 Abs. 1 GG stützt, rekurriert ein Teil der Lehre auf Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (sozusagen das „normale“ aPR). Interessant und (immer) aktuell ist in diesem Zusammenhang die Debatte um die Widerspruchslösung bei Organspenden...

2. Anwendbarkeit auf juristische Personen

Ist das aPR wesensmäßig auf juristische Personen anwendbar (Art. 19 Abs. 3 GG)?
Das BVerfG hat bereits 2002 (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, BVerfGE 106, 28 – 51) entschieden, dass sich eine juristische Person des Privatrechts auf das Recht am gesprochenen Wort berufen kann. Auf andere Ausprägungen des aPR, nämlich jenen, die zu nah an Art. 1 Abs. 1 GG liegen, könne sich die juristische Person nicht berufen. Freilich nimmt das BVerfG hier eine vermittelnde Position ein: Während ein Teil der Literatur die Anwendbarkeit in Gänze bejaht, verneinen andere sie.
Bitte lass Dich hier nicht verwirren, denn der BGH erkennt das zivilrechtliche aPR als sonstiges (absolutes) Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB an. Obwohl es Überschneidungen gibt, sind das zivilrechtliche und das verfassungsrechtliche aPR nicht identisch! Dies wird erstens dadurch deutlich, dass die Anerkennung des Grundrechts später erfolgte, und zweitens, weil es sich um ein einfachgesetzliches Institut handelt.

Besonderheiten im sachlichen Schutzbereich

Im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs wird gewöhnlich zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung, dem Recht auf Selbstbewahrung und dem Recht auf Selbstdarstellung unterschieden. Unter Letzteres fallen u.a. die wichtigen Fallgruppen des Schutzes der persönlichen Ehre sowie das Recht am eigenen Bild.
Auch die Einteilung von Intimsphäre (bitte nicht Intimbereich!), Privat- und Sozialsphäre sollte Dir bekannt sein. Mach Dir aber klar, dass diese Begriffe vor allem der Systematisierung einer mittlerweile weiten Kasuistik dienen. Wichtiger als die Begriffe stumpf wiedergeben zu können, ist es, zu erkennen, dass das aPR die „engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen“ gewährleisten soll.
Im Übrigen ist es offen, um neue (insbesondere durch technische Neuerungen) Eingriffe und Gefährdungen abzuwehren.
Nachfolgend wollen wir uns exemplarisch einige klausurrelevante Fallgruppen ansehen:

1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Vom BVerfG in der Volkszählungsentscheidung (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 – 71) entwickelt, soll das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RIS) dem Einzelnen das Recht verleihen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen.
Insbesondere können hier Bezüge zum Daten(schutz)recht (genannt seien hier die DSGVO, das BDSG sowie die LDSGe) und zum Europarecht (Recht auf Vergessen I BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 06. November 2019 - 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 – 215, und Recht auf Vergessen II, BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 06. November 2019 - 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216 - 274) herzustellen sein.

2. Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme

Greift der Staat beispielsweise durch eine heimliche Überwachungssoftware auf Daten eines Computers zu, der nicht beschlagnahmt wurde (sog. Online-Durchsuchung), ist fraglich, an welchem Grundrechtsmaßstab diese Maßnahme zu messen ist.
Das BVerfG sieht sowohl die Schutzbereiche der Art. 13 GG und Art. 10 GG als auch des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht eröffnet.
Der Grund ist, dass das RIS vor dem folgenden Szenario nicht hinreichend schützt: Bürger B ist auf die Nutzung eines IT-Systems angewiesen und vertraut ihm seine personenbezogenen Daten an. Nun verschafft sich ein Dritter (beachte an dieser Stelle die Drittwirkung der Grundrechte) Zugriff zu diesem System (beispielsweise durch einen Hackangriff) und erlangt einen umfangreichen und aussagekräftigen Datenbestand. Der Dritte muss gerade keine Daten mehr verarbeiten oder erheben.
Um diese Schutzlücke zu schließen, hat das BVerfG das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (RIVIS) – auch als Computer- oder IT-Grundrecht bekannt – geschaffen (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07 = BVerfGE 120, 274 - 350).
Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch nicht auf die Erhebung einzelner Daten beschränkt ist, wird von der Literatur vertreten, das RIS für die Online-Durchsuchung heranzuziehen und im Rahmen der Angemessenheit auf die Intensität des Eingriffs einzugehen.

3. Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Umstritten ist, ob das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eine Ausprägung des aPR oder vielmehr das negative Pendant zum Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist.
Das BVerfG sieht den Fokus auf der Selbstbestimmung des Einzelnen, er dürfe selbst entscheiden, welchen Sinn er in seinem Leben sieht und ob und warum er aus dem Leben scheiden will. Das BVerfG sieht hierin eine Ausprägung des aPR. Umfasst ist auch die Freiheit, zur Erfüllung des Sterbegesuchs, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese wegweisende Entscheidung des BVerfG (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182 – 310) war sehr medienpräsent und hat auch im Strafrecht zu Veränderungen geführt (vgl. § 217 StGB).

4. Recht auf sexuelle Identität

Politische und gesellschaftliche Streitgespräche drehen sich um die sexuelle Identität. Das Selbstbestimmungsgesetz der aktuellen Ampel-Koalition und die Debatten im Bundestag sowie in Talkshows sind dafür nur ein Beispiel. Die Grundrechte müssen – wenn auch nicht ausdrücklich im Katalog der Artt. 1 ff. GG, dann aber durch das aPR – dem Einzelnen das Recht verleihen, selbst und frei über eine Geschlechtsumwandlung entscheiden zu können und nicht in die Schublade „männlich oder weiblich“ gezwungen zu werden.

Weitere Prüfung des aPR (Eingriff und Rechtfertigung)

Auf der Eingriffs- und Rechtfertigungsebene folgt das aPR dem Schema der allgemeinen Handlungsfreiheit.
Auch Eingriffe in das aPR sind grundsätzlich über die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigungsfähig.
Auf der Ebene der Rechtfertigung kommt es – wie auch ansonsten bei Freiheitsgrundrechten – vor allem auf eine saubere Verhältnismäßigkeitsprüfung an.
Beachte jedoch, dass je näher der Eingriff am Menschenwürdekern des aPR „kraazt“, desto eher entfällt die Rechtfertigung, denn die Menschenwürde ist unantastbar und abwägungsfest.

Fazit

Nur weil das aPR im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, brauchst Du nicht zu bangen, wenn es in Deiner Kampagne abgeprüft wird. Wenn Du den Sinn und Zweck verinnerlicht hast, auf den konkreten Sachverhalt eingehst und mit den richtigen Schlagworten an der richtigen Stelle glänzen kannst, wirst Du die Prüfung meistern.
Geht es um die Abwägung zwischen aPR und Meinungs- (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. HS GG) oder Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) fährst Du gut damit, solche bekannten Fälle bereits zuvor geübt zu haben.
Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Dir vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite und trainieren gerne mit Dir für die Klausuren. Solltest Du Dich in den Grundrechten noch nicht examensreif fühlen, vereinbare gerne einen kostenlosen Probetermin.

Tim Kaulfuß
 

RSS Feed abonnieren