Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht

17. 01. 2024 | von Hendrik Heinze

Neben der Kausalität ist die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs bzgl. des Täters ein klausurrelevantes Prüfungsthema im Strafrecht.


Die objektive Zurechnung des Taterfolgs richtig lernen!

Lesen, Verstehen, Lernen, Anwenden: Nur auf diese Weise ist es nachhaltig möglich, im Jura Studium und im Referendariat Erfolg zu haben. Bloßes Auswendiglernen wird spätestens im 1. Staatsexamen und 2. Staatsexamen nicht zu den gewünschten Noten führen. Erst recht nicht auf Prädikatsniveau.
Dieser Lerngrundsatz gilt nicht nur für hochkomplexe Rechtstreite, sondern gerade bei Aneignung der sogenannten „Basics“, zu denen ohne jede Frage Aspekte der Kausalität und der objektiven Zurechnung (mitunter auch objektive Zurechenbarkeit genannt) im Strafrecht zählen.

Sinn und Zweck der objektiven Zurechenbarkeit im Strafrecht

Im deutschen Strafrecht ist die objektive Zurechnung ein potentielles Kriterium zur Ermittlung der Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung. Mittels dieser Zurechnung soll eine uferlose Haftung infolge der Äquivalenztheorie vermieden werden. Grundgedanke der durch die objektive Zurechnung begründeten Haftungsbeschränkung ist, dass ein Täter nur für Handlungen, die als sein Werk anzusehen sind, sanktioniert werden sollen.
Ebendies wird durch die im deutschen Strafrecht vorherrschende Kausalitätstheorie nicht gewährleistet. So ist nach der Äquivalenztheorie unter Berücksichtigung der conditio-sine-qua-non-Formel jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der eingetretene tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (BGHSt 1, 332 ff.).
Es wird mithin pauschal von einer kausalen Gleichwertigkeit aller tatbestandserfüllenden Bedingungen ausgegangen. Streng genommen wäre also bereits der Zeugungsakt der Eltern eines späteren Straftäters ursächlich für seine Tat. Schließlich gäbe es ohne die Zeugung den Straftäter nicht und dementsprechend hätte er natürlich auch nicht die Tat begehen können.
Dass die Eltern für die Taten ihrer Kinder nicht pauschal haften können, das versteht sich gerade für juristische Laien von selbst. Die juristische Begründung dieses „selbstverständlichen“ Ergebnisses ist bei näherer Betrachtung jedoch komplexer als anfangs angenommen.

Rechtsdogmatische Akzeptanz der kausalitätsbegrenzenden Lehre von der objektiven Zurechnung

Die rechtsdogmatische Einordnung der objektiven Zurechnung ist zwischen der Literatur und der Rechtsprechung umstritten.

Literatur: Sowohl bei Vorsatz- als auch Fahrlässigkeitsdelikten

So ist es in der Literatur allgemeinhin anerkannt (h.M.), das Erfordernis der „objektiven Zurechenbarkeit des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs bzgl. des Täters“ bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten i.R.d. objektiven Tatbestands nach der „Kausalität der Tathandlung für den eingetretenen tatbestandlichen Erfolg“ zu prüfen.

Rspr.: Grundsätzlich nur bei Fahrlässigkeit

Diese Ansicht der Literatur hat sich in der Rspr. noch nicht einheitlich durchgesetzt. Sie verzichtet bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten vielmehr größtenteils weiterhin auf das Kriterium der objektiven Zurechenbarkeit. Stattdessen vermeidet sie eine ausufernde Strafbarkeit infolge der Weite der Äquivalenztheorie unter Berücksichtigung der conditio-sine-qua-non-Formel mit dem Verweis auf das Zusammenspiel zwischen dem subjektiven Tatbestand und der Kausalität. 
Da sich der Vorsatz schließlich auch auf die Kausalität beziehen muss, ist bei wesentlichen Abweichungen des Kausalverlaufs von der Tätervorstellung schlicht der Vorsatz ausgeschlossen, womit eine betreffende Strafbarkeit ausscheidet.
Bisher geht die höchstrichterliche Rspr. einzig bei der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder -schädigung des Opfers sowie allgemein bei Fahrlässigkeitsdelikten auf Aspekte der Lehre der objektiven Zurechnung tatbestandlich ausdrücklich ein (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2015 – 4 StR 223/15; BGH, Beschluss vom 11.07.1991 – 1 StR 357/91; BGHSt 32, 262 ff.; Lasson, ZJS 2009, 359, 360).

Streitentscheid im Jura Examen

Beide Ansichten sind in diesem Zusammenhang gut vertretbar, doch ist gerade im Hinblick auf die Prüfungen des Ersten Staatsexamens die h.M. üblicher.

Wann ist der eingetretene tatbestandliche Erfolg dem Täter objektiv zurechenbar?

Für die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen Taterfolgs müsste ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Tathandlung und dem betreffenden Erfolg bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in dem eingetretenen Taterfolg realisiert.

Klausurrelevante Fallgruppen der objektiven Zurechnung des Taterfolgs im Strafrecht

Im Wesentlichen sind die folgenden 7 Fallkonstellationen zu unterscheiden, die im Hinblick auf die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs bzgl. des Täters von Bedeutung sind:

  • Atypischer Kausalverlauf

  • Taterfolg wird nicht von dem Schutzzweck der verletzten Norm erfasst

  • Sog. rechtmäßiges Alternativverhalten

  • Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten

  • Eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder -schädigung des Opfers

  • Allgemeines Lebensrisiko und allgemeinübliches Verhalten (Sozialadäquanz)

  • Risikoverringerung

Fazit zur objektiven Zurechnung des Taterfolgs

Wie Ihr seht, sind die Probleme im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit gut handhabbar. Dennoch werden hier häufig Fehler gemacht. Dies liegt einerseits daran, dass der Sachverhalt oftmals nicht genau genug gelesen wird, weshalb nicht wenige Klausurbearbeiter die klausurrelevanten Fallgruppen, bei denen die objektive Zurechnung besondere Bedeutung erlangt, schlicht übersehen. Zum anderen wird mitunter nicht präzise genug gearbeitet. Auch werden fatalerweise regelmäßig Probleme der objektiven Zurechnung mit der Kausalität vermischt.
Wenn Ihr in den Strafrechtsklausuren nicht über ein „ausreichend“ (4 bis 6 Punkte) kommt, dann seid Ihr nicht allein. Strafrechtsklausuren fallen im Allgemeinen nicht besonders gut aus. Nicht nur ist das Strafrecht im Detail sehr komplex, sondern man muss in der Strafrechtsklausur auch deutlich mehr Seiten zu Papier bringen als im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht.
Unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (Grundstudium bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) stehen Euch gerne zur Seite, wenn Ihr Euch im Strafrecht verbessern möchtet. Ruft uns gerne für einen kostenlosen Probetermin an.
 
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR

 



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