Leistungs- und Preisgefahr – die wichtigsten Mechanismen in der Unmöglichkeitsrechtsklausur

05.09.2024 I Sophie Goldenbogen



Das Unmöglichkeitsrecht wird Studierenden bereits ab dem ersten Semester Zivilrecht beigebracht und bleibt bis zum Examen ein Dauerbrenner. Um richtig zu punkten, sollte man die Mechanismen und Begriffe wirklich gut verstanden haben. Denn in fast jeder Klausur, in der der § 275 eine Rolle spielt, kommen ähnliche Probleme vor. Wir schauen uns heute einen klassischen Fall genauer an und erarbeiten die Grundlagen. 

Ein Klassiker

V und K schließen einen Kaufvertrag über eine Standardtasse, von der der V auch mehrere  vorrätig hat. Die Tasse ist noch nicht bezahlt. Es wird vereinbart, dass V die Tasse persönlich bei K vorbeibringen soll. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist K aber nicht zuhause. V steht vor verschlossenen Türen. Auf dem Heimweg fällt V die Tasse leicht fahrlässig aus der Hand und geht kaputt. V will nicht nochmal eine Tasse an K liefern. K müsste sich eine ähnliche Tasse jetzt teurer woanders kaufen, da V die Tasse besonders günstig verkauft hatte.
Wir fragen uns:
1. Muss V die Sache noch leisten?
2. Bekommt K Schadensersatz für einen etwaigen teureren Deckungskauf?
3. Bekommt V noch den Kaufpreis?

Konkretisierung und Leistungsgefahr

Muss V die Sache nochmal an K leisten?

Der Anspruch von K gegen V aus § 433 I 1 BGB ist natürlich erst einmal entstanden. Hier dreht sich alles um die Frage, ob der Anspruch vielleicht untergegangen ist. Und da es in diesem Beitrag um Unmöglichkeitsrecht geht, wird es niemanden wundern, was jetzt kommt. Genau: § 275 I, aber der Reihe nach. Wir fragen uns also, ob für V die Leistung unmöglich geworden ist. Dazu schauen wir uns an, was V überhaupt schuldet. Ursprünglich hatten V und K eine Gattungsschuld vereinbart, das bedeutet, K schuldete irgendeine Tasse mittlerer Art und Güte (vgl. dazu § 243 I BGB). Davon gibt es auch nachdem ihm die eine Tasse zerbrochen ist noch jede Menge auf der Welt. Jetzt kommt aber der § 243 II BGB ins Spiel. Hat V nämlich alles seinerseits erforderliche getan, so wandelt sich die Gattungsschuld in eine Stückschuld um und V schuldet wie bei einer Stückschuld nur noch diese eine Tasse, die er zum Haus des K gebracht hat. Bei einer Bringschuld muss V diese Sache bis zur Tür des K bringen und die Sache dort anbieten und das hat V hier gemacht. Ergebnis: Die Sache wurde konkretisiert. Man sagt auch: die sogenannte Leistungsgefahr ist von V auf K übergegangen. Geht nämlich der konkretisierte Gegenstand unter – so wie in unserem Fall – und trägt K die Leistungsgefahr, hat K keinen Anspruch mehr auf die Leistung. Die Leistung ist nämlich unmöglich geworden, denn diese eine Tasse kann V jetzt nicht mehr liefern. Hinweis: Bei der Stückschuld trägt der K von Anfang die Leistungsgefahr.

Bekommt K Schadensersatz?

Der K guckt dumm aus der Wäsche wegen § 275 I BGB. Aber der § 275 IV sagt, dass der K als Kompensation bestimmte Ansprüche hat, unter anderem: Schadensersatz. Anspruchsgrundlage hierfür wäre in unserem Fall §§ 280 I, III, 283 BGB. Zwischen K und V besteht ein Schuldverhältnis und die Nichtleistung wegen nachträglicher Unmöglichkeit ist auch eine Pflichtverletzung. Jetzt müsste V diese Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Im ersten Moment besteht daran kein Zweifel. Gemäß § 276 I, II BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten und V hat ja leicht fahrlässig die Tasse fallen lassen und damit die Nichtleistung zu vertreten. Hier greift allerdings die Haftungsprivilegierung nach § 300 I BGB, wonach V nur noch grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu vertreten hat. Die Überlegung dahinter ist ganz einfach. Es besteht immer ein Risiko, dass Dinge durch die eigene Unachtsamkeit kaputt gehen. Keiner der beiden hat ein Interesse daran für dieses Risiko zu „haften“. Bis V alles, was er laut Vertrag machen musste – wir erinnern uns, die Tasse an K’s Tür zu bringen und die Sache anzubieten - haftet V. Wenn aber K nicht zuhause ist, trägt V auf einmal viel länger das Risiko des Sachuntergangs. Und hier greift der § 300 I BGB. Er sagt, wenn du, lieber Gläubiger, nicht wie vereinbart zuhause bist, dann haftet ab da V nur noch für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Oder in Juristensprache: der Annahmeverzug des Gläubigers führt zu einer Haftungsprivilegierung des Schuldners. Ergebnis: kein Vertretenmüssen bei V, kein Schadenersatz für K.

Annahmeverzug und Preisgefahr

Bekommt V noch den Kaufpreis?

Jetzt fehlt nur noch eine letzte Frage, die von den Studierenden oft schwach beherrscht wird. Es geht um das Schicksal der Gegenleistungspflicht. Der Grundsatz ist, erlischt der Anspruch des K auf die Leistung gem. § 275 I BGB, erlischt auch der Anspruch des V auf die Zahlung. Das steht genauso in § 326 I 1 BGB. Viele Studierende sagen an dieser Stelle fälschlicherweise, auch der Anspruch des V gehe gem. § 275 I BGB unter. Dass der Anspruch des V erlischt, ist aber nur die Konsequenz davon, dass der Anspruch des K erloschen ist. 
Wir halten fest: Der Anspruch des V gegen K auf Zahlung des Kaufpreises ist eigentlich erloschen. Der § 326 II BGB hält aber zwei Alternativen bereit, die den Zahlungsanspruch wieder „auferstehen lassen“, wenn die Voraussetzungen vorliegen (das Gesetz spricht davon, dass der Anspruch des V aufrechterhalten bleibt). Unter Studierenden spricht man daher manchmal flapsig von sogenannten Ostervorschriften. Für Alternative 1 müsste der Gläubiger allein oder weit überwiegend für die Unmöglichkeit verantwortlich sein. Achtung: der Gläubiger ist hier K, denn es geht hier um den Gläubiger des Leistungsanspruchs, der gem. § 275 I BGB erloschen ist. Genau das wird in Klausuren oft verwechselt, sodass einige plötzlich zu dem widersprüchlichen Ergebnis kommen, dass der Verkäufer seinen Anspruch auf den Kaufpreis behält, wenn er (!) für die Unmöglichkeit verantwortlich ist. Die Frage muss aber lauten: Ist K für den Untergang der Tasse verantwortlich? Und in unserem Fall stellen wir fest: Nein, schließlich hat V die Tasse fallen lassen. Das heißt: § 326 II 1 Alt.1 BGB (-). Aber es gibt ja noch die Alternative 2. Diese greift, wenn V den Sachuntergang bzw. die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat und das Ganze zu einer Zeit passiert, in der der K im Annahmeverzug war. Und so ist es hier. Wegen § 300 I BGB hat V die Unmöglichkeit ja gerade nicht zu vertreten (siehe oben bei § 283 BGB) und die Sache ist kaputt gegangen, nachdem V die Sache K erfolglos angeboten hatte. Voilà: der Kaufpreisanspruch des V gegen den K ist eigentlich gem. § 326 I 1 BGB erloschen, bleibt aber aufrechterhalten (bzw. „ersteht wieder auf“) gem. § 326 II 1 Alt. 2 BGB. Pech für K, wäre er mal lieber zuhause gewesen. Diesen Mechanismus, dass V eigentlich gem. § 326 I 1 BGB nicht den Kaufpreis bekommt, aber dann gem. § 326 II 1 Alt. 2 BGB doch, nennt man auch: Übergang der Preisgefahr von V auf K.

Fazit

Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie wichtig das Verständnis des „Unmöglichkeitsrechts“, der gesetzlichen Regelungen zur Konkretisierung von Gattungsschulden und zur Haftungsverteilung bei Annahmeverzug ist. Der Verkäufer, der seine Leistungspflicht ordnungsgemäß erfüllt hat, wird unter bestimmten Umständen von der Haftung befreit, während der Käufer trotz der Unmöglichkeit der Leistung an ihn den Kaufpreis an den V zahlen muss. Solche Fallkonstellationen verdeutlichen die Feinheiten des BGB und die Bedeutung einer genauen Prüfung der Voraussetzungen für die Haftung, die Leistungs- und die Preisgefahr. Ratsam ist es, sich zunächst nicht auf die Begriffe Leistungs- und Preisgefahr zu fokussieren. Wichtig ist, zu verstehen, dass der Anspruch des K gegen V gem. § 275 I BGB erlischt und der Anspruch des V gegen K gem. § 326 I 1 BGB erlischt und unter Umständen gem. § 326 II 1 BGB aufrechterhalten wird. Man kann ein Examen in diesem Zusammenhang auch gut ohne die Verwendung des Begriffspaars Leistungs- und Preisgefahr bestehen. Wer sie aber beherrscht, schindet beim Korrektur sicher Eindruck. 
Wir hoffen dieser Beitrag hat euch dabei geholfen die Mechanismen des Unmöglichkeitsrechts besser zu verstehen. Wenn ihr euch im BGB AT noch etwas wackelig fühlt, vereinbart doch einen Probetermin mit einem unserer erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie. Wir stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite. Für mehr hilfreiche Beiträge zu den wichtigsten Examensthemen, abonniert gerne unseren Newsletter.

Sophie Goldenbogen
 

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