LG Göttingen: Prügel Prof. zu Bewährungsstrafe verurteilt

29.03.2024 | von Sander Singer

LG Göttingen, Urteil vom 22.02.2024 – 2 KLs 15/23

Jüngst hat das LG Göttingen einen perversen Professor, der seine Doktorandin in seinem Büro an der Fakultät regelmäßig mit einem Bambusstock schlug, verurteilt.

Sachverhalt

Der Angeklagte T ist Professor für Waldökologie und Forstwirtschaft an der Universität G. Er betreut seit 2013 die Promotion der aus Vietnam stammenden, nur unzureichend Deutsch sprechenden O.
T verabredete mit ihr regelmäßige „Gesprächstermine“ außerhalb der Dienstzeiten in seinem Büro. Im Rahmen einer dieser „Termine“ offenbarte O, dass sie vergessen hatte, sich für ein Seminar anzumelden. T wurde wütend. Er schloss die Bürotür von innen ab und sagte O, dass er sie wegen ihres Fehlers mit einem 60 cm langen Bambusstock bestrafen wolle. Dies lehnte O ab. T stellte daraufhin klar, dass er die Zusammenarbeit mit ihr in diesem Fall nicht fortführen könne. O willigte, um eine Fortsetzung der Promotion und etwaiger Zuwendungen aus einem damit im Zusammenhang stehenden Stipendium nicht zu verlieren sowie aus dem Umstand, dass das Büro abgeschlossen war und keine weiteren Mitarbeiter mehr im Institut waren, in die Schläge ein. T schlug daraufhin 15 Mal auf das bekleidete Gesäß der O. Der Vorgang wiederholte sich noch in mehreren weiteren „Terminen“. T forderte die O in einem späteren „Termin“ auf sich die Hose herunterzuziehen, was dieselbe abermals verweigerte. Stattdessen sollte sie die Waden freimachen, was sie aus den gleichen Motiven tat. Bei den Schlägen entstanden Hämatome an den Waden. Später schlug er auch mit der Hand auf ihr entblößtes Gesäß.
In einer der letzten „Termine“ wollte der T die O auf ihren zukünftigen Chef vorbereiten. Er schlug sie abermals. In diesem „Termin“ sprach er allerdings nicht ausdrücklich aus, dass er die Zusammenarbeit im Falle einer Weigerung beenden würde.

Wesentliche Aussagen

  1. T wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt gem. § 340 I, III i.V.m. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, Nötigung gem. § 240 I StGB und Freiheitsberaubung gem. § 239 I StGB zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt.
  2. Der BGH hatte in seinem Urteil vom 08.03.2023 - 6 StR 378/22 das ursprüngliche Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das LG zurückverwiesen. Er rügte die rechtliche Bewertung dahingehend, dass das LG in den letzten „Terminen“ keine Drohung gesehen hatte. Diese läge konkludent vor.

Bedeutung für die Klausur

Die Entscheidung LG Göttingen, Urteil vom 22.02.2024 – 2 KLs 15/23 gibt Anlass, den klausurrelevanten Nötigungstatbestand zu wiederholen.

1. Prüfungsschema der Nötigung

Nötigung nach § 240 I StGB hat diese Voraussetzungen:
I. Objektiver Tatbestand
1. Nötigungsmittel
a) Nötigung mit Gewalt
b) Drohung mit einem empfindlichen Übel
2. Nötigungserfolg
3. Kausalität zwischen Nötigungshandlung und -erfolg
II. Subjektiver Tatbestand
III. Rechtswidrigkeit, Prüfung der Verwerflichkeit gem. § 240 II StGB
IV. Schuld

2. Drohung mit einem empfindlichen Übel

Die Probleme der Entscheidung LG Göttingen, Urteil vom 22.02.2024 – 2 KLs 15/23 liegen beim Tatbestandsmerkmal der Drohung mit einem empfindlichen Übel.
Die Drohung ist das Inaussichtstellen einer Werteinbuße, deren Eintritt vom Willen des Täters abhängig erscheint, unabhängig von seinem tatsächlichen Realisierungswillen oder der Realisierbarkeit, wenn dem Opfer zur Vermeidung des Übels das vom Täter erstrebte Verhalten als Handlungsalternative vor Augen geführt wird.
Es reicht für eine Drohung nicht aus, wenn das angekündigte Übel durch das Opfer nur erwartet wird, der Täter dieses aber nicht in Aussicht gestellt hat. Hieran hat sich letztlich auch das erste Urteil des LG bezogen. Der Umstand, dass T der O bei den letzten Treffen nicht mehr explizit gesagt hatte, dass die Duldung der Schläge in direktem Zusammenhang mit der Weiterbeschäftigung stünde, sollte die Drohung entfallen lassen.
Drohen kann man allerdings nicht nur mit ausdrücklichen Worten, sondern auch konkludent durch bestimmte Taten oder durch das Schaffen einer bestimmten Lage, die das künftige Übel zur Genüge als solches darstellen. 
Auch in zeitlicher Hinsicht können frühere Drohungen fortwirken, wenn durch dieselben eine „Drohkulisse“ geschaffen wurde. Im Fall hat der T durch die Drohungen in den vorherigen „Terminen“ bereits eindeutig die Konsequenzen einer Verweigerung dargelegt. Die O hat diese vorherigen Drohungen als fortwirkend empfunden, sodass diese auch kausal i.S.e. Kausalität zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg waren. Hinzu kommt, dass das Gepräge im Ganzen parallel zu den vorherigen Treffen war. Sie fanden außerhalb der Dienstzeiten statt, der T schloss die Tür ab und schlug die O.

Fazit

Die konkludente Drohung sowie das Fortwirken vergangener Drohungen werden in einer Klausur schnell einmal übersehen. Diese Problematik ist nicht nur bei § 240 I StGB relevant, sondern auch bei den Raub- und Erpressungsdelikten, die allesamt eine Nötigungskomponente enthalten.
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  • Nötigung gem. § 240 I StGB

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