Nicht vergessen! Aufrechnung und Zurückbehaltungsrechte

06.12.2024 I Sophie Goldenbogen



In einer zivilrechtlichen Klausur muss man in aller Regel Ansprüche prüfen. Natürlich gibt es davon auch manchmal Ausnahmen. Fragen wie beispielsweise: Ist das Testament wirksam? Oder: Ist eine bestimmte Person Eigentümer einer Sache oder Inhaber eines Pfandrechts geworden? Manchmal wird auch nur danach gefragt, ob der Kaufvertrag wirksam ist. In den meisten Fällen aber wird die Klausur die Frage stellen, ob eine Person einen Anspruch auf etwas Bestimmtes hat. Im Sachverhalt wird dann vorgetragen, dass die Person zum Beispiel irgendwelche Schäden erlitten hat. Dann muss man Schadensersatzansprüche prüfen. In anderen Fällen erzählt die Klausur, dass eine Person einen Gegenstand genutzt hat und sich eine andere Person dann fragt, ob sie hierfür Nutzungsersatz verlangen kann. Kurz um: es gibt verschiedene Anspruchsziele. Sehr viele von Ihnen sind auf Geld gerichtet, andere auf die Herausgabe oder Übereignung einer bestimmten Sache. Dann gibt es noch Verwendungsersatzansprüche oder Ansprüche auf Herausgabe eines Surrogats.
Das klingt jetzt erst einmal banal. Es ist aber ratsam, dass man sich das Anspruchsziel vergegenwärtigt, bevor man die klassische Reihenfolge von vertraglichen, quasi-vertraglichen, dinglichen, bereicherungsrechtlichen und deliktischen Ansprüchen abarbeitet. Übrigens besteht kein Vorrang zwischen der Prüfung von bereicherungsrechtlichen und deliktischen Ansprüchen, die vertraglichen, quasi-vertraglichen und dinglichen Ansprüche sind hingegen immer zuerst in dieser Reihenfolge zu prüfen.
Wenn man die eben angesprochene Vorarbeit geleistet hat und eine bestimmte Anspruchsgrundlage gefunden hat, beispielsweise den Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB, beginnt man mit der Frage, ob der Anspruch entstanden ist. Das ist für die allermeisten bekanntes Terrain. Auch bei Anspruch untergegangen erinnern sich viele vielleicht noch an das viel besprochene Unmöglichkeitsrecht und die Vorschriften von § 275 Abs. 1 BGB und § 326 Abs. 1 S. 1 BGB.
Eine Falle, in die viele Bearbeiter:innen tappen, ist, Zurückbehaltungsrechte oder mögliche Aufrechnungsmöglichkeiten zu übersehen. Grund dafür ist, dass die Klausur explizit nur nach den Ansprüchen einer Person (A) gegen eine andere Person (B) fragt. Werden im Sachverhalt allerdings mögliche gleichartige oder ungleichartige Gegenansprüche des B erwähnt, sind diese unbedingt im Rahmen einer Aufrechnung durch B oder eines Zurückbehaltungsrechts zugunsten des B zu prüfen. Es hilft dem Anspruchsteller A schlussendlich nichts, dass der Anspruch entstanden ist, wenn dieser vielleicht wieder untergegangen oder nicht durchsetzbar ist. Man sollte also im Gutachten mit einer gewissen anwaltlichen Vorsicht vorgehen. Deswegen schadet es auch nicht, wenn eine Aufrechnung des B noch nicht erklärt worden ist oder der B das Zurückbehaltungsrecht noch nicht geltend gemacht hat. In diesem Fall sollte dennoch die Aufrechnungslage oder das Zurückbehaltungsrecht geprüft werden. Es verhält sich hier wie mit jedem Gestaltungsrecht: man muss immer damit rechnen, dass dieses noch ausgeübt wird (wenn es nicht verfristet ist). Genauso machen wir das oft auch bei einer fehlenden Rücktrittserklärung.

Aufrechnung

Bei gleichartigen Forderungen ist immer eine Aufrechnung zu prüfen. Gleichartig meint in der überwiegenden Regel ein Anspruch auf Geldzahlung gegen einen Anspruch auf Geldzahlung, selten auch mal vertretbare Sachen.



Hauptforderung ist dabei immer die, die man bei Anspruch entstanden geprüft hat (also der Anspruch der Fallfrage). Diese muss „nur“ entstanden und erfüllbar sein. Grund dafür ist, dass der Aufrechnende der Schuldner der Hauptforderung ist. Ihm steht es somit frei, ob er auf eine noch nicht fällige oder einredebehaftete Forderung sozusagen mit dem Gegenanspruch „zahlt“ und somit dem Aufrechnungsgegner eine bessere Position verschafft.
Die Gegenforderung ist demnach die Forderung mit der aufgerechnet werden soll. Diese muss entstanden, nicht untergegangen, fällig und durchsetzbar sein. Das volle Prüfungsprogramm also.

Das Zurückbehaltungsrecht

Die Zurückbehaltungsrechte gemäß § 320 BGB oder § 273 BGB sind Mittel, wie ein Klausursteller geschickt einen ungleichartigen Anspruch aus demselben Rechtsverhältnis in die Klausur einbauen kann.


Konnexität der Ansprüche bedeutet, dass die ungleichartigen, wechselseitigen Ansprüche auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen müssen. Die Ungleichartigkeit der Leistungen, unterscheiden das Zurückbehaltungsrecht von der Aufrechnung. Es genügt ein „innerlich zusammengehöriges einheitliches Lebensverhältnis, das es als wider Treu und Glauben erscheinen lässt, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht oder verwirklicht werden soll“. Spezieller ist hingegen das Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB. Hier geht es wirklich nur um die beiden, wechselseitigen Hauptleistungspflichten aus einem gegenseitigen Vertrag (zum Beispiel Zahlung des Kaufpreises gegen Übergabe und Übereignung der Kaufsache). Auch hier muss die synallagmatische Gegenleistung fällig und durchsetzbar sein. Das wäre zum Beispiel nicht der Fall, wenn eine Person vorleistungspflichtig wäre oder bereits erfüllt hat. 

Fazit

Wir sehen: manchmal kann sich der ganze Schwerpunkt einer Klausur in den Gegenansprüchen verstecken. Deswegen: Bitte nicht vergessen! Es ist hilfreich, immer klausurtaktisch zu denken, es ist quasi nie so, dass im Sachverhalt etwas Problematisches erwähnt wird, auf das man in seinem Gutachten gar nicht eingehen sollte. Im Grundstudium kommt man mit Aufrechnungen tatsächlich eher selten in Berührung, dafür ist es im ersten Staatsexamen absoluter Standard. In unseren Kursen bei der Akademie Kraatz bereiten wir euch genau darauf vor, jeden Klausursachverhalt auf die angelegten Probleme zu scannen und vor allem auch zu erkennen, wo man sie im Gutachten einbaut. Egal ob in der Examensvorbereitung oder während des Studiums, wenn Ihr etwas Unterstützung im Zivilrecht gebrauchten könnt, dann vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.

Sophie Goldenbogen
 

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