Notwehrlage bei § 32 StGB: Definitionen & Probleme verständlich erklärt

03.06.2024 I Hendrik Heinze

Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 32 StGB

Weder Jurastudenten noch Referendare werden in der Lage sein, gute strafrechtliche Noten zu erzielen, wenn es bei den sogenannten „Basics“ hakt. Ganz im Gegenteil: Wenn von den Prüfern etwas als selbstverständlich vorausgesetzt wird, sind Fehler in den betreffenden Bereichen fatal und können gar zum Nichtbestehen der jeweiligen Prüfung führen. Dies gilt sowohl für Klausuren als auch für Hausarbeiten.
Die in diesem Blogbeitrag behandelte Notwehrlage der rechtfertigenden Notwehr gem. § 32 StGB mit ihren klausurrelevanten Problemen zählt zu dem vorgenannten „selbstverständlichen Basiswissen“. Dabei sind die korrekten Definitionen im Strafrecht da A und O einer guten Klausur.

Die Notwehrlage im Prüfungsschema der Notwehr

Die Notwehrlage ist der erste Punkt im Rahmen der Notwehr:

I. Notwehrlage

  1. Angriff

  2. Gegenwärtigkeit des Angriffs

  3. Rechtswidrigkeit des Angriffs

II. Notwehrhandlung

  1. Erforderlichkeit

  2. Gebotenheit

III. Subjektives Rechtfertigungselement (Verteidigungswille)

Die Notwendigkeit eines subjektiven Rechtfertigungselements (im Sinne eines Verteidigungswillens) ist zwar umstritten, wird aber von der h.M. bejaht. Hierauf gehen wir noch in einem weiteren Artikel ausführlich ein.

Die Definitionen & rechtlichen Probleme im Detail

Definition: Die Notwehrlage erfordert einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut des Angegriffenen. 
Bei der entsprechenden Nothilfe müsste hingegen ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ein nothilfefähiges Rechtsgut eines Dritten vorliegen. Eine rechtfertigende Nothilfe ist jedoch nicht gegen den ausdrücklichen oder konkludent zum Ausdruck gebrachten Willen des Angegriffenen möglich, wenn sich dieser also nicht gegen den Angriff zur Wehr setzen möchte (Kasiske, Jura 2004, 832 ff.).
Die Notwehrlage muss aus einer nachträglichen ex-post-Sicht tatsächlich vorliegen (vgl. BGH, NStZ-RR 2017, 38 f.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 500). Ist dies nicht der Fall und nimmt der Täter irrtümlich einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut an (Scheinangriff), kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht.

Angriff

Definition: Ein Angriff ist jede Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten.
Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, ob eine „gezielte“ Verletzungshandlung vorliegt, ob die Bedrohung seitens des Angreifers also gewollt oder ungewollt ist. Entscheidend ist einzig, dass das menschliche Verhalten Handlungsqualität aufweist (Fischer, § 32 StGB Rn. 5, 6).

1. Angriffe durch Tiere: Angriffe durch Tiere stellen grds. keinen Angriff i.S.d. § 32 StGB dar. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Tier von einem Menschen als Angriffsmittel benutzt wird, indem man es auf eine andere Person hetzt (Leipold / Tsambikakis / Zöller – Hauck, § 32 StGB Rn. 2).

2. Angriff durch Unterlassen:

Ein Angriff i.S.d. § 32 StGB kann auch in einem Unterlassen bestehen, wenn den Unterlassenden eine Garantenpflicht i.S.d. § 13 I StGB im Hinblick auf den Rettungsbedürftigen trifft (vgl. BayObLG, NJW 1963, 824; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 498).
So liegt ein Angriff der Mutter auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit ihres Säuglings vor, wenn sie die betreffende Ernährung einstellt. Die Stellung der Mutter als Obhuts- und Beschützergarantin hinsichtlich ihres minderjährigen Kindes und ihre daraus folgende Verpflichtung zur Ernährung des letzteren, ergibt sich gesetzlich aus den Grundsätzen der elterlichen Sorge gem. § 1626 BGB. Darüber hinaus kommt eine Garantenstellung aus enger natürlicher Verbundenheit in Betracht.
3. „Nichthandlungen“: Nicht vom strafrechtlichen Handlungsbegriff werden sog. „Nichthandlungen“ umfasst, bei denen der Wille i.R.d Verhaltenssteuerung nicht mitwirkt. Hierzu zählen insbesondere Verhaltensweisen, die durch unwiderstehliche Gewalt (vis absoluta) erzwungen werden.
Bsp.: Wenn ein Dachdecker unverschuldet vom Dach stürzt und infolge der Gesetze der Schwerkraft auf die Eigentümerin des betreffenden Hauses zu stürzen droht, liegt kein Angriff i.S.d. § 32 StGB vor. Es kommt jedoch das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr und damit eine Notstandslage i.S.d. §§ 34, 35 StGB in Betracht.
Zu den „Nichthandlungen“ zählen ferner Körperbewegungen in dem Zustand völliger Bewusstlosigkeit (z.B. wenn sich der tief schlafende Ehemann rege im Bett bewegt und dabei seiner Ehefrau schmerzhaft ins Gesicht schlägt) und bloße Reflexbewegungen (z.B. wenn der behandelnde Arzt den Kniesehnenreflex seines Patienten untersucht und dieser mit der anschließenden Reflexbewegung, bei der sich ein Reiz ohne Mitwirkung des Bewusstseins von einem Empfindungszentrum auf ein Bewegungszentrum und damit in eine Bewegung überträgt, dem Arzt mitten ins Gesicht tritt): Vgl. Leipold / Tsambikakis / Zöller: Gercke / Hembach – Vorb. § 13 StGB Rn. 5, 7.
Spontanreaktionen sind im Gegensatz zu Reflexen vermeidbar. Sie unterliegen mithin der prinzipiellen Beherrschbarkeit des menschlichen Willens und weisen daher Handlungsqualität auf, womit sie einen Angriff i.S.d. § 32 StGB darstellen können.

Bsp.: Es liegt eine Handlung vor, wenn einem Kraftfahrer eine Fliege ins Auge fliegt und er diese mit einer raschen Handbewegung abwehren will, wodurch er die Gewalt über das Fahrzeug verliert. Bei der Reaktion des Auges, sich im Moment des Hineinfliegens eines Fremdkörpers, wie etwa einer Fliege, zu schließen, handelt es sich zwar um eine nicht willensgetragene Reflexbewegung. Die Abwehrbewegung mit der Hand, um einen solchen Fremdkörper zu entfernen, beruht hingegen auf der Zwischenschaltung einer willentlichen Steuerung. So könnte eine derartige Abwehrbewegung zumindest grds. wegen anderer Notwendigkeiten, etwa aufgrund einer Gegenmotivation durch eine drohende Unfallgefahr, unterlassen werden (OLG Hamm, Urteil vom 16.07.1974 – 5 Ss 331/74).

Gegenwärtigkeit des Angriffs

Definition: Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade begonnen hat oder noch fortdauert (Fischer, § 32 StGB Rn. 16 ff.).
Ein Angriff steht unmittelbar bevor, wenn das Verhalten des Angreifers jederzeit in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet werden würde oder dem Angegriffenen zusätzliche, nicht mehr hinnehmbare Risiken aufgebürdet werden würden (BGH, Urteil vom 26.08.1987 – 3 StR 303/87).
Bei Dauergefahren, also länger andauernden Zuständen, bei denen die Gefahr jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, liegt kein Angriff i.S.d. § 32 StGB vor. Eine solche Dauergefahr kann z.B. bei einem immer wieder gewalttätigen Ehepartner angenommen werden. Es kommt jedoch das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr und damit eine Notstandslage i.S.d. §§ 34, 35 StGB in Betracht (vgl. Haustyrannen-Fall: BGHSt 48, 255 ff.).

Rechtswidrigkeit des Angriffs

Definition: Ein Angriff ist rechtswidrig, wenn er im Widerspruch zur Rechtsordnung steht und nicht durch einen Erlaubnissatz gedeckt ist (Fischer, § 32 StGB Rn. 21 ff.). 

Tipp: An dieser Stelle muss man häufig inzident prüfen, ob der Angriff nicht selbst durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist. Es gilt folgender Merksatz: „Keine Notwehr gegen Notwehr“.

Notwehrfähiges Rechtsgut

Notwehrfähig ist jedes Rechtsgut, das dem von dem Angriff Betroffenen zusteht und rechtlich anerkannt ist (Individualrechtsgüter).
Nicht umfasst werden von dem individuellen Notwehrrecht hingegen die Rechtsordnung als solche oder Kollektivrechtsgüter (Rechtsgüter der Allgemeinheit): Fischer, § 32 StGB Rn. 7 ff.

Tipps für gute Noten im Strafrecht

Seid versichert: Ihr seid nicht allein, wenn Ihr in den Strafrechtsklausuren nicht über ein „ausreichend“ (4 bis 6 Punkte) hinauskommt oder gar durchfallt. So ist der Notenschnitt im Strafrecht generell niedrig. Dies hat vor allem damit zu tun, dass der Umfang der Materie im Vergleich zu derjenigen des Zivilrechts oder des Öffentlichen Rechts nur auf den ersten Blick verhältnismäßig gering ist. Auf den zweiten Blick fällt einem hingegen auf, dass es zwar relativ wenige strafrechtliche Normen gibt, dafür aber fast ihr gesamter Kontext umstritten ist. Kein Rechtsgebiet weist derartig viele Meinungsstreits auf wie das Strafrecht. In diesem Sinne sind betreffende Prüfungen im Detail sehr komplex und es sind in Klausuren deutlich mehr Seiten zu Papier bringen als im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht. Auch reicht es im Strafrecht oftmals nicht aus, „nur“ die Probleme zu erkennen und trotz des großen Zeitdrucks eine vertretbare Lösung zu entwerfen. Vielmehr wird gerade bei den sogenannten Klassikern des Strafrechts (Probleme im Kontext des Notwehrrechts zählen ohne Weiteres dazu) eine fast schon lehrbuchartige Lösung gefordert. Etwaige Abweichungen hiervon werden regelmäßig ohne Nachsicht mit drastischen Punkteabzügen bestraft.
Doch keine Sorge, die Lage ist nicht aussichtslos. Wenn Ihr einen gut strukturierten Lehrplan konsequent verfolgt, werdet ihr auch die Herausforderungen des Strafrechts meistern. Und selbst wenn Ihr der Meinung sein solltet, allein nicht mehr zurechtzukommen, gibt es die Möglichkeit professioneller Hilfe. Unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (Grundstudium bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) sind nicht nur Experten in Jura, sondern aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung auch geschult im Umgang mit Lernblockaden bis hin zu Prüfungsangst . In diesem Sinne stehen wir Euch gerne hilfreich zur Seite, wenn Ihr Euch im Strafrecht verbessern möchtet. Ruft uns gerne an für einen kostenlosen Probetermin.
 
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
 

 



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