OLG Köln, Urteil vom 11.06.2024: Versuchte Erpressung am Flughafen?

26.07.2024 | von Sander Singer

OLG Köln, Urteil vom 11.06.2024 - 1 ORs 52/24

Die Entscheidung OLG Köln, Urteil vom 11.06.2024 - 1 ORs 52/24 befasst sich mit der klausurwichtigen Frage nach der Qualität der Drohung bei einer (versuchten) Erpressung.

Sachverhalt

Im Sommer 2022 arbeitete der 20-jährige Angeklagte als „Line-Manager“ für ein privates Sicherheitsunternehmen am Flughafen. Seine Aufgabe bestand darin, die erheblichen Warteschlangen vor den Sicherheitskontrollen zu organisieren. Am 23. Juli 2022 wartete der Zeuge B., ein Fluggast, gemeinsam mit einem Freund seit etwa anderthalb Stunden in einer langen Schlange und befürchtete, aufgrund der extremen Wartezeiten seinen Flug zu verpassen. Der Angeklagte bot dem Zeugen an, ihn gegen eine Zahlung von 50 Euro an der Warteschlange vorbeizuführen. Der Zeuge B. lehnte das Angebot ab und meldete den Vorfall später bei der Bundespolizei als Bestechung.
Die Staatsanwaltschaft Köln erhob daraufhin Anklage wegen versuchter Erpressung (§§ 253, 22, 23 StGB). Das Verfahren wurde vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Köln eröffnet. Dieses sprach den Angeklagten schließlich frei, da das Gericht keine strafbare Handlung erkennen konnte. Insbesondere sah es keine Drohung mit einem empfindlichen Übel, da der Angeklagte lediglich ein Angebot gemacht hatte, ohne den Zeugen B. zu bedrohen oder unter Druck zu setzen. 
Die Staatsanwaltschaft legte Revision gegen dieses Urteil ein. 

Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln

Das OLG Köln bestätigte den Freispruch des AG. Der Mitarbeiter hat sich nicht wegen einer versuchten Erpressung nach §§ 253, 22, 23 StGB strafbar gemacht. Die Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, kann sich als Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen. Ein angedrohtes Übel ist indessen nicht „empfindlich“ im Sinne von § 253 StGB, wenn von dem Bedrohten erwartet werden kann, dass dieser der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. So liegt der Fall hier.

Prüfungsschema der Erpressung

Das Schema der Erpressung ist so aufgebaut:
I. Objektiver Tatbestand
Tathandlung: Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
Taterfolg: Tun, Dulden oder Unterlassen (umstritten, ob Vermögensverfügung notwendig)
Vermögensnachteil
II. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz, § 15 StGB
Eigennützige oder fremdnützige Absicht stoffgleicher Bereicherung
Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
III. Rechtswidrigkeit
insb. Verwerflichkeit nach § 253 II StGB
IV. Schuld

Das Problem des Falls

Tatbestandsmerkmal Drohung mit einem empfindlichen Übel bei § 253 BGB

In Betracht kommt hier eine Drohung. Eine Drohung liegt vor, wenn der Täter ein empfindliches Übel in Aussicht stellt, auf dessen Eintritt oder Verhinderung er vorgibt Einfluss zu haben und welches geeignet ist, das Opfer im Sinne des Täters zu motivieren.
Der Angeklagte hatte dem Zeugen B. für den Fall der Nichtzahlung lediglich das Unterlassen einer Handlung – nämlich das Vorbeiführen an der Warteschlange – in Aussicht gestellt. Das rechtlich nicht gebotene Handeln zu unterlassen, kann grundsätzlich zwar strafbar sein. Allerdings muss im Einzelfall abgegrenzt werden, ob denklogisch (so die StA) mit dem Angebot einer Handlung im Falle der Nichtzahlung auch ein konkludentes Unterlassen als Drohmittel eingesetzt oder ob vielmehr nur ein Handeln in Aussicht gestellt wird. In der konkreten Situation stellt es keine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar, da die Lage des Zeugen unverändert geblieben wäre. Der Mitarbeiter hätte vielmehr gegen Bezahlung handeln wollen, als ohne Bezahlung zu unterlassen. Diese Erwägung rechtfertigt sich daraus, dass der Mitarbeiter an keiner Stelle damit gedroht habe, dass der Flug sonst verpasst würde, sondern vielmehr darauf hinwies, dass sich B. 2,5 Stunden sparen könne. Zeuge B. hätte weiterhin in der Warteschlange stehen und seinen Flug möglicherweise auch ohne die Zahlung erreichen können.
Das Übel ist auch nicht empfindlich. Von dem Zeugen B. konnte in seiner Lage erwartet werden, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Der Zeuge B. war in der Lage, das Angebot des Angeklagten abzulehnen und dennoch seinen Flug zu erreichen. Die bloße Möglichkeit, den Flug zu verpassen, reichte nicht aus, um die Handlung des Angeklagten als versuchte Erpressung zu qualifizieren, da dies keine erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Zeugen darstellte.
Selbst wenn man die Äußerungen des Angeklagten als Drohung interpretieren würde, wäre der Tatbestand der versuchten Erpressung nicht erfüllt, da das Verhalten des Angeklagten nicht als verwerflich im Sinne des § 253 II StGB angesehen werden kann. Das Gericht stellte fest, dass das Angebot des Angeklagten eher eine Erweiterung des Handlungsspielraums des Zeugen darstellte und keine erhebliche Beeinträchtigung seiner autonomen Entscheidungsfreiheit.

Prüfung weiterer Delikte

Schließlich verneinte das Gericht eine Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme (§ 331 StGB) oder Bestechlichkeit (§ 332 StGB), da der Angeklagte kein Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB war. Er nahm keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr, sondern war lediglich als Servicemitarbeiter eines privaten Sicherheitsunternehmens tätig, das die Warteschlangen vor den Sicherheitskontrollen organisierte.

Fazit: Zurecht keine versuchte Erpressung

In inhaltlicher Hinsicht ist dem OLG Köln beizupflichten. Das zugegeben unsoziale Verhalten des Angeklagten war nicht strafbar, sondern stellt vielmehr einen Fall für die Arbeitsgerichte dar (Stichwort: Kündigung).
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Relevante Lerninhalte

  • Erpressung gem. § 253 StGB
  • Anforderungen an die Drohung mit einem empfindlichen Übel

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