Rechtsprechungsübersicht Öffentl. Recht: 01. 2024: Ausschluss der NPD aus Parteifinanzierung BVerfG, Urteil v. 23.01.2024 – Az 2 BvB 1/19
Sachverhalt:
Die NPD (neuerdings „die Heimat“) wurde mit Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die nächsten sechs Jahre von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das Urteil erging auf einen gemeinsamen Antrag von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat aus dem Jahr 2019.
Die Entscheidung ist politisch im Hinblick auf einen möglichen Ausschluss der AfD von der Parteienfinanzierung besonders interessant. Es ging insbesondere um die Frage, ob die durch die Grundgesetzänderung im Jahr 2017 in Art. 21 III GG eingeführte Möglichkeit des Finanzierungsausschluss verfassungsgemäß ist. Die Änderung wurde aufgenommen nachdem sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2017 ein Verbot der NPD scheiterte, weil der politische Einfluss der NPD zu schwach war und ihr deswegen das Potential fehlte, ihre Ziele zu erreichen.
Die Entscheidung über die NPD stellt die erste Entscheidung dieser Gestalt dar.
Entscheidung:
1. Die Partei „Heimat“, vormals NPD ist für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach § 18 Parteiengesetz ausgeschlossen.
2. Bei Art. 21 III GG handelt es sich nicht um verfassungswidriges Verfassungsrecht. Insbesondere berührt Art. 21 III GG nicht die in Art. 79 III GG geschützten Verfassungswerte.
3. Ein „Darauf Ausgerichtetsein“ iSv Art. 21 III S.1 GG setzt ein qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung voraus ohne, dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankomme.
In der Klausur:
1. Für den Antrag auf Ausschluss einer Partei aus der Finanzierung ist gem. Art. 21 IV GG das BVerfG zuständig. Die Normenkette für einen solchen Antrag ist Art. 21 III S.1, Art. 93 I Nr.5 GG iVm § 13 Nr.2a, §§ 43 ff. BVerfGG.
2. Die Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechts ist immer wieder beliebtes Klausurthema. Soweit man normalerweise ohne große Probleme Normenkollisionen darüber lösen kann, dass man auf das nächsthöhere Recht rekurriert, ist ein solcher „Rückgriff“ bei Verfassungsrecht schwer, es ist gerade das letzte in der Folge stehende Recht. Um trotzdem eine Kollision aufzulösen gibt es unterschiedliche Methoden.
a) Zunächst gibt es auch innerhalb des Grundgesetzes ein Rangverhältnis zwischen einzelnen Normen. So sind Art. 1 GG und Art. 20 GG nach dem Telos des Art. 79 III GG unabänderbar (sog. Ewigkeitsgarantie oder Ewigkeitsklausel). Hieraus soll sich ein Vorrang dieser Normen gegenüber sonstigem Verfassungsrecht ergeben. Mithin erfolgt eine verfassungskonforme Auslegung von nachrangigem Verfassungsrecht anhand der durch Art. 79 III GG geschützten Art. 1 GG und Art. 20 GG.
b) Besteht zwischen den Verfassungsnormen eine Gleichordnung, muss eine Auflösung über das Institut der praktischen Konkordanz (lat. concordare = übereinstimmen)
erfolgen. Der Begriff, der jedem Studenten spätestens ab dem zweiten Semester geläufig ist, wird im Gutachten allerdings häufig nur schlagwortartig genannt und dann durch eine untechnische Prüfung ergänzt. Dabei hat die praktische Konkordanz ein einfaches Ziel: den möglichst schonenden Ausgleich zwischen zwei konfligierenden Verfassungsschutzgütern.
Hieraus ergibt sich ein geradezu vertrautes Schema (eingebettet in die Prüfung des verletzten Rechts):
I. Legitimes Ziel: Verwirklichung des entgegenstehenden Grundrechts
II. Geeignetheit
III. Erforderlichkeit
IV. Angemessenheit: Gegenüberstellung der Rechte welche in Ausgleich gebracht werden sollen, insbesondere deren (verfassungsimmanenten, hier entsteht der Bezug zum Einzelfall) Schranken.
Wichtig: zwar wird die praktische Konkordanz in der Grundrechteklausur oft bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten angewendet. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sie nicht auch bei ausdrücklich beschrankten Grundrechten angewendet werden kann. Letztere unterliegen dann nur regelmäßig einer Abwägung mit dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht.
3. Die Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechtes wird uA im Kontext spezieller Oppositionsrechte und den damit von der Verfassung festgelegten Quoren thematisiert.
4. Das System des Art. 21 III GG sieht anders als ein Parteiverbot von einem Potential zur Verwirklichung der verfassungsfeindlichen Ziele ab. Es reicht mithin bereits aus, dass diese Ziele überhaupt verfolgt werden. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass der Finanzierungsausschluss mittelbar wie ein faktisches Parteiverbot wirkt, sodass insbesondere Art. 3 I GG der Parteien berührt wird.
5. Die NPD moniert an dem Antrag, dass dieser bereits mangels eines Verfahrens zum Ausschluss der Parteienfinanzierung unzulässig sei, denn Art. 21 III GG sei im Hinblick auf Art. 21 I GG (Chancengleichheit der Parteien) iVm Art. 20 I und II und Art. 79 III verfassungswidrig und deshalb nichtig. Insbesondere soll das Instrument des Ausschlusses von der Finanzierung einen präventiven Charakter haben und bereits nur aufgrund eines „falschen“ Parteiprogramms greifen. Vielmehr ist aber nur ein repressiver Schutz mit den Wertungen der Verfassung vereinbar, wenn sich gerade das verfassungsfeindliche Vorgehen verwirklicht hat. Der Ausschluss von der Finanzierung stellt kein wesensgleiches Minus zum Parteiverbot, sondern aufgrund der erheblichen Auswirkung ein Aliud für ein solches dar. Das Merkmal der Potentialität welches beim Parteiverbot maßgeblich ist, muss auch hier greifen.
6. Das BverfG führt unter anderem aus:
a) Das in Art. 20 I und II GG verankerte Demokratieprinzip bedeutet zunächst die
Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Möglichkeit der Mitwirkung an der Demokratie. Die Instrumente zur Sicherung dieser Mitwirkungsmöglichkeiten (Mehrparteiensystem, Chancengleichheit, Recht auf Bildung und Ausübung der Opposition) sind demgegenüber allerdings nachrangig. Die Chancengleichheit selbst wird also nicht unmittelbar durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG geschützt, ansonsten bedürfe es keiner gesonderten Regelung der Wahlgrundsätze in Art. 38 I S.1 GG oder Parteienfreiheit und -gleichheit in Art. 21 I GG. Art. 79 III hat seine Grenze also dort, wo eine Grundgesetzänderung das demokratische Wesen des Verfassungsstaates negiert oder substantiell beeinträchtigt.
b) Die Beeinträchtigung der aus Art. 21 I GG garantierten Chancengleichheit der Parteien durch Art. 21 III GG ist gerade nicht an Art. 79 III GG zu messen, sodass die Norm einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.
c) Ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung stellt sich iE somit als verhältnismäßig dar.
d) Das Schema für die Rechtmäßigkeit eines Finanzierungsausschluss sieht so aus:
I. FDGO beeinträchtigen oder beseitigen
II. Bestand der BRD gefährden
III. Darauf Ausgehen (ohne Merkmal der Potentialität)
IV. Rechtsstaatliches Verfahren für Finanzierungsausschluss
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Sachverhalt:
Die NPD (neuerdings „die Heimat“) wurde mit Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die nächsten sechs Jahre von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das Urteil erging auf einen gemeinsamen Antrag von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat aus dem Jahr 2019.
Die Entscheidung ist politisch im Hinblick auf einen möglichen Ausschluss der AfD von der Parteienfinanzierung besonders interessant. Es ging insbesondere um die Frage, ob die durch die Grundgesetzänderung im Jahr 2017 in Art. 21 III GG eingeführte Möglichkeit des Finanzierungsausschluss verfassungsgemäß ist. Die Änderung wurde aufgenommen nachdem sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2017 ein Verbot der NPD scheiterte, weil der politische Einfluss der NPD zu schwach war und ihr deswegen das Potential fehlte, ihre Ziele zu erreichen.
Die Entscheidung über die NPD stellt die erste Entscheidung dieser Gestalt dar.
Entscheidung:
1. Die Partei „Heimat“, vormals NPD ist für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach § 18 Parteiengesetz ausgeschlossen.
2. Bei Art. 21 III GG handelt es sich nicht um verfassungswidriges Verfassungsrecht. Insbesondere berührt Art. 21 III GG nicht die in Art. 79 III GG geschützten Verfassungswerte.
3. Ein „Darauf Ausgerichtetsein“ iSv Art. 21 III S.1 GG setzt ein qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung voraus ohne, dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankomme.
In der Klausur:
1. Für den Antrag auf Ausschluss einer Partei aus der Finanzierung ist gem. Art. 21 IV GG das BVerfG zuständig. Die Normenkette für einen solchen Antrag ist Art. 21 III S.1, Art. 93 I Nr.5 GG iVm § 13 Nr.2a, §§ 43 ff. BVerfGG.
2. Die Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechts ist immer wieder beliebtes Klausurthema. Soweit man normalerweise ohne große Probleme Normenkollisionen darüber lösen kann, dass man auf das nächsthöhere Recht rekurriert, ist ein solcher „Rückgriff“ bei Verfassungsrecht schwer, es ist gerade das letzte in der Folge stehende Recht. Um trotzdem eine Kollision aufzulösen gibt es unterschiedliche Methoden.
a) Zunächst gibt es auch innerhalb des Grundgesetzes ein Rangverhältnis zwischen einzelnen Normen. So sind Art. 1 GG und Art. 20 GG nach dem Telos des Art. 79 III GG unabänderbar (sog. Ewigkeitsgarantie oder Ewigkeitsklausel). Hieraus soll sich ein Vorrang dieser Normen gegenüber sonstigem Verfassungsrecht ergeben. Mithin erfolgt eine verfassungskonforme Auslegung von nachrangigem Verfassungsrecht anhand der durch Art. 79 III GG geschützten Art. 1 GG und Art. 20 GG.
b) Besteht zwischen den Verfassungsnormen eine Gleichordnung, muss eine Auflösung über das Institut der praktischen Konkordanz (lat. concordare = übereinstimmen)
erfolgen. Der Begriff, der jedem Studenten spätestens ab dem zweiten Semester geläufig ist, wird im Gutachten allerdings häufig nur schlagwortartig genannt und dann durch eine untechnische Prüfung ergänzt. Dabei hat die praktische Konkordanz ein einfaches Ziel: den möglichst schonenden Ausgleich zwischen zwei konfligierenden Verfassungsschutzgütern.
Hieraus ergibt sich ein geradezu vertrautes Schema (eingebettet in die Prüfung des verletzten Rechts):
I. Legitimes Ziel: Verwirklichung des entgegenstehenden Grundrechts
II. Geeignetheit
III. Erforderlichkeit
IV. Angemessenheit: Gegenüberstellung der Rechte welche in Ausgleich gebracht werden sollen, insbesondere deren (verfassungsimmanenten, hier entsteht der Bezug zum Einzelfall) Schranken.
Wichtig: zwar wird die praktische Konkordanz in der Grundrechteklausur oft bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten angewendet. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sie nicht auch bei ausdrücklich beschrankten Grundrechten angewendet werden kann. Letztere unterliegen dann nur regelmäßig einer Abwägung mit dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht.
3. Die Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechtes wird uA im Kontext spezieller Oppositionsrechte und den damit von der Verfassung festgelegten Quoren thematisiert.
4. Das System des Art. 21 III GG sieht anders als ein Parteiverbot von einem Potential zur Verwirklichung der verfassungsfeindlichen Ziele ab. Es reicht mithin bereits aus, dass diese Ziele überhaupt verfolgt werden. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass der Finanzierungsausschluss mittelbar wie ein faktisches Parteiverbot wirkt, sodass insbesondere Art. 3 I GG der Parteien berührt wird.
5. Die NPD moniert an dem Antrag, dass dieser bereits mangels eines Verfahrens zum Ausschluss der Parteienfinanzierung unzulässig sei, denn Art. 21 III GG sei im Hinblick auf Art. 21 I GG (Chancengleichheit der Parteien) iVm Art. 20 I und II und Art. 79 III verfassungswidrig und deshalb nichtig. Insbesondere soll das Instrument des Ausschlusses von der Finanzierung einen präventiven Charakter haben und bereits nur aufgrund eines „falschen“ Parteiprogramms greifen. Vielmehr ist aber nur ein repressiver Schutz mit den Wertungen der Verfassung vereinbar, wenn sich gerade das verfassungsfeindliche Vorgehen verwirklicht hat. Der Ausschluss von der Finanzierung stellt kein wesensgleiches Minus zum Parteiverbot, sondern aufgrund der erheblichen Auswirkung ein Aliud für ein solches dar. Das Merkmal der Potentialität welches beim Parteiverbot maßgeblich ist, muss auch hier greifen.
6. Das BverfG führt unter anderem aus:
a) Das in Art. 20 I und II GG verankerte Demokratieprinzip bedeutet zunächst die
Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Möglichkeit der Mitwirkung an der Demokratie. Die Instrumente zur Sicherung dieser Mitwirkungsmöglichkeiten (Mehrparteiensystem, Chancengleichheit, Recht auf Bildung und Ausübung der Opposition) sind demgegenüber allerdings nachrangig. Die Chancengleichheit selbst wird also nicht unmittelbar durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG geschützt, ansonsten bedürfe es keiner gesonderten Regelung der Wahlgrundsätze in Art. 38 I S.1 GG oder Parteienfreiheit und -gleichheit in Art. 21 I GG. Art. 79 III hat seine Grenze also dort, wo eine Grundgesetzänderung das demokratische Wesen des Verfassungsstaates negiert oder substantiell beeinträchtigt.
b) Die Beeinträchtigung der aus Art. 21 I GG garantierten Chancengleichheit der Parteien durch Art. 21 III GG ist gerade nicht an Art. 79 III GG zu messen, sodass die Norm einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.
c) Ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung stellt sich iE somit als verhältnismäßig dar.
d) Das Schema für die Rechtmäßigkeit eines Finanzierungsausschluss sieht so aus:
I. FDGO beeinträchtigen oder beseitigen
II. Bestand der BRD gefährden
III. Darauf Ausgehen (ohne Merkmal der Potentialität)
IV. Rechtsstaatliches Verfahren für Finanzierungsausschluss
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- Der Anspruch auf Auskunft folgt aus § 3 I UIG, der vom BMWK angegebene Aufwand von 9500 Stunden wird als unrealistisch angesehen.
- Der Widerruf des Lehrauftrags gem. § 49 II S.1 Nr.3 VwVfG (NRW) war rechtswidrig.
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