Das Märchen des BurghofsVG Köln,Beschlussv.05.02.2024–Az8L1233/23


Sachverhalt

Der Burghof auf dem legendären Drachenfels in Königswinter nahe Bonn hat eine Geschichte
die wohlmöglich bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. Ab 1903 wurde die Nutzung des
Burghofs als Fremdenpension genehmigt. Seit 1989 steht der denkmalgeschützte Burghof
leer. Ab dem Jahr 2004 versuchten diverse Eigentümer die Sanierung des Burghofs
voranzutreiben. Hierfür wurden zum Teil sogar Mittel des Bundes iHv 300.000€ bewilligt.
Trotzdem scheiterte das Vorhaben immer wieder an der Bürokratie.
Zuletzt hatte der Rhein-Sieg-Kreis dem Eigentümer einen „Ausnahme- und
Befreiungsbescheid“ von den für das Naturschutzgebiet Siebengebirge geltenden Verbote
erteilt. Die kreisangehörige Stadt Königswinter hatte sodann die streitige Baugenehmigung
erteilt.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) hat Bedenken gegen die
Bescheidung durch den Rhein-Sieg-Kreis und die darauf aufbauende Genehmigung durch die
Stadt Königswinter. Gegen das Vorhaben sprächen Naturschutzbelange.
Das OVG NRW hatte zuletzt die Vollziehbarkeit des erteilten
Ausnahme- und Befreiungsbescheid aufgehoben.
Im Wege eines Eilverfahrens nach § 80a I und III, § 80 V S.1 Alt.2 VwGO wendete sich der
BUND nun gegen die Genehmigung.


Entscheidung

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (BUND) gegen die der Beigeladenen
erteilten Baugenehmigung wird angeordnet.


In der Klausur

1. Zunächst ist im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags relevant, dass es sich um einen
Antrag nach § 80a I, III VwGO handelt. Der § 80a VwGO (lesen!) hat einen eng
umgrenzten Anwendungsbereich. Sowohl Abs. 1, als auch Abs. 2 setzen jeweils einen
drittbegünstigenden Verwaltungsakt voraus, wobei in Abs.1 der Dritte Adressat und in
Abs.2 der Antragssteller Adressat ist. Eine Baugenehmigung zB nach § 74 I BauO NRW
oder § 71 I BauO Bln stellt einen begünstigten Verwaltungsakt dar: er begründet oder
bestätigt ein Recht oder einen rechtserheblichen Vorteil, § 48 I S.2 VwVfG, indem er
feststellt, dass das Bauvorhaben materiell rechtmäßig ist.
Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung entfaltet,
entgegen dem allgemeinen Grundsatz, wegen § 80 II Nr.3 VwGO iVm § 212a BauGB
(lesen!) keine aufschiebende Wirkung. ACHTUNG: hier geht es um die ANORDNUNG
(!!!) der aufschiebenden Wirkung, denn diese hat von vorneherein nicht bestanden –
anders als in einem Fall des § 80 I Nr.4 VwGO, bei dem die aufschiebende Wirkung
grundsätzlich besteht, jedoch durch spezielle Anordnung der Behörde entfällt und deshalb
wieder hergestellt werden soll.
Der Antrag des BUND geht somit auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil
diese im Wege der bundesgesetzlichen Ausnahme nicht besteht.
Die Baugenehmigung stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung iSd Art. 14 I S.2 GG
dar. Von ihr ist abhängig ob und wie eine Person ihr Eigentum bebauen darf. Gerade
wegen der Ausgestaltung als grundsätzliches Verbot mit Genehmigungspflicht für
Bauvorhaben (§ 60 I BauO NRW, § 59 I BauO Bln) könnte allerdings jeder Dritte mit
einem zulässigen Anliegen die Verwirklichung des in Art. 14 I GG gewährleisteten

Eigentumsrechts verhindern, denn gerade durch die (zulässige) Anfechtungsklage würde
die Wirkung der Baugenehmigung suspendiert bis in der Hauptsache über die
Begründetheit der Klage entschieden wurde. Um einen solchen Übergriff in das
Privateigentum zu verhindern wurde die Regel in § 212a BauGB geschaffen.

2. Sodann stellt sich im Rahmen der Klagebefugnis die Frage warum der BUND gegen
das Vorhaben antragsberechtigt ist. Das Verwaltungsprozessrecht sieht (anders als zB
das EU-Recht) eine Befugnis nur dann vor, wenn eine subjektive Rechtsverletzung
möglich ist (s. § 42 II VwGO) (Interessenprinzip vs. Verletztenprinzip). Vom
Verletztenprinzip sind allerdings auch im deutschen Recht Ausnahmen anerkannt:
Verbandsklagen im Umweltrecht gem. §§ 63, 64 BNatSchG, Klagen nach dem
UmweltrechtsbehelfsG (UmwRG), Handwerkskammern nach §§ 8 IV, 12 HwO und
jeder Kläger/ Antragsteller in Fällen mit Europarechtsbezug (europäisches
Effizienzgebot!).
Der BUND ist gem § 3 UmwRG eine anerkannte Vereinigung, sodass er gem. § 2 I
UmwRG im Hinblick auf die in § 1 I S.1 Nr.5 UmwRG subjektiv antragsberechtigt
ist. § 42 II VwGO findet hier analog Anwendung.

3. Wichtig für einen Antrag nach § 80a VwGO ist, dass nicht nur die Zulässigkeit
modifiziert wird (statthafte Antragsart und Antragsbefugnis), sondern auch die
Begründetheit: die vorzunehmende Interessenabwägung findet nicht, wie bei einem
Antrag nach § 80 V VwGO, zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung und dem Suspensivinteresse des Antragsstellers statt. Vielmehr findet
eine Abwägung zwischen dem Interesse des durch den Verwaltungsakt Begünstigten
(die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage zu verhindern und die
Begünstigung somit nutzen zu können), dem öffentlichen Interesse und dem Interesse
des Antragsstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Anfechtungsklage statt.

4. Das Vorhaben befindet sich im Außenbereich nach § 35 BauGB. Es ist kein Vorhaben
gem. § 35 I BauGB, muss also nach § 35 II BauGB im Einklang mit öffentlichen
Belangen stehen. Bei der Prüfung des § 35 BauGB ist wie folgt vorzugehen:

a) § 35 I BauGB: hier ist der Einklang mit öffentlichen Belangen im Regelfall
indiziert, wenn es sich um ein Vorhaben nach der Liste handelt.

b) Wenn § 35 I BauGB (-), dann ist mit § 35 II BauGB fortzufahren. Hieraus ergibt
sich auch, dass alle anderen Vorhaben als die in Abs.1 genannten im
Außenbereich grundsätzlich verboten sind und nur im absoluten Ausnahmefall
genehmigt werden. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange ist indiziert, wenn
das Vorhaben gegen die Liste aus Abs.3 verstößt.

c) Verstößt ein Vorhaben nach Abs.2 gegen die Darstellungen eines
Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans, beeinträchtigt die natürliche
Eigenart der Landschaft oder lässt es die Entstehung, Verfestigung oder
Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (Abs. 3 Nr.1, Nr.2, Nr.7) regelt
§ 35 IV BauGB eine Rückausnahme für bestimmte Vorhaben.

5. Im Fall stehen dem Vorhaben die öffentlichen Belange nach § 35 III S.1 Nr.5 BauGB
also der Naturschutz und die Landschaftspflege entgegen.
Welche Bereiche als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden bestimmen in NRW
entweder die Bezirksregierung als höhere Naturschutzbehörde (§ 43 I iVm § 2 Nr.2
LNatschG NRW) oder die Gemeinden selbst als untere Naturschutzbehörde durch ordnungsbehördliche Verordnungen (§ 43 II iVm § 2 Nr.3 LNatSchG NRW iVm §
20 II, §§ 23, 24, 28 und 29 BNatSchG). Hier hat die Stadt Königswinter (die später
den Dispens erteilte) auch die Fläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Der Dispens von dem Verbot im Naturschutzgebiet zu bauen, wurde zwar durch die
Stadt erteilt, sodass die Verordnung dem Vorhaben grundsätzlich nicht entgegensteht.
Allerdings war der BUND bereits mit einem vorherigen Antrag vor dem OVG NRW
erfolgreich gegen diesen Dispens vorgegangen. Mithin schützt dieser den
Begünstigten nicht mehr. Der Antrag ist wegen des Verstoßes der Genehmigung
gegen § 35 III S.1 Nr.5 BauGB begründet, das Interesse des Antragsstellers an der
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage in der Hauptsache
überwiegt im Wege einer summarischen Prüfung das Interesse des Begünstigten. Im
Gutachten ist im Obersatz und auch im Ergebnis der Begriff „summarische Prüfung“
bei einem Eilantrag nach § 80 V VwGO zwar stets zu verwenden, weil er die Natur
des Verfahrens als „schnell“ beschreibt. Es sollte aber nicht der Fehler gemacht
werden, dass deshalb keine umfassende Prüfung aller wesentlicher Belange
vorgenommen wird. Vielmehr sind dennoch alle durch den Sachverhalt
aufgeworfenen Fragen in der Begründetheit umfassend zu beleuchten.


Diesen Monat auch interessant:

Prüfungsamt NRW mischt sich in Neubewertung eines Examens ein – BVerwG,
Beschluss vom 14.12.2023, Az. 6 B 12.23
  •  Die Neubewertung einer Prüfungsleistung durch den Korrektor im Rahmen eines zulässigen und begründeten Widerspruchs gegen die Bewertung wird durch den Beurteilungsspielraum des Korrektors geschützt sodass ein Eingriff durch das JPA nicht möglich ist.

Auch wenn die Bar schwimmt, muss diese genehmigt werden – VG Berlin, Beschluss
vom 19.01.2024, Az. VG 10 L 419.23
  • Auch wenn ein Boot überwiegend als Sportboot genutzt wird muss es, wenn es zusätzlich als schwimmende Bar verwendet wird, als solche genehmigt werden.


RSS Feed abonnieren