Rechtsprechungsübersicht Strafrecht: 02. 2024: „Und ist das Kindchen noch so klein...“ BGH, Beschluss v. 13.09.2023 


 

Sachverhalt

Die Schwägerin O des Angeklagten T floh aus Angst vor weiteren sexuellen Übergriffen durch
diesen am 04.04.2018 mit ihren Kindern in ein Frauenhaus. Wenige Tage später verließ ihr 11-
jähriger Sohn A das Frauenhaus wieder, um seinen Vater, den Bruder B des Angeklagten, zu
besuchen.
Ende April 2018 holte T den A, dessen Alter er kannte, bei B ab. Er forderte ihn auf, nach der
bevorstehenden Rückkehr in das Frauenhaus seine Mutter zu töten. „Er solle abends, wenn die
Mutter im Bett liege und schlafe, ein scharfes Messer aus der Küche holen und sie töten“, weil
die Mutter „schlechte Sachen“ gemacht habe. Auf seinem mobilen Endgerät zeigte er ihm
zudem ein Video, in dem ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgaben zur Tat
machte er nicht. Das Kind sollte diese „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit
begehen.“ Im Gegenzug versprach er dem A Sü.igkeiten, die Rückgabe von weggenommenem
Spielzeug und den Kauf eines Motorrades. Der A ging auf das ernst gemeinte Ansinnen des
Angeklagten zum Schein ein, weil er befürchtete, anderenfalls seine Mutter nicht wiedersehen
zu dürfen. T brachte A zu B zurück ohne nochmal Kontakt aufzunehmen. Der Sachverhalt
wurde aufgeklärt, als A seiner Mutter von dem Vorhaben berichtete.
 

Entscheidung

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft wird durch die
Feststellungen des LG Kiel nicht getragen.

2. Sie belegen weder, dass der Angeklagte täterschaftlich handeln wollte, noch, dass er
nach seiner Vorstellung von der Tat zu ihr unmittelbar angesetzt hat.

3. Sie rechtfertigen allerdings die Annahme einer versuchten Anstiftungshandlung.
 

Bedeutung für die Klausur

1. Die Frage, ob das Veranlassen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat
eines Strafunmündigen nur als mittelbare Täterschaft anzusehen ist oder auch als
bloße Anstiftung bewertet werden kann, hat der BGH bislang nicht entschieden.

2. Die hier wesentlichen Aspekte sind grundlegend relevant für die Abgrenzung
von Täterschaft und Teilnahme. Beleuchtet wird deshalb insbesondere die
Position der Rechtsprechung und der Literatur.

3. Das Schema für die mittelbare Täterschaft sieht so aus:

a) Strafbarkeit des Tatnächsten
b) Strafbarkeit des weiteren Beteiligten als mittelbarer Täter gem. § 25 I Alt.2
StGB
(1) Obj. Tatbestand
aa) Objektive Merkmale, insb. Tätereigenschaften
bb) Zurechnung nach § 25 I 2. Alt StGB
(a) Eigener Verursachungsbeitrag
(b) (Materiell-)Objektive (Lit.) oder subjektive (Rspr.) Theorie
- Fallgruppe straflose Teilnahme am Selbstmord/ Tötung in
mittelbarer Täterschaft
- Fallgruppe absichtslos-doloses oder qualifikationslos-doloses

Werkzeug
- Fallgruppe Täter hinter dem Täter
(2) Subj. Tatbestand
aa) Tatbestandsvorsatz einschließlich Tatherrschaftsbewusstsein
- Fallgruppe error in objecto des Werkzeugs
- Irrtümer des Hintermannes über die Qualität des Werkzeugs
bb) Deliktsspezifische subjektive Tatbestandsmerkmale
(3) Rechtswidrigkeit
(4) Schuld

4. Systematisch stellt der Streit zwischen materiell-objektiver Theorie und
subjektiver Theorie unterschiedliche Lösungen zum Abgrenzungsstreit zwischen
Täterschaft und Teilnahme bereit. Hieraus erklärt sich auch, weshalb die
Positionen nicht nur für die mittelbare Täterschaft, sondern ebenso für die
Anstiftung, Mittäterschaft und Beihilfe relevant werden.

5. Nach der materiell objektiven Theorie der Literatur ist grundsätzlich die sog.
Tatherrschaft relevant. Ob eine solche vorliegt, ist in der Klausur im Grunde nur
in den drei, oben im Schema genannten Fällen als problematisch zu erörtern.
Maßgeblich sind objektive Kriterien, dh derjenige, der als Zentralgestalt des
Geschehens die planvoll-lenkende Tatherrschaft besitzt, ist Täter. Zusätzlich
wird allerdings auch gefordert, dass der Täter Tatherrschaftswille hat.

a) zT wird Tatherrschaft im vorliegenden Fall bereits deshalb bejaht, weil im
Rahmen einer normativen Abgrenzung eine rechtliche oder
Verantwortlichkeitsherrschaft gegeben sein soll. Das Ergebnis ist bei dem aus
§ 19 StGB schuldlos handelnden Werkzeug stets eine mittelbare Täterschaft.

b) Eine mM vertritt, dass eine mittelbare Täterschaft nur dann möglich ist, wenn
das Kind im Einzelfall tatsächlich ohne Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit
handelte.

6. Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung muss der mittelbare Täter stets
einen sog. „animus auctoris“ (lat. Täterwille) haben, die Tat also als eigene
wollen. Ob eine solche Situation vorliegt, ist stets am Einzelfall (wertende
Gesamtbetrachtung) zu bewerten. Maßgebliche Kriterien waren für den BGH im
vorliegenden Fall die sittliche und geistige Entwicklung des A, der reif genug
war das Unrecht der ihm angetragenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht
zu handeln in Kombination mit dem Umstand, dass der T dies bei A auch
erkannte. Er hatte eben nicht versucht das Unrecht der Tat zu verschleiern. Das
Ausnutzen eines solchen Defizites bei dem Werkzeug (A), würde regelmäßig den
Täterwillen für die mittelbare Täterschaft indizieren.

a) Gegen eine rein normative Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (wie
es die Lit. über das Kriterium der Tatherrschaft vornimmt) spricht, dass sich
aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte für die Veranlassung
eines schuldlos Handelnden (§ 19 StGB!) ergibt, dass grundsätzlich beide
Beteiligungsformen (mittelbare Täterschaft und Anstiftung) anwendbar sein
sollen. Dies ergibt sich uA aus der limitierten Akzessorietät der Anstiftung
(vorsätzliche, rechtswidrige, aber nicht notwendig schuldhafte Haupttat),
während für eine mittelbare Täterschaft ein defizitäres Werkzeug irgendeiner
Natur vorliegen kann (weder vorsätzlich, noch rechtswidrig oder schuldhafte
Haupttat). Eine Konvergenzlinie entsteht in Fällen eines schuldlos
indessen stets zu dem Ergebnis gelangen, dass Täterschaft vorliegt und für

die Teilnahme kein Anwendungsbereich verbliebe (s.u. „grün“).

b) Die tatsächliche Steuerungsmacht aus Sicht des Täters steht damit im
Einklang mit der sonstigen Rechtsprechung des BGH zur Abgrenzung von
mittelbarer Täterschaft und Anstiftung. Besonders wird hier auf die Fälle der
mittelbaren Täterschaft bei einem volldeliktisch handelnden Werkzeug
verwiesen (Täter hinter dem Täter).

Diesen Monat auch interessant:

Beginn der Geburt - Beschluss vom 2. November 2023 (LG Verden) Az. BGH 6
StR 128/23
  • Auch nach Wegfall des § 217 StGB aF beginnt das durch § 211 StGB geschützte Leben mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen.
„Anforderungen an einen Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr.6 StPO“ – BVerfG
Beschluss vom 04. Dezember 2023 Az. 2 BvR 1699/22
  • An einen Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr.6 StPO dürfen keine unmöglichen Anforderungen gestellt werden.


RSS Feed abonnieren