Rechtsprechungsübersicht Strafrecht, 09.2023: Der„Garanten“-Fall, BGHBeschl. v. 24.03.2021–4 StR 416/20
Sachverhalt:
A und B fuhren unter Alkoholeinfluss und ohne Fahrerlaubnis mit nicht angepasster Geschwindigkeit mit ihren Fahrzeugen auf einer außerorts gelegenen schmalen Gemeindestraße.B übersah den vorfahrtsberechtigten Fahrradfahrer und erfasste ihn mit seinem Fahrzeug.
F erlitt einen Abriss der Hauptschlagader, was innerhalb von 1-2 Minuten zu seinem Tod führte.
B hatte das Risiko eines solchen Unfalls erkannt, aber darauf vertraut, dass es sich nicht realisieren werde. A passierte die Unfallstelle wenige Sekunden später, erfasste das Geschehen, fuhr jedoch aufgrund seiner fehlenden Fahrerlaubnis und des Fahrens unter Alkoholeinfluss weiter.
B begab sich zum F und hielt es für möglich, dass er noch lebte und gerettet werden könnte.
Gleichwohl entschloss er sich, keine Rettungsmaßnahmen einzuleiten und zu flüchten. Er befürchtete, dass er sonst wegen Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unter Alkoholeinfluss strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.
Den Tod des F durch Unterlassen nahm B billigend in Kauf.
Da es dem B jedoch nicht gelang, mit seinem Fahrzeug wegzufahren, rief er A an und bat ihn um Hilfe.
A kehrte zurück und half B, die Spuren des Unfalls zu beseitigen. Dabei verfolgte er auch ein Eigeninteresse daran, dass B bei einer Vernehmung nicht die Anwesenheit des A beim Unfallverraten würde. A ging beim Wegfahren ebenfalls davon aus, dass F noch lebte und gerettet werden könnte, nahm dessen Tod jedoch billigend in Kauf.
Entscheidung:
1. A hat sich wegen Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Beihilfe zum unerlaubte Entfernen vom Unfallort strafbar gemacht. Der BGH bestätigte den Schuldspruch und hob das Urteil im Strafausspruch aus, da das LG eine Strafmilderung gem. §§ 28 I, 49 I StGB nicht bedacht habe.2. Die Garantenstellung aus Ingerenz ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 I StGB.
3. Ein Garant aus Ingerenz ist aufgrund seines pflichtwidrigen Vorverhaltens, das die nahe Gefahr des tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht hat, zur Erfolgsabwendung verpflichtet. Diese Verpflichtung ist eine Sonderpflicht mit starkem persönlichen Einschlag. Sie richtet sich nicht an jedermann, sondern nur an denjenigen, der sich vor der Tat pflichtwidrig verhalten und die Gefahr geschaffen hat. Nur der Garant trägt persönlich die Verantwortung für die Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges. Die Garantenstellung ist ausschließlich in seiner Person verankert und kennzeichnet damit die Persönlichkeit des Unterlassungstäters.
4. Fehlen mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach § 28 I StGB i.V.m. § 49 I StGB nur einmal zu mildern.
Bedeutung für die Klausur:
1. Der BGH hat sich nun erstmals zu der Frage geäußert, ob die Garantenstellung aus Ingerenz ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d.§ 28 I StGB ist.- M1 + BGH: § 28 I StGB (+)
- M2: § 28 I StGB (-), da sich Aufgabe der Garantenstellung darin erschöpft, das Unterlassen mit dem Tun gleichzustellen
-M3: Wenn Haupttäter Beschützergarant, dann für Teilnehmer § 28 I StGB (+). Wenn Haupttäter Überwachungsgarant / Garant aus Ingerenz, dann für Teilnehmer § 28 I StGB (-).
2. Keine Strafmilderung nach §§ 13 II, 49 I StGB für A, da er den B aktiv unterstützte.
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