Rechtsprechungsübersicht 09.2023: „Probefahrer“-Fall: BGH Urt.v. 18.09.2020–VZR 8/19


Sachverhalt:

A gab sich im Autohaus des K als Kaufinteressent aus und legte täuschend echt aussehende Identitätspapiere vor.
A schloss mit dem Verkäufer V einen „Fahrzeug-Benutzungsvertrag“ ab und bekam die Fahrzeugschlüssel, das Auto mit rotem Kennzeichen und u.a.eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I.
A kehrt mit dem Wagen jedoch nicht mehr zurück. Er verkauft das Auto einen Monat später an B.
Dafür trafen sie sich am Hauptbahnhof. A übergab die erforderlichen Kfz-Papiere, die auf seine angeblichen Personalien ausgestellt waren. B erkannte nicht, dass es sich dabei um Fälschungen handelte.
B erhielt zudem den passenden Schlüssel und einen nicht dem Fahrzeug zuzuordnenden Zweitschlüssel.
K verlangt nunmehr die Herausgabe des Fahrzeugs von B. Das LG wies die Klage des K ab ; das OLG gab der Klage des K statt. B legt Revision beim BGH ein.


Entscheidung: 

  1. Der BGH entschied zugunsten des B.
  2. Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ist nicht Besitzdiener des Verkäufers.
  3. Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust.
  4. Wird das Fahrzeug in einem solchen Fall nicht zurückgegeben, liegt daher kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB vor.

Bedeutung für die Klausur:

1. Dieser zunächst womöglich unscheinbare Fall birgt viele interessante Probleme und eignet sich daher gut für eine Klausur.

2. (P)Gutgläubigkeit des B im Rahmen des § 932 BGB kann anhand der Sachverhaltsangaben bzgl. Verkaufsort, Uhrzeit und der gefälschten Papiere diskutiert werden, ob B überhaupt gutgläubig war.

3. (P) §935 BGB–Besitzlockerung oder Besitzaufgabe?
  • Für Besitzlockerung: Übergabe des Schlüssels nur auf gewisse Dauer
  • Für Besitzaufgabe: Unbegleitete und nicht durch technische Vorrichtungen gesicherte Probefahrt, keine bloß flüchtige Sachherrschaft des Probefahrers, keine enge räumliche Beziehung zum Fahrzeug des V , rotes Kennzeichen ändert nichts an Sachherrschaft.
4. P) § 935 BGB–arglistige Täuschung: Ein earglistige Täuschung ändert nichts an der Freiwilligkeit der       Übergabe.

5. (P) § 935 BGB:​​​​​​​ A= Besitzdiener(§ 855 BGB)?
  • Abhandenkommen durch eigenmächtiges Handeln eines Besitzdieners grds. möglich
  • M1:§ 855 BGB (-), da fehlendes soziales Abhängigkeitsverhältnis zwischen V und A
  • M2: § 855 BGB (+), sofern kurzzeitige Probefahrt (20Min)mit rotem Kennzeichen und ohne Übergabe von Fahrzeugpapieren
  • M3: § 855 BGB (analog)(+), da V zur jederzeitigen Weisung bzw. zum Eingreifen berechtigt
6. B -> K Anspruch auf Herausgabe der Original-Zulassungspapiere
  • (+), § 952 BGB analog(Eigentum am Papier folgt dem Eigentum am Fahrzeug)
7. B-> K Anspruch auf Herausgabe des Zweitschlüssels (-), da bloß Zubehör (§ 97 BGB)und keine Übergabe.

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