Was sind Retterfälle und wo im Strafrecht begegnen sie uns?

Der typische Anwendungsbereich der „Retterfälle“ sind die Brandstiftungsdelikte. Hierbei geraten in vielfältigen Fallkonstellationen Opfer in lebensgefährliche Situationen (Beispiel: brennendes Wohnhaus), aus denen sie von Dritten gerettet oder zu retten versucht werden. Beim Einschreiten in diese Gefahrenlage bringen sich Dritte meist selbst massiv in Gefahr, sodass sie bei ihrem Rettungseinsatz entweder sterben oder schweren Verletzungen unterliegen. Deshalb hat der Prüfling neben den §§ 306 ff. StGB meistens auch die Strafbarkeit des Täters wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB bzw. fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB zulasten des Dritten (des Retters) zu prüfen.

Innerhalb dieser Prüfung kommt man zu einem typischen Problemfeld bei so genannten „Retterfällen“: Der objektiven Zurechenbarkeit. Hier liegt in entsprechend gelagerten Fallkonstellationen typischerweise der Schwerpunkt der Klausur.


 

Wie geht man an einen Retterfall klausurtechnisch heran?

Sollte in Ihrem Sachverhalt ein Retter zum Einsatz kommen, beispielsweise um eine lebensgefährdete Person aus einem brennenden Haus zu befreien, und sollte dieser Retter im Zuge seines Einsatzes Verletzungen erleiden oder sogar ums Leben kommen, müssen sie an die Prüfung der fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB bzw. der fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB durch den Brandstifter denken. Dies ist ein erster Schritt, den sie überhaupt erkennen sollten, nachdem Sie sich natürlich ausführlich mit den verschiedenen Tatbeständen der Brandstiftungsdelikte in den §§ 306 ff. StGB befasst haben.

Innerhalb des Prüfungsaufbaus der genannten Fahrlässigkeitsdelikte sollten die Punkte innerhalb des objektiven Tatbestandes zunächst recht unproblematisch von Ihnen abgehandelt werden können: Nach Prüfung des Vorliegens des Erfolgseintritts, der Beschreibung der kausalen Verletzungshandlung und schließlich der Darlegung der objektiven Fahrlässigkeit des Täters, darunter die objektive Sorgfaltspflichtverletzung und die objektive Vorhersehbarkeit, geht es darum, die objektive Zurechnung des Taterfolgs zum Täter, bspw. wie im Beispiel dem Brandstifter, zu problematisieren.


 

Wie ist innerhalb der objektiven Zurechenbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten grundsätzlich zu verfahren?

In der objektiven Zurechenbarkeit gehen Sie zunächst auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang ein. Danach ist erforderlich, dass der eingetretene Erfolg gerade auf dem pflichtwidrigen Verhalten beruht, er entfällt also, wenn der Taterfolg auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.
Ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bejaht worden, kann auf den Schutzzweck der Norm eingegangen werden. Es ist erforderlich, dass die missachtete Sorgfaltsnorm, die man in der objektiven Fahrlässigkeitsprüfung identifiziert hat, gerade auch den eingetretenen Erfolg verhindern will. Dies ist ggfs. dann problematisch, wenn Dritte in den vom Erstverursacher in Gang gesetzten Kausalverlauf eingegriffen hat. Außerdem kann die objektive Zurechnung unter dem Aspekt des Schutzzwecks der Norm verneint werden, wenn eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt.


 

Die Kriterien innerhalb der objektiven Zurechnung bei „Retterfällen“

Nachdem nun die Prüfungspunkte innerhalb der objektiven Zurechnung angesprochen worden sind, stellt sich die Frage, an welchen der Unterpunkte der Schwerpunkt der Klausur bei Retterfällen aufzuhängen ist.
Es stellt sich nämlich dort die Frage, ob der Tod oder die Körperverletzung des Retters tatsächlich noch als „Werk“ des Täters, also des Erstverursachers, angesehen werden kann, oder ob dieser Zurechnungszusammenhang dadurch unterbrochen worden ist, dass der Retter eingeschritten ist und eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, an dessen Ende sich nicht mehr das vom Erstverursacher geschaffene Risiko verwirklicht hat. Eine objektive Zurechnung wäre dann nämlich zu verneinen und eine Strafbarkeit ausgeschlossen.


 

Dazwischentreten Dritter

Zuerst ist festzustellen, dass ein Eingreifen Dritter durch den Retter wohl insoweit vorliegt, als dass ein Unbeteiligter zu einer durch den erstverursachenden Täter geschaffenen Gefahrenlage hinzukommt.
Beim (freiwilligen) Versuch der Gefahrbeseitigung wird der Dritte, der Retter, dann selbst geschädigt.

Die sich aufdrängende Frage lautet also, ob der Täter, der die Ausgangsgefahr verursacht hat, auch für die zugezogenen Verletzungen bzw. den Tod des Retters, der sich in seine begründete Gefahrenlage begeben hat, verantwortlich ist.

Um diese Frage beantworten zu können, müssen die Verantwortungsbereiche des Täters auf der einen Seite und des Retters auf der anderen Seite voneinander abgegrenzt werden.


 

Eigenverantwortliche Selbstgefährdung

Eine Unterbrechung der Verantwortlichkeit wäre jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Retter sich seine Verletzungen durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung zugezogen hätte. Sie wären dann nicht mehr als Werk des Täters anzusehen, eine Strafbarkeit schiede aus. Die Abgrenzung zur Fremdgefährdung richtet sich nach der herrschenden Meinung nach dem Kriterium der Tatherrschaft. Maßgebend ist also, ob das Opfer den gefährlichen Eingriff allein bzw. mitbeherrscht hat. Wenn der Täter Alleinherrschaft hatte und das Opfer sich lediglich der gefährlichen Handlung des Täters aussetzt, liegt eine Fremdgefährdung vor. Das Schicksal des Opfers liegt dann allein in den Händen des Täters.

Ob hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Retters in Betracht kommt, wird je nach Art des Retters unterschiedlich bewertet. Bei rechtlich zum Einschreiten verpflichteten Rettern wird eine andere Beurteilung vorgenommen als bei freiwilligen Rettern. Zu den verpflichteten Rettern zählen auch Berufsretter, bspw. Feuerwehrleute.


 

Das Eingreifen von Berufsrettern und anderen zum Handeln Verpflichteten (Eigenverantwortliche Selbstgefährdung?)

Im Grundsatz gilt, dass bei zur Rettung verpflichteten Dritten der Zurechnungszusammenhang zwischen Gefahrschaffung durch den Täter und Eintreten des Taterfolg (Rechtsgutsverletzung) nicht unterbrochen wird aufgrund von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Argument ist, dass die Retter zur Rettungshandlung rechtlich verpflichtet sind, entweder aus Arbeitsvertrag oder auch aus einem Beamtenverhältnis oder aufgrund einer Garantenstellung. Eine normative Betrachtung gibt es dann nicht her, das Handeln der Retter als eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu bezeichnen, denn es wurde seitens der Retter in der konkreten Gefahrensituation keine freiwillige Entscheidung zum Einschreiten getroffen – es bestand vielmehr für sie die Pflicht. Aus einer solchen Überlegung heraus ist die Rechtsgutsverletzung dem Verantwortungsbereich des Täters zuzuordnen, nicht dem des in seiner Entscheidung gebundenen Retters.
Der Gefahrschaffende trägt also grundsätzlich die Verantwortung für die Gefährdung des Handlungspflichtigen.

Ausnahmsweise kann man zu einer Begrenzung der Zurechnung zum Täter gelangen, wenn die Handlung des Retters nicht typischerweise und vorhersehbar in der Ausgangsgefahr begründe liegt, wenn also die Selbstverletzung des Berufsretters oder anderweitig rechtlich zum Eingreifen Verpflichteten atypisch und nicht vorhersehbar war. Eine solche Retterintervention wäre vom Verantwortungsbereich des Ersttäters nicht mehr umfasst.
Durch diese Eingrenzung erfolgt die Zurechnung zum Verantwortungsbereich des Täters zumindest nicht grenzenlos. Wenn der Handlungspflichtige unverhältnismäßige Risiken eingeht und das Maß der gebotenen Rettungsmaßnahmen grob überschreitet, muss dies in den alleinigen Verantwortungsbereich des Retters fallen. Die Unverhältnismäßigkeit ist ex ante anhand von verschiedenen Umständen zu beurteilen, unter anderem dem Grad der Gefährdung, dem Wert des gefährdeten Guts, der Rettungschance, dem Ausmaß und der Wahrscheinlichkeit der Verletzung der Rechtsgüter des Retters usw.


 

Das Eingreifen freiwilliger Retter

Wenn keine rechtliche Verpflichtung zum Eingreifen besteht, der Retter also freiwillig handelt, oder aber wenn der Umfang der Rettungshandlung über die Pflicht hinausgeht, liegt es nahe, von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auszugehen. Der Zurechnungszusammenhang wäre dann unterbrochen, auch wenn der Anreiz der Rettung ist, die Person oder das Objekt zu retten, welchen von dem Erstverursacher gefährdet worden ist. Dies ergibt sich wiederum aus einer normativen Betrachtung: Der Dritte wird ohne Verpflichtung und damit auf eigene Gefahr hin tätig, es fällt in seinen eigenen Verantwortungsbereich, wenn er sich durch die Tätigkeit Verletzungen zuzieht.

Anders als bei den zuvor behandelten Berufsrettern liegt bei freiwilligen Rettern also im Grundsatz eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des aus freien Stücken handelnden Retters vor. Dadurch ist ein Abbruch des Zurechnungszusammenhangs eigentlich indiziert.
Doch auch hier müssen in der Argumentation die allgemeinen Zurechnungskriterien für das Dazwischentreten Dritter beachtet werden. Diese können auch hier den Verantwortungsbereich für die Verletzung von Rechtsgütern begrenzen. Eine Zurechnung kann eben nach den beim dazwischentreten Dritter angewandten Leitlinien dann stattfinden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass das Verhalten des freiwilligen Retters bereits typischerweise und vorhersehbar in der Ausgangsgefahr begründet liegt. Um dies zu beurteilen, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geklärt werden, ob sich der freiwillige Retter durch die verursachte Gefährdungslage zur Rettung gewissermaßen herausgefordert fühlen durfte. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit zur bewussten Selbstgefährdung sowie ein einseitiges Motiv für gefährliche Rettungshandlungen geschaffen hat.

Ihr Team der Akademie Kraatz und der Assessor Akademie

Wichtige Quelle: Satzger, Dr. Helmut: Die sog. „Retterfälle“ als Problem der objektiven Zurechnung, JA 2014 (7), Seite 695 - 706.
 

RSS Feed abonnieren