Die erste Zivilrechtsklausur der Erstexamenskampagne im April 2022 beruhte auf einem BGH-Urteil vom 12.01.2021. Dieses verlinken wir hier zum Nachlesen.

 

Sachverhalt

Die wesentlichen Eckdaten des Klausursachverhalts waren folgende: Der behindertengerecht umgebaute Wagen des Rollstuhlfahrers R wird auf einem öffentlichen Parkplatz dergestalt zugeparkt, dass R mit seinem Rollstuhl nicht mehr in sein Fahrzeug gelangen kann. Der hinter R parkende Fahrzeugfahrer F bietet deshalb freundlicher Weise an, für R den Wagen aus der Parklücke zu fahren. R nimmt diese Hilfe gerne an, weist F aber darauf hin, dass es sich um ein umgebautes Fahrzeug handele. F gibt selbstsicher zu verstehen, dass er sich ausreichend mit solchen Fahrzeugen auskenne. Dem ist jedoch nicht wirklich so, denn nach dem Starten des Motors, dem Einlegen des Rückwärtsgangs und dem Lösen der Handbremse fährt der Wagen für F unerwartet unmittelbar nach hinten los und kracht in sein eigenes Fahrzeug. Nunmehr möchte F Ansprüche gegen R und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung V gelten machen.



Möglicher vertraglicher Schadensersatzanspruch

In dem Blogbeitrag „Selbstschädigung beim Ausparken (Teil 1)“ haben wir bereits behandelt, dass evtl. vertragliche Ansprüche des F nur gegen R in Betracht kommen, nicht hingegen gegen V als dessen Kfz-Haftpflichtversicherung. So bezieht sich der Direktanspruch des § 115 I 1 Nr. 1 VVG nicht auf Schadensersatzansprüche aus einem vertraglichen Verhältnis, sondern nur auf Ansprüche, die im Zusammenhang mit einer aus dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht stehen. Umfasst werden also deliktische Schadensersatzansprüche.

Von daher könnte F nur gegen R einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 670 BGB analog haben, was vorliegend jedoch ausscheidet, da nur von einem reinen Gefälligkeitsverhältnis zwischen F und R auszugehen ist. So erfolgte das Ausparken zwar im Interesse des R, jedoch standen keine wesentlichen wirtschaftlichen Interessen seinerseits auf dem Spiel. Insbesondere sollte F nur kurzzeitig die Kontrolle über das Fahrzeug des R in einer nicht besonders gefahrenträchtigen Situation innehaben. Auch hatte F weder eigene rechtliche noch wirtschaftliche Interessen an der Hilfeleistung zugunsten des R. Es bestand also kein Rechtsbindungswille des F, der ein Auftragsverhältnis i.S.d. § 662 BGB als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs gem. § 670 BGB hätte begründen können.

 

Deliktischer Schadensersatzanspruch gegen R und V gem. § 7 I StVG i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG

In dem Blogbeitrag „Selbstschädigung beim Ausparken (Teil 2)“ haben wir im Anschluss behandelt, dass F gegen R und V keinen deliktischen Schadensersatzanspruch gem. § 7 I StVG i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG hat.

Zwar ist V die Kfz-Haftpflichtversicherung des R und gem. § 115 I 4 VVG haften der Schädiger und seine Haftpflichtversicherung als Gesamtschuldner gem. §§ 421 ff. BGB. Auch ist R als Anspruchsgegner unstreitig Kfz-Halter und mit der Beschädigung des Autos des F liegt ein Sachschaden vor, der bei Betrieb des Kfz entstanden ist.

Allerdings ist der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG einschlägig. Hiernach findet der Schadensersatzanspruch des § 7 I StVG keine Anwendung, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Fahrzeugs selbst tätig war.

F hat die technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient und damit das Fahrzeug geführt. Er war also bei dem Betrieb des Fahrzeugs selbst tätig. Nach zutreffender Ansicht umfasst der Anwendungsbereich des § 8 Nr. 2 StVG nicht nur Personenschäden des Verletzten, sondern sowohl Personenschäden des Verletzten als auch Sachschäden des Verletzten, wenn der Verletzte sich und seine Sachen freiwillig und bewusst in einen Gefahrenbereich gebracht hat. Dies gilt selbst dann, wenn sich die beschädigten Sachen nicht innerhalb des geführten Fahrzeugs befinden. Für diese Ansicht sprechen Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des § 8 StVG. So soll die Gefährdungshaftung des § 7 I StVG nicht jemandem zugutekommen, der sich freiwillig und bewusst in einen Gefahrenbereich begeben hat. Diese verringerte Schutzwürdigkeit des Verletzten ist nur dann nicht anzunehmen, wenn die Sachschäden auf bloßen Zufälligkeiten beruhen. Von einer zufälligen Beschädigung des hinter dem Wagen des R parkenden Fahrzeugs des F kann vorliegend jedoch nicht die Rede sein. So hat F den Wagen des R freiwillig aus der Parklücke gefahren und damit sein dahinter abgestelltes eigenes Fahrzeug wissentlich einer betreffenden Betriebsgefahr ausgesetzt.

 

Deliktsicher Schadensersatzanspruch gem. § 823 I BGB

Es könnte aber ein deliktsicher Schadensersatzanspruch gem. § 823 I BGB einschlägig sein.

Eine Rechtsgutsverletzung liegt durch den Sachschaden des Fahrzeugs des F vor.

Fraglich ist jedoch, ob diese Rechtsgutsverletzung auf einem Verhalten des R als Anspruchsgegner beruht.

Vorliegend kommt ein Unterlassen des R in Betracht, nämlich eine unterlassene Aufklärung über die Besonderheiten seines behindertengerecht umgebauten Fahrzeugs. Ein Unterlassen stellt jedoch nur dann eine taugliche Verletzungshandlung i.S.d. § 823 I BGB dar, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht.

Vorliegend könnte sich eine Aufklärungspflicht des R aus einer Verkehrssicherungspflicht ergeben. Eine solche liegt vor, wenn seitens des Schädigers eine Gefahrenquelle geschaffen oder unterhalten wird. Hier kann eine Gefahrenquelle darin gesehen werden, dass R den F mit einem Fahrzeug konfrontiert hat, das von dem gängigen Normalfall abweicht, und dass er ihn damit am öffentlichen Straßenverkehr hat teilnehmen lassen.

Hat R vorliegend aber auch seine bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt? Dies wäre dann der Fall, wenn er als Schädiger das erforderliche und zumutbare Verhalten unterlassen hätte, um eine Realisierung der Gefahr zu verhindern.

Ein solches Verhalten würde im vorliegenden Fall eine sachgerechte Aufklärung über die Besonderheiten des Fahrzeugs umfassen. R hat F darauf hingewiesen, dass sein Fahrzeug behindertengerecht umgebaut sei. Von detaillierteren Schilderungen sah er nur deshalb ab, weil F ihm ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass er sich mit solchen Fahrzeugen auskennen würde. Auf diese Äußerung durfte R vertrauen. Mithin ist R vorliegend seine Verkehrssicherungspflicht nachgekommen.

Mangels eines vorwerfbaren Unterlassens des R liegt also auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch gem. § 823 I BGB vor.

Hätte man hingegen mit einer anderen Begründung einen deliktischen Anspruch des F gegen R angenommen, ein solches Ergebnis ist durchaus vertretbar, so wäre zumindest auf ein Mitverschulden des F i.S.d. § 9 StVG und § 254 BGB einzugehen. So war F ein Fahrzeugführer, dem ein Fehler beim Bedienen des Fahrzeugs unterlaufen ist.



Ausblick auf Teil 4

In dem kommenden Blogbeitrag „Selbstschädigung beim Ausparken (Teil 4)“ werden wir in aller Ausführlichkeit nochmal alle relevanten Fragen hinsichtlich des Selbstschädigung beim Ausparken behandeln.


Hendrik Heinze
Mitgeschäftsführender Gesellschafter der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR

 

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