Sachverhalt

O trennte sich von ihrem gewalttätigen Mann und lehnte eine Rückkehr entgegen den Willen ihrer Familien und den kulturellen Regelungen strikt ab. O lebte inzwischen in Deutschland. Mutter, Bruder, Onkel und ein Freund von O (4 Angeklagte) beschlossen, sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein Flugzeug nach Georgien zurückzubringen. Der O wurde Polen als Reiseziel genannt. Auf der Autofahrt zum Flughafen durfte O sich in näherem Umkreis des Autos bewegen. Dabei wurde sie stets beobachtet und die 4 Angeklagten waren bereit, die O bei einer möglichen Flucht zu hindern. Erst in Georgien angekommen, bemerkte O die Täuschung. Zunächst fügte sie sich ihrem Schicksal und fuhr mit den Angeklagten in ein bereits gemietetes Ferienhaus. Dort wurde sie schließlich eingesperrt und trotz ausdrücklicher Erklärungen, sie wolle nach Deutschland zurück, nicht freigelassen.


 

Entscheidung

  1. Die Angeklagten wurden wegen mittäterschaftlichen Freiheitsberaubung nach §§ 239 Abs. 1, 24 Abs. 2 StGB verurteilt.
     
  2. Geschützt ist die potentielle Fortbewegungsfreiheit.
     
  3. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis ist aufgrund der Täuschung unwirksam.
 

Bedeutung für die Klausur

  1. Immer mehr Stimmen in der Literatur sprechen sich für den Schutz des aktuellen Fortbewegungswillens aus. Der BGH vertritt jedoch weiterhin die – noch herrschende – Ansicht, die potentielle Fortbewegungsfreiheit zu schützen.
     
  2. Ob ein Einverständnis tatbestandausschließend ist und welche Anforderungen daran zu stellen sind, hängt vom jeweils geschützten Rechtsguts ab. So sind Täuschungen bei § 123 StGB unbeachtlich für das Einverständnis, da der Tatbestand nur den Handlungswillen schützt. Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in eine Freiheitsberaubung i.S.d. § 239 StGB ist der potentielle Fortbewegungswille, weshalb hier eine Täuschung beachtlich ist.
     
  3. Mit dem tatbestandsausschließenden Einverständnis müssten Sie sich in der Klausur näher auseinandersetzen. Einerseits weiß O während der Autofahrt und dem Flug, dass sie in Ihrer Freiheitsbewegung eingeschränkt ist. Andererseits sprechen das Interesse am umfassenden Rechtsgüterschutz und der höhere Strafrahmen des § 239 StGB (im Vergleich z.B. zum Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)) für die Unwirksamkeit des mittels Täuschung und List erschlichenen Einverständnisses.

Ihr Team der Akademie Kraatz und der Assessor Akademie

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