Verfahrensgrundsätze des Strafverfahrens (Prozessmaximen): Teil 1 von 2
21.02.2024 | von Hendrik Heinze
Tipp: Das Offizialprinzip des Strafprozesses gem. § 152 I StPO unterscheidet sich erheblich von der Dispositionsmaxime des Zivil- und des Verwaltungsprozesses, nach der es grds. allen Prozessparteien bzw. Verfahrensbeteiligten zusteht, sowohl über den Klagegegenstand als auch den Beginn und das Ende des jeweiligen Prozesses zu bestimmen. Die Dispositionsmaxime des Zivilprozesses findet v.a. in der Klageerhebung gem. § 253 I ZPO und der Klagerücknahme gem. § 269 ZPO Ausdruck. Entsprechendes gilt für die Klageerhebung gem. § 81 VwGO und die Klagerücknahme gem. § 92 VwGO im Verwaltungsprozess.
Bei dem gemeinsamen Vorliegen von Privatklagedelikten und Offizialdelikten ist die Tat im prozessualen Sinne bei Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts im Offizialverfahren unabhängig von dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft zu verfolgen (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 376 StPO Rn. 9 ff.).
Nach § 376 StPO erhebt die Staatsanwaltschaft bei dem bloßen Vorliegen von Privatklagedelikten im Rahmen einer Tat im prozessualen Sinne nur dann Anklage, wenn es im öffentlichen Interesse liegt. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ist in diesem Fall mithin eine Prozessvoraussetzung (Verfahrensvoraussetzung). Ob ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, bestimmt sich nach spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten (BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76; Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 376 StPO Rn. 1, § 153 StPO Rn. 7).
Nach § 390 I 1 StPO stehen dem Privatkläger grds. dieselben Rechtsmittel wie der Staatsanwaltschaft zu. Allerdings darf er von diesen Rechtsmitteln, anders als die Staatsanwaltschaft (vgl. § 296 II StPO), nicht zu Gunsten des Angeklagten gem. § 157 HS. 2 StPO Gebrauch machen (OLG Hamburg, NJW 1958, 1313; Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 296 StPO Rn. 6).
Wenn die Staatsanwaltschaft trotz der Stellung eines Antrags auf Erhebung einer öffentlichen Klage keine Ermittlungen aufnimmt oder eine Anklageerhebung gem. § 170 I StPO ablehnt, kommt grds. ein Ermittlungserzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO analog oder ein Klageerzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO in Betracht (Karlsruher Kommentar zur StPO – Moldenhauer, § 172 StPO Rn. 1). Hierbei kann der von dem jeweiligen Tatbestand Verletzte die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft zunächst per Beschwerde (Vorschaltbeschwerde) durch den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft und dessen ablehnenden Bescheid anschließend per Antrag durch das Oberlandesgericht (OLG) überprüfen lassen. Nach § 172 II 3 StPO ist dieses Verfahren jedoch v.a. bei dem ausschließlichen Vorliegen von Privatklagedelikten aufgrund der Unabhängigkeit der privatklageberechtigten Personen von der Staatsanwaltschaft weder nötig noch möglich.
Die Nachteile einer Privatklage liegen im Wesentlichen darin begründet, dass der Privatkläger selbst ermitteln muss (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, Vorb. § 374 StPO Rn. 1a ff.) und gem. § 471 II StPO das Kostenrisiko des Strafverfahrens trägt.
Wenn der Antragende gem. § 104 BGB geschäftsunfähig oder gem. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig ist, ist gem. § 77 III StGB sein gesetzlicher Vertreter oder sein Sorgeberechtigter antragsberechtigt. Wenn der Antragende zu dem Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig war, jedoch innerhalb der Antragsfrist sein 18. Lebensjahr vollendet hat und damit gem. § 2 BGB volljährig wurde, ist die Besonderheit zu beachten, dass eine ausdrückliche Billigung des Antrags seinerseits ohne die Formanforderungen des § 158 II StPO möglich ist. Der bloße Volljährigkeitseintritt ist hingegen nicht ausreichend (BGH, NJW 1994, 1165).
Der Strafantrag ist grds. schriftlich zu stellen, wobei ein Antrag per Fax ausreichend ist, solange die ursprüngliche Originalunterschrift des Antragenden erkennbar ist (Meyer-Goßner / Schmitt – Köhler, § 158 StPO Rn. 11). Bei einem Gericht und der Staatsanwaltschaft ist darüber hinaus auch eine Antragstellung zu Protokoll möglich. Bei einer Antragstellung zu Protokoll stellt der Antragende bei einer Geschäftsstelle mündlich einen Antrag, was entsprechend protokolliert wird. Einer Unterschrift des Antragstellers bedarf das betreffende Protokoll nicht (RGSt 38, 39, 41; Gercke / Julius / Temming / Zöller – Zöller, § 158 StPO Rn. 17; Karlsruher Kommentar zur StPO – Weingarten, § 158 StPO Rn. 46).
Nach § 77b StGB beträgt die Antragsfrist 3 Monate ab der Kenntnis des Antragenden von der Tat und dem Täter, wobei der betreffende „Ereignistag“ i.R.d. Fristberechnung nicht mitgezählt wird. Der Täterbegriff umfasst in diesem Zusammenhang jede Form der Tatbeteiligung. Für eine ausreichende Kenntniserlangung genügt eine grds. Individualisierbarkeit des Tatbeteiligten, eine darüber hinausgehende Namenskenntnis ist hingegen nicht erforderlich (Schönke / Schröder – Bosch, § 77b StGB Rn. 9). Bei einer Versäumnis der Frist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44 ff. StPO möglich, da die Antragsfrist keine Prozessfrist, sondern eine Ausschlussfrist ist (Schönke / Schröder – Bosch, § 77b StGB Rn. 1). Eine Ausschlussfrist ist eine Frist, bei der das betreffende Recht, wenn es nicht rechtzeitig geltend gemacht wird, untergeht. Bei der Versäumnis einer Ausschlussfrist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.
Der Strafantrag kann gem. § 77d I 1, 2 StGB bis zu dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens zurückgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der einmal zurückgenommene Strafantrag gem. § 77d I 3 StGB nicht noch einmal gestellt werden kann.
Es sind die folgenden 2 Arten von Antragsdelikten zu unterscheiden:
Aus dem Legalitätsprinzip ergibt sich gem. § 170 I StPO auch ein Anklagezwang der Staatsanwaltschaft bei dem Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, der für die gerichtliche Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 203 StPO erforderlich ist.
Materiell-rechtlich wird das Legalitätsprinzip v.a. durch die Strafandrohung der Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB abgesichert. Prozessual erfolgt eine entsprechende Absicherung durch das Klageerzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO.
Ausnahmen von dem Legalitätsprinzip werden insbesondere i.R.d. Einstellung aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO gemacht.
Der Prozessgegenstand, also der Gegenstand der strafgerichtlichen Urteilsfindung, umfasst sowohl die in der Anklageschrift bezeichneten Personen als auch die in ihr enthaltenen Taten im prozessualen Sinne gem. § 264 StPO. Hierbei ist zu beachten, dass das Gericht gem. § 264 II StPO weder an die staatsanwaltliche rechtliche Beurteilung der Anklageschrift noch an die eigene rechtliche Beurteilung, die dem Eröffnungsbeschluss gem. § 203 StPO zugrunde liegt, gebunden ist. Stellt sich während der Hauptverhandlung heraus, dass eine andere Tat im prozessualen Sinne zweckmäßigerweise in das Strafverfahren einbezogen werden sollte, ist diesbzgl. jedoch eine Nachtragsanklage der Staatsanwaltschaft gem. § 266 StPO erforderlich. Hat sich im Laufe der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die angeklagten Taten im prozessualen Sinne hingegen nur die tatsächliche oder rechtliche Betrachtungsweise des Gerichts ggü. dem Eröffnungsbeschluss geändert, so genügt insoweit gem. § 265 StPO ein gerichtlicher Hinweis an den Angeklagten gem. § 157 HS. 2 StPO (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 265 StPO Rn. 8a).
Der Ermittlungsgrundsatz wird durch die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote des Strafprozesses begrenzt. Hierdurch soll vermieden werden, dass ein Strafurteil auf bestimmte Beweismittel gestützt wird, die nicht den rechtsstaatlichen Standards der Bundesrepublik Deutschland genügen (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, Einl. StPO Rn. 50).
Ausnahmen von dem Öffentlichkeitsprinzip werden v.a. im Jugendstrafverfahren gem. § 48 I JGG, in den Fällen der §§ 169 ff. GVG, aus praktischen Gründen (z.B. begrenzte Platzanzahl im Gericht) und unter Berücksichtigung der Grundrechte Dritter gemacht (Karlsruher Kommentar zur StPO – Fischer, Einl. StPO Rn. 58 ff.).
Unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (1. Semester bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) stehen Dir gerne zur Seite, wenn Du Dich im Strafrecht verbessern möchtet. Ruft uns für einen kostenlosen Probetermin an.
Wenn Du mehr über die Verfahrensgrundsätze des Strafprozesses erfahren willst, schau Dir auch Teil 2 unserer Blogbeiträge zu den Verfahrensgrundsätzen des Strafverfahrens an.
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
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21.02.2024 | von Hendrik Heinze
Die Verfahrensgrundsätze der StPO sind häufig Gegenstand von Prüfungen
Die Verfahrensgrundsätze der Strafprozessordnung sind ein beliebtes Thema im Rahmen der StPO-Zusatzfrage von Examensklausuren des 1. Staatsexamens. In Klausuren des 2. Examens ist eine ausgeprägte Kenntnis der Prozessmaximen generell unerlässlich, um Verfahrensfehler rechtlich richtig einordnen zu können. Darüber hinaus sind die Verfahrensgrundsätze auch in mündlichen Prüfungen des 1. und 2. Staatsexamens ein Klassiker. Im heutigen Beitrag möchten wir Euch daher die ersten 8 der insgesamt 16 wichtigsten Verfahrensgrundsätze der StPO vorstellen.1. Das Offizialprinzip (§ 152 I StPO) und seine Ausnahmen
Bedeutung des Offizialprinzips
Nach dem Offizialprinzip gem. § 152 I StPO ist aufgrund des Anklagemonopols des Staats grds. nur die Staatsanwaltschaft dazu berechtigt, eine öffentliche Klage zu erheben. Das öffentliche Strafverfolgungs- und Wahrheitsfindungsinteresse wird mithin i.d.R. unabhängig von dem Willen des von der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung Verletzten von Amts wegen durchgesetzt.Tipp: Das Offizialprinzip des Strafprozesses gem. § 152 I StPO unterscheidet sich erheblich von der Dispositionsmaxime des Zivil- und des Verwaltungsprozesses, nach der es grds. allen Prozessparteien bzw. Verfahrensbeteiligten zusteht, sowohl über den Klagegegenstand als auch den Beginn und das Ende des jeweiligen Prozesses zu bestimmen. Die Dispositionsmaxime des Zivilprozesses findet v.a. in der Klageerhebung gem. § 253 I ZPO und der Klagerücknahme gem. § 269 ZPO Ausdruck. Entsprechendes gilt für die Klageerhebung gem. § 81 VwGO und die Klagerücknahme gem. § 92 VwGO im Verwaltungsprozess.
Ausnahme 1: Privatklagedelikte (§ 374 I StPO)
Bei den in § 374 I StPO aufgezählten Privatklagedelikten können die in § 374 StPO genannten Personen ohne Anrufung der Staatsanwaltschaft den Strafprozess selbständig beim Amtsgericht (AG) mittels der Privatklage gem. §§ 374 ff. StPO betreiben. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die betreffende Tat im prozessualen Sinne gem. § 264 StPO nicht gleichzeitig ein Offizialdelikt umfasst. Offizialdelikte sind alle Delikte mit Ausnahme der in § 374 I StPO aufgezählten Privatklagedelikte. Bei Offizialdelikten ist im Gegensatz zu Privatklagedelikten nur die Staatsanwaltschaft dazu berechtigt, eine öffentliche Klage zu erheben.Bei dem gemeinsamen Vorliegen von Privatklagedelikten und Offizialdelikten ist die Tat im prozessualen Sinne bei Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts im Offizialverfahren unabhängig von dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft zu verfolgen (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 376 StPO Rn. 9 ff.).
Nach § 376 StPO erhebt die Staatsanwaltschaft bei dem bloßen Vorliegen von Privatklagedelikten im Rahmen einer Tat im prozessualen Sinne nur dann Anklage, wenn es im öffentlichen Interesse liegt. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ist in diesem Fall mithin eine Prozessvoraussetzung (Verfahrensvoraussetzung). Ob ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, bestimmt sich nach spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten (BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76; Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 376 StPO Rn. 1, § 153 StPO Rn. 7).
Nach § 390 I 1 StPO stehen dem Privatkläger grds. dieselben Rechtsmittel wie der Staatsanwaltschaft zu. Allerdings darf er von diesen Rechtsmitteln, anders als die Staatsanwaltschaft (vgl. § 296 II StPO), nicht zu Gunsten des Angeklagten gem. § 157 HS. 2 StPO Gebrauch machen (OLG Hamburg, NJW 1958, 1313; Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 296 StPO Rn. 6).
Wenn die Staatsanwaltschaft trotz der Stellung eines Antrags auf Erhebung einer öffentlichen Klage keine Ermittlungen aufnimmt oder eine Anklageerhebung gem. § 170 I StPO ablehnt, kommt grds. ein Ermittlungserzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO analog oder ein Klageerzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO in Betracht (Karlsruher Kommentar zur StPO – Moldenhauer, § 172 StPO Rn. 1). Hierbei kann der von dem jeweiligen Tatbestand Verletzte die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft zunächst per Beschwerde (Vorschaltbeschwerde) durch den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft und dessen ablehnenden Bescheid anschließend per Antrag durch das Oberlandesgericht (OLG) überprüfen lassen. Nach § 172 II 3 StPO ist dieses Verfahren jedoch v.a. bei dem ausschließlichen Vorliegen von Privatklagedelikten aufgrund der Unabhängigkeit der privatklageberechtigten Personen von der Staatsanwaltschaft weder nötig noch möglich.
Die Nachteile einer Privatklage liegen im Wesentlichen darin begründet, dass der Privatkläger selbst ermitteln muss (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, Vorb. § 374 StPO Rn. 1a ff.) und gem. § 471 II StPO das Kostenrisiko des Strafverfahrens trägt.
Ausnahme 2: Antragsdelikte
Der Strafantrag gem. § 158 II StPO i.V.m. §§ 77 ff. StGB ist die durch einen Antragsberechtigten gem. §§ 77, 77a StGB erfolgende Mitteilung eines Sachverhalts an die Staatsanwaltschaft, die Polizei („andere Behörden“) oder ein Gericht, der Anlass zur Strafverfolgung gibt. Hierbei bringt der Antragende seinen Willen zum Ausdruck, dass er eine betreffende Strafverfolgung veranlassen möchte. In diesem Zusammenhang muss der Antragende die Formulierung „Strafantrag“ nicht ausdrücklich verwenden. Selbst die Bezeichnung „Strafanzeige“ (in § 158 I StPO geregelte bloße Mitteilung eines Sachverhalts ggü. der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder einem Gericht, wodurch Anlass zur Strafverfolgung gegeben wird. Sie steht grds. jedermann zu, unabhängig davon, ob man selbst von der Straftat betroffen ist: Gercke / Julius / Temming / Zöller – Zöller, § 158 StPO Rn. 5) ist nicht schädlich, wenn der Antragsteller darüber hinaus im Sinne einer Gesamtbetrachtung deutlich macht, dass er die betreffende Straftat auch tatsächlich verfolgt sehen möchte (Meyer-Goßner / Schmitt – Köhler, § 158 StPO Rn. 4).Wenn der Antragende gem. § 104 BGB geschäftsunfähig oder gem. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig ist, ist gem. § 77 III StGB sein gesetzlicher Vertreter oder sein Sorgeberechtigter antragsberechtigt. Wenn der Antragende zu dem Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig war, jedoch innerhalb der Antragsfrist sein 18. Lebensjahr vollendet hat und damit gem. § 2 BGB volljährig wurde, ist die Besonderheit zu beachten, dass eine ausdrückliche Billigung des Antrags seinerseits ohne die Formanforderungen des § 158 II StPO möglich ist. Der bloße Volljährigkeitseintritt ist hingegen nicht ausreichend (BGH, NJW 1994, 1165).
Der Strafantrag ist grds. schriftlich zu stellen, wobei ein Antrag per Fax ausreichend ist, solange die ursprüngliche Originalunterschrift des Antragenden erkennbar ist (Meyer-Goßner / Schmitt – Köhler, § 158 StPO Rn. 11). Bei einem Gericht und der Staatsanwaltschaft ist darüber hinaus auch eine Antragstellung zu Protokoll möglich. Bei einer Antragstellung zu Protokoll stellt der Antragende bei einer Geschäftsstelle mündlich einen Antrag, was entsprechend protokolliert wird. Einer Unterschrift des Antragstellers bedarf das betreffende Protokoll nicht (RGSt 38, 39, 41; Gercke / Julius / Temming / Zöller – Zöller, § 158 StPO Rn. 17; Karlsruher Kommentar zur StPO – Weingarten, § 158 StPO Rn. 46).
Nach § 77b StGB beträgt die Antragsfrist 3 Monate ab der Kenntnis des Antragenden von der Tat und dem Täter, wobei der betreffende „Ereignistag“ i.R.d. Fristberechnung nicht mitgezählt wird. Der Täterbegriff umfasst in diesem Zusammenhang jede Form der Tatbeteiligung. Für eine ausreichende Kenntniserlangung genügt eine grds. Individualisierbarkeit des Tatbeteiligten, eine darüber hinausgehende Namenskenntnis ist hingegen nicht erforderlich (Schönke / Schröder – Bosch, § 77b StGB Rn. 9). Bei einer Versäumnis der Frist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44 ff. StPO möglich, da die Antragsfrist keine Prozessfrist, sondern eine Ausschlussfrist ist (Schönke / Schröder – Bosch, § 77b StGB Rn. 1). Eine Ausschlussfrist ist eine Frist, bei der das betreffende Recht, wenn es nicht rechtzeitig geltend gemacht wird, untergeht. Bei der Versäumnis einer Ausschlussfrist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.
Der Strafantrag kann gem. § 77d I 1, 2 StGB bis zu dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens zurückgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der einmal zurückgenommene Strafantrag gem. § 77d I 3 StGB nicht noch einmal gestellt werden kann.
Es sind die folgenden 2 Arten von Antragsdelikten zu unterscheiden:
- Absolute Antragsdelikte, die nur auf einen Strafantrag nach § 158 II StPO i.V.m. §§ 77 ff. StGB hin verfolgt werden können (z.B. Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB; Haus- und Familiendiebstahl gem. § 247 StGB).
- Relative Antragsdelikte, bei denen ein fehlender Strafantrag nach § 158 II StPO i.V.m. §§ 77 ff. StGB durch das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ersetzt werden kann (z.B. Diebstahl geringwertiger Sachen gem. § 248a StGB).
Ausnahme 3: Ermächtigungsdelikte
Ermächtigungsdelikte sind Delikte, die nur mit der Ermächtigung des von dem jeweiligen Delikt betroffenen Opfers verfolgt werden. Die Ermächtigung ist also eine betreffende Prozessvoraussetzung. Ein Beispiel ist die Verunglimpfung des Bundespräsidenten gem. § 90 StGB, wo die Ermächtigung des (ggf. nicht mehr amtierenden) betroffenen Bundespräsidenten (nicht durch Stellvertreter oder Amtsnachfolger) gem. § 90 IV StGB eine Prozessvoraussetzung ist (vgl. Leipold / Tsambikakis / Zöller – Ziemann, § 90 StGB Rn. 14).2. Der Grundsatz des Legalitätsprinzip (§§ 152 II, 160 I StPO)
Nach dem Legalitätsprinzip besteht gem. §§ 152 II, 160 I StPO ein Strafverfolgungszwang der Staatsanwaltschaft bei der Annahme eines Anfangsverdachts, wenn es also konkrete Tatsachen möglich erscheinen lassen, dass ein verfolgbarer Tatbestand vorliegt (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 152 StPO Rn. 4). Die Staatsanwaltschaft ist mithin verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren gem. §§ 160 ff. StPO einzuleiten. Derselbe Grundsatz gilt gem. § 163 I StPO i.R.d. weisungsunabhängigen Rechts des ersten Zugriffs für die Polizei.Aus dem Legalitätsprinzip ergibt sich gem. § 170 I StPO auch ein Anklagezwang der Staatsanwaltschaft bei dem Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, der für die gerichtliche Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 203 StPO erforderlich ist.
Materiell-rechtlich wird das Legalitätsprinzip v.a. durch die Strafandrohung der Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB abgesichert. Prozessual erfolgt eine entsprechende Absicherung durch das Klageerzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. StPO.
Ausnahmen von dem Legalitätsprinzip werden insbesondere i.R.d. Einstellung aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO gemacht.
3. Akkusationsprinzip (Anklagegrundsatz) nach § 151 StPO
Nach dem Akkusationsprinzip gem. § 151 StPO findet eine gerichtliche Strafverfolgung nur dann statt, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Entsprechendes gilt i.R.d. Privatklage gem. §§ 374 ff. StPO bzgl. der in § 374 StPO genannten klageberechtigten Personen.Der Prozessgegenstand, also der Gegenstand der strafgerichtlichen Urteilsfindung, umfasst sowohl die in der Anklageschrift bezeichneten Personen als auch die in ihr enthaltenen Taten im prozessualen Sinne gem. § 264 StPO. Hierbei ist zu beachten, dass das Gericht gem. § 264 II StPO weder an die staatsanwaltliche rechtliche Beurteilung der Anklageschrift noch an die eigene rechtliche Beurteilung, die dem Eröffnungsbeschluss gem. § 203 StPO zugrunde liegt, gebunden ist. Stellt sich während der Hauptverhandlung heraus, dass eine andere Tat im prozessualen Sinne zweckmäßigerweise in das Strafverfahren einbezogen werden sollte, ist diesbzgl. jedoch eine Nachtragsanklage der Staatsanwaltschaft gem. § 266 StPO erforderlich. Hat sich im Laufe der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die angeklagten Taten im prozessualen Sinne hingegen nur die tatsächliche oder rechtliche Betrachtungsweise des Gerichts ggü. dem Eröffnungsbeschluss geändert, so genügt insoweit gem. § 265 StPO ein gerichtlicher Hinweis an den Angeklagten gem. § 157 HS. 2 StPO (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, § 265 StPO Rn. 8a).
4. Ermittlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz) nach §§ 155 II, 160 II, 163, 244 II StPO
Nach dem Ermittlungsgrundsatz sind die Strafverfolgungsbehörden in der Gestalt der Staatsanwaltschaft gem. § 160 II StPO und der Polizei gem. § 163 StPO von Amts wegen dazu verpflichtet, einen Sachverhalt vollständig zu erforschen, um die materielle Wahrheit in der Gestalt der Wirklichkeit zu ermitteln. Entsprechendes gilt für das Gericht gem. §§ 155 II, 244 II StPO. So hat sich die Beweisaufnahme gem. §§ 244 ff. StPO auf alle Tatsachen zu erstrecken, die für die Beurteilung der jeweiligen Schuld- und Straffrage erheblich sind.Der Ermittlungsgrundsatz wird durch die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote des Strafprozesses begrenzt. Hierdurch soll vermieden werden, dass ein Strafurteil auf bestimmte Beweismittel gestützt wird, die nicht den rechtsstaatlichen Standards der Bundesrepublik Deutschland genügen (Meyer-Goßner / Schmitt – Schmitt, Einl. StPO Rn. 50).
5. Beschleunigungsgrundsatz (Art. 20 III GG i.V.m. Art. 6 I 1 EMRK)
Nach dem Beschleunigungsgrundsatz gem. Art. 20 III GG i.V.m. Art. 6 I 1 EMRK ist das Strafverfahren innerhalb einer angemessenen Zeit durchzuführen. Dies gebietet der Schutz des Beschuldigten, da ansonsten unnötige psychische und soziale Belastungen seinerseits entstehen. Auch beeinträchtigen unnötige Verfahrensverzögerungen das öffentliche Strafverfolgungs- und Wahrheitsfindungsinteresse durch entstehende Beweisschwierigkeiten (Karlsruher Kommentar zur StPO – Fischer, Einl. StPO Rn. 29, 30).6. Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 S. 1 GVG i.V.m. Art. 6 I 1 EMRK)
Nach dem Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 S. 1 GVG i.V.m. Art. 6 I 1 EMRK muss die mündliche Hauptverhandlung Zuschauern zwecks einer Kontrollfunktion grds. zugänglich sein („Saalöffentlichkeit“: Karlsruher Kommentar zur StPO – Diemer, § 169 GVG Rn. 8).Ausnahmen von dem Öffentlichkeitsprinzip werden v.a. im Jugendstrafverfahren gem. § 48 I JGG, in den Fällen der §§ 169 ff. GVG, aus praktischen Gründen (z.B. begrenzte Platzanzahl im Gericht) und unter Berücksichtigung der Grundrechte Dritter gemacht (Karlsruher Kommentar zur StPO – Fischer, Einl. StPO Rn. 58 ff.).
Fazit zum 1. Teil der Verfahrensgrundsätze
Die Herausforderungen des Strafrechts einschließlich des Strafprozessrechts dürfen weder von Studenten noch von Referendaren unterschätzt werden. Zwar ist es vom Umfang her das „kleinste“ der drei Rechtsgebiete. Dennoch fallen Strafrechtsklausuren oft schlechter aus als diejenigen des Zivilrechts oder öffentlichen Rechts. Nicht nur ist das Strafrecht im Detail sehr komplex, sondern man muss in der Strafrechtsklausur auch deutlich mehr Seiten zu Papier bringen als im Zivilrecht und öffentlichen Recht.Unsere qualifizierten Dozenten der Akademie Kraatz (1. Semester bis 1. Examen) und der Assessor Akademie (2. Examen) stehen Dir gerne zur Seite, wenn Du Dich im Strafrecht verbessern möchtet. Ruft uns für einen kostenlosen Probetermin an.
Wenn Du mehr über die Verfahrensgrundsätze des Strafprozesses erfahren willst, schau Dir auch Teil 2 unserer Blogbeiträge zu den Verfahrensgrundsätzen des Strafverfahrens an.
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
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