Juristen lieben ihre besondere Sprache. Eine gelungene Klausur überzeugt nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Das sprachliche Werkzeug des Juristen ist dabei vor allem der Gutachtenstil. Mit diesem werden juristische Fragestellungen eingehend geprüft. Es verwundert daher umso mehr, dass der Großteil der Studierenden diesen nicht konsequent anzuwenden weiß. Der nachfolgende Beitrag will Hilfe leisten.
I. Gutachtenstil
Der Gutachtenstil ist die besondere Sprache des Juristen, insbesondere der Kandidaten für das 1. Staatsexamen. Er besteht aus dem Obersatz, der Definition, der Subsumtion und dem Ergebnis.Mit dem Obersatz wird die Frage aufgeworfen, die man nachfolgend klären will. Dies kann als Frage oder als Hypothese dargestellt werden, das spielt keine entscheidende Rolle, die Ausgangssituation ist dieselbe. Entweder schreiben Sie „Fraglich ist, ob es sich bei dem Schreiben der Behörde um einen Verwaltungsakt handelt“ (Frage) oder „Es müsste sich bei dem Schreiben der Behörde um einen Verwaltungsakt handeln“ (Hypothese). Durch die nachfolgende Definition zeigen Sie auf, was die Voraussetzungen dafür sind, dass ein Verwaltungsakt vorliegt bzw. – allgemeiner – die Voraussetzungen für die Beantwortung der im Obersatz aufgeworfenen Frage sind. Dies ist ihr Prüfungsmaßstab. Diese Voraussetzungen stehen (meist) im Gesetz: „Nach § 35 S. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“. Freilich tun sich jetzt weitere Probleme auf, die wiederum nach einem neuen Obersatz verlangen, so dass sie letztlich ein „Gutachten im Gutachten“ schreiben. So wird z.B. im Fall des Verwaltungsakts etwa nur dessen Regelungswirkung zu problematisieren sein. Dann bringen Sie nach der Definition des Verwaltungsakts einen neuen Obersatz: „Das Schreiben der Behörde müsste demnach insbesondere Regelungscharakter haben“. Hierfür stellen sie mit einer neuen Definition den Prüfungsmaßstab her: „Die „Regelung“ im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG meint die unmittelbare Herbeiführung einer verbindlichen Rechtsfolge, d.h. die Begründung, Aufhebung, Abänderung oder Feststellung eines Rechts oder einer Pflicht.“
Nun kommt der Teil, für den es in der Klausur die Punkte gibt: Die Subsumtion. Hierbei gleichen Sie die von Ihnen formulierte Definition mit dem Sachverhalt ab und prüfen, ob im konkreten Fall die definierten Voraussetzungen gegeben sind. Ist also das Tatbestandsmerkmal erfüllt, „passt“ der Sachverhalt zur Definition? Wichtig: Es geht hier allein um die fallbezogene Argumentation, nicht um abstrakte, lehrbuchartige Ausführungen. Argumentieren Sie also nicht mit der „allgemeinen Lebenserfahrung“; als junger Jurastudent in seinen 20ern hat man davon nämlich noch nicht unbedingt viel gesammelt. Machen Sie zudem nicht den Fehler, den Sachverhalt „nachzuerzählen“; dies ist gerade keine Subsumtion. Der Korrektor will bei der Lektüre Ihrer Klausur bei Laune gehalten werden. Schreiben Sie also „spannend“. Formulieren Sie nicht „Wie dem Sachverhalt zu entnehmen ist, wird A durch das Schreiben der Behörde dazu aufgefordert, einen Beitrag in Höhe von 1.000,00 € zu zahlen“ oder „Die Behörde formuliert in ihrem Schreiben, dass A einen Beitrag in Höhe von 1.000,00 € zahlen soll“. Der Korrektor weiß, was im Sachverhalt steht und die Behörde geschrieben hat. Er will, dass sie nun den Sachverhalt unter ihre Definition legen und direkt prüfen, ob es „passt“. Im Anschluss der Subsumtion halten Sie das Ergebnis ihrer Prüfung fest. Dies tun Sie einleitend etwa mit den Worten „mithin“, „folglich“ oder „somit“.
Letztlich ist es eine reine Formulierungsfrage, ob Sie schon subsumieren oder noch den Sachverhalt nacherzählen. Die besseren Kandidaten unterscheiden sich von mittelmäßigen Kandidaten nicht unbedingt in der inhaltlichen Lösung, sondern in der gelungenen Darstellung der Lösung. Sie haben eine höhere „Sprachkompetenz“. Eine Subsumtion erfolgt beinahe zwangsläufig, wenn Sie den Satz mit „durch“, „dadurch, dass …“ und „indem“ oder einfach „zum einen …, zum anderen …“ einleiten. Formulieren Sie beispielsweise so:
„Indem A zur Zahlung eines Beitrags in Höhe von 1.000,00 € aufgefordert wird, wird verbindlich die Verpflichtung zur Begleichung dieses Beitrags begründet. Mithin wird für A eine Beitragspflicht begründet, so dass eine Regelung vorliegt“ oder „Dadurch, dass A zur Zahlung eines Beitrags in Höhe von 1.000,00 € aufgefordert wird, liegt ein Zugriff in seinen Pflichtenkreis vor. Es wird die Verpflichtung zur Zahlung des Beitrags begründet. Mithin liegt darin eine Regelung im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG“. Sie sehen, dass der Unterschied zwischen Subsumtion oder bloßer Sachverhaltsnacherzählung allein in der Formulierung liegt.
Noch ein Wort zum Obersatz: Der Obersatz ist das A und O im Gutachtenstil, denn er hat nicht nur Orientierungsfunktion (der Korrektor muss jederzeit wissen, was Sie gerade warum prüfen), sondern stellt zugleich den nachfolgenden Prüfungsablauf dar. Gerade durch einen richtig formulierten Obersatz fühlt sich der Korrektor „abgeholt“ und kann Ihnen folgen, denn er weiß dadurch, was nun geprüft wird. Ein einfaches Beispiel anhand der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde:
„Die Verfassungsbeschwerde müsste begründet sein. Dazu ist erforderlich, dass der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist.“
So richtig dieser Satz inhaltlich auch ist, so unpräzise ist er zugleich. Denn Sie teilen dem Korrektor nicht mit, woran eine solche Grundrechtsverletzung festzumachen ist, m.a.W.: Was ist überhaupt Voraussetzung dafür, dass eine solche Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten vorliegt? Sie müssen den nachfolgenden Prüfungsaufbau nun im Obersatz „vorwegnehmen“. Sie schreiben also wie gerade geschehen und ergänzen dies um die Skizzierung des Prüfungsaufbaus:
„Die Verfassungsbeschwerde müsste begründet sein. Dazu ist erforderlich, dass der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn der Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts eröffnet ist, hierin seitens des Staats eingegriffen wurde und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.“
Dann beginnen Sie, den Schutzbereich, den Eingriff und die Rechtfertigung zu prüfen.
II. Meinungsstände und Streitentscheide
Wie Sie wissen, gibt es in der Rechtswissenschaft weder „richtig“ noch „falsch“. Vieles wird vertreten und ist vertretbar, wenn die Begründung überzeugt. In der Klausur müssen Sie an den entscheidenden Stellen eine Lösung finden, indem Sie die gegenüberstehenden Lösungsmöglichkeiten gegeneinander abwägen. Gehen Sie dabei „anti-perspektivisch“ vor, d.h. sie stellen zunächst die Ansicht dar, der Sie nicht folgen. Denn diese Ansicht wollen Sie „wegbügeln“. Stellen Sie das stärkste Argument dieser Auffassung als unverfängliche Hypothese dar und bringen Sie dann das stärkste Gegenargument derjenigen Ansicht, der Sie folgen – dies sollte im Zweifelsfall die h.M. sein. Dann erwähnen Sie ein weiteres – schwaches – Argument der Gegenseite, um dieses gleichsam mit einem weiteren Argument der von Ihnen vertretenden Ansicht weg zu argumentieren. Auch hierbei müssen Sie Sprachkompetenz beweisen. Das so oft in Lehrbüchern nachzulesende „Herunterbeten“ der vertretenen Ansichten wirkt nicht nur stümperhaft, das macht in der Praxis tatsächlich auch niemand so. Schreiben Sie also nicht „Nach einer Ansicht …“, „nach einer anderen Ansicht“, „nach einer vermittelnden Ansicht“ oder „teilweise wird vertreten, dass…“. Ebenso wenig sollten Sie formulieren, dass „nach der Rechtsprechung“ oder „nach der h.M.“ etwas so oder so gesehen wird. Das können Sie machen, ist aber nicht zu empfehlen. Tun und formulieren Sie so, als seien es Ihre eigenen Argumente, die Sie sich gerade herleiten. Letztlich ist auch dies eine reine Formulierungsfrage, also das Beweisen entsprechender Sprachkompetenz. Besonders schön und hoch bepunktet wird es, wenn Sie vom Wortlaut her sowie mit systematischen und teleologischen Gründen argumentieren. Wie man es machen könnte, zeigt folgendes Beispiel:Es geht um die Frage, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein Verwaltungsakt ist oder nicht. Dies müssen Sie in der Klausur regelmäßig deshalb erörtern, weil häufig vor Ergehen der Anordnung eine vorherige Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG nicht erfolgt sein wird. Diese hätte aber grundsätzlich erfolgen müssen, wenn es sich bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung um einen Verwaltungsakt handeln sollte. Daher ist zu klären, ob es sich um einen Verwaltungsakt handelt.
„Fraglich ist, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Dafür müsste insbesondere eine Regelung im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG gegeben sein. Dies ist die unmittelbare Herbeiführung einer verbindlichen Rechtsfolge, d.h. die Begründung, Aufhebung, Abänderung oder Feststellung eines Rechts oder einer Pflicht.
Für die Annahme einer solchen Regelungswirkung hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung spricht, dass die Anordnung, ebenso wie der zugrunde liegende Verwaltungsakt, belastende und nachteilige Wirkung für den Adressaten zeitigt, denn dadurch entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung eines gegen den zugrunde liegenden Verwaltungsakt einzulegenden Rechtsbehelfs. Hierin die „Aufhebung“ oder „Abänderung“ eines eigentlich gegebenen Rechts – dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung – zu sehen lässt jedoch unberücksichtigt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach dem Wortlaut von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO einen belastenden Verwaltungsakt voraussetzt, denn hiernach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung „des Verwaltungsakts“ zu begründen. Die Anordnung nimmt auf den Regelungsgehalt „dieses Veraltungsakts“ Bezug und ist von dessen Bestehen abhängig, trifft selbst aber keine Regelung. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung eine sofortige Duldungspflicht bezüglich der Vollstreckung des Verwaltungsakts begründet werde. Wesensmerkmal des Verwaltungsaktes im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG ist es, dass er nicht schlicht irgendeine Regelung, sondern gerade eine der Bestandskraft zugängliche Regelung trifft, also aus Gründen der Rechtssicherheit nach Verstreichen bestimmter Fristen nicht mehr angefochten werden kann. Dementsprechend müsste es einen Rechtsbehelf gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung geben, der den Eintritt ihrer Bestandskraft abwenden bzw. hinauszögern kann, mithin aufschiebende Wirkung zeitigt. Nach § 80 Abs. 1 VwGO ist dies nur der Fall bei Widerspruch und Anfechtungsklage. Im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung besteht hingegen allein die Möglichkeit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Dieser Antrag ist – anders als Widerspruch und Anfechtungsklage, vgl. §§ 70, 74 VwGO – gerade nicht fristgebunden, sodass die Anordnung der sofortigen Vollziehung konsequenterweise nicht in Bestandskraft erwachsen kann. Mithin mangelt es der Anordnung der sofortigen Vollziehung am charakteristischen Merkmal eines Verwaltungsakts“.
III. Abschluss
Üben und zwingen Sie sich beim Schreiben Ihrer Übungsklausur bewusst dazu, den Gutachtenstil konsequent immer und immer wieder anzuwenden. Am Anfang wird Ihnen das vielleicht „merkwürdig“ vorkommen. Mit der Zeit entwickeln Sie jedoch Routine und werden merken, dass Sie allein durch die konsequente Anwendung des Gutachtenstils eine nachvollziehbare und strukturierte Klausur abliefern. Bedenken Sie: Sie schreiben die Klausur nicht für sich selbst, sondern allein für den Korrektor. Kann er Ihren Ausführungen nicht folgen, gibt es keine Punkte.Dr. Patrick Schulz
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