Staatsorganisationsrecht: Kompetenzen von Bund und Ländern beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge

Eine typische Klausurzusatzfrage im Staatsrecht lautet: Inwieweit ist der Bund nach dem sog. Lindauer Abkommen verpflichtet, vor dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge die Zustimmung der einzelnen Bundesländer einzuholen?

 

Was ist das Lindauer Abkommen?

Art. 32 GG regelt die Verbandskompetenz. Das ist die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Bundesländern beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge.

 

Grundsatz: Bundeskompetenz

Nach Art. 32 Abs. 1 GG ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes.

 

Allerdings: Art. 32 Abs. 3 GG!

Soweit die Bundesländer für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen, Art. 32 Abs. 3 GG.

 

Was meint Absatz 3? Strittig!

Aufgrund dieser offenen Formulierung ist umstritten, ob Art. 32 Abs. 3 GG den Bundesländern ein exklusives Vertragsabschlussrecht einräumt, sofern sie die Gesetzgebungszuständigkeit besitzen, oder ob es sich dabei nur um ein konkurrierendes Vertragsabschlussrecht handelt.
Letzteres würde nämlich bedeuten, dass der Bund durch Art. 32 Abs. 1 GG ermächtigt wird, Verträge auch dort abzuschließen, wo die Bundesländer die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit besitzen.

 

Auslegung bleibt umstritten, aber Lösung über sog. Lindauer Abkommen

Der Streit um die Auslegung des Lindauer Abkommens wurde bis heute nicht gelöst. Allerdings haben Bund und Bundesländer einen Kompromiss gefunden: Das Lindauer Abkommen.
In dem sog. Lindauer Abkommen von 1957, welches ausgeschrieben „Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht“ heißt, haben sich Bund und Länder über ein Verfahren geeinigt. Dadurch sollten praktische Lösungen ermöglicht und Kompetenzkonflikte vermieden werden, ohne dass man sich auf eine der Auslegungsvarianten festlegen müsste.


 

Was steht inhaltlich im Lindauer Abkommen?

Das Wesentliche soll kurz zusammengefasst werden: 


Nr. 2 des Lindauer Abkommens:
Die Bundesländer akzeptieren unter bestimmten Voraussetzungen Verträge des Bundes auf bestimmten Gebieten, bei denen es zweifelhaft sein könnte, ob sie unter die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesländer fallen. 

Für Verträge, die nach Auffassung der Bundesländer deren ausschließliche Kompetenzen berühren, aber nicht unter die soeben dargestellte Bundeskompetenz nach Nr. 2 fallen, sieht das Abkommen ein besonderes Verfahren vor, welches in Nr. 3 geregelt ist. 


Nr. 3 des Lindauer Abkommens:
Soll mit einem völkerrechtlichen Vertrag auf einem Gebiet der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesländer eine Verpflichtung des Bundes oder der Bundesländer begründet werden, so soll hierzu „das Einverständnis der Länder herbeigeführt werden. Dieses Einverständnis soll vorliegen, bevor die Verpflichtung völkerrechtlich verbindlich wird.“

Falls die Bundesregierung einen solchen Vertrag dem Bundesrat gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zuleitet, soll sie die Länder spätestens zum gleichen Zeitpunkt um die Erteilung des Einverständnisses zum Vertragsschluss bitten. Die Bundesländer sollen an den Vorbereitungen für den Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages möglichst frühzeitig, jedenfalls rechtzeitig vor der endgültigen Festlegung des Vertragstextes beteiligt werden.


Nr. 4 des Lindauer Abkommens:
Bei Verträgen, die wesentliche Interessen der Länder berühren – unabhängig davon, ob sie eine ausschließliche Zuständigkeit der Bundesländer betreffen oder nicht – sollen die Länder möglichst frühzeitig über den beabsichtigten Abschluss derartiger Verträge unterrichtet werden, damit sie rechtzeitig ihre Wünsche geltend machen können. Auch wurde die Bildung eines ständigen Gremiums aus Vertretern der Länder vereinbart, das als Gesprächspartner für das Auswärtige Amt oder die sonst zuständigen Fachressorts des Bundes im Zeitpunkt der Aushandlung internationaler Verträge zur Verfügung steht.

Quelle: Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, WD 3 - Verfassung und Verwaltung - 3000 - 240/16, vom 31. Oktober 2016. 

 


Wie ist das Lindauer Abkommen rechtlich zu qualifizieren?

Die rechtliche Qualität des Lindauer Abkommens ist nicht abschließend geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat es als eine zwischen den Ländern getroffene vertragliche Vereinbarung verfassungsrechtlicher Art bezeichnet. In einer späteren Entscheidung sprach es dabei von einer „Absprache“, die es aber nicht weitergehend rechtlich einordnete. 


Ihr Team der Akademie Kraatz und der Assessor Akademie

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