Das Anwartschaftsrecht: Einführung
07.02.2025I Sophie Goldenbogen
In unserem heutigen Blogbeitrag wollen wir mit einem Thema aus dem Bereich des Sachenrechts beschäftigen: Das Anwartschaftsrecht. Und wie so oft in Jura, nähert man sich auch hier dem Thema am besten dadurch, dass man sich den zu untersuchenden Begriff selbst. Eine „Anwartschaft“ zu haben bedeutet, dass man etwas zwar noch nicht hat. Aber das, worauf man eine Anwartschaft hat, kann einem eigentlich nicht mehr genommen werden. Woher kennt man den Begriff einer Anwartschaft? Zum Beispiel bei der Rente. Wenn man Rentenbeiträge zahlt, hat man eine Anwartschaft auf die Rente, und es ist ziemlich schwer und auch verfassungsrechtlich abgesichert, dass diese Anwartschaft einem genommen wird. Im Sachenrecht hat man beispielsweise eine Anwartschaft auf das Eigentum. Man hat das Eigentum dann sozusagen reserviert. Man kennt eine Anwartschaft insofern auch aus dem praktischen Leben. Wer für ein Abendessen in einem Restaurant einen Tisch reserviert, der kann ziemlich sicher sein, dass er dann auch einen Sitzplatz erhält, wenn er in das Restaurant kommt. Man hat bei einer Reservierung eines Tisches eine „Anwartschaft auf einen Tischplatz“.
Wir sehen: Wie bei so vielen Definitionen in Jura geht man am besten erst einmal vom Alltagsverständnis der Begriffe aus. Man macht etwa immer wieder die Erfahrung, dass Studierende auch den eigentlich einfachen Unterschied zwischen Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit nicht ganz beherrschen. Dabei sagt einem der Wortlaut im Grunde schon alles. So ist die Rechtsfähigkeit einfach nur die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, während die Geschäftsfähigkeit die Fähigkeit ist, Geschäfte abzuschließen, also Rechtsgeschäfte, zum Beispiel Verträge.
Grundlagen des Anwartschaftsrechts
Kommen wir zurück zum Anwartschaftsrecht. Das Anwartschaftsrecht am Eigentum bedeutet also, dass man sich das Eigentum sozusagen reserviert hat. Und wie kann man das in Deutschland machen? Ganz einfach: Ein Verkäufer verkauft an einen Käufer eine Sache unter Eigentumsvorbehalt. Der Verkäufer weiß nämlich, dass der Käufer nicht sofort den gesamten Kaufpreis zahlen kann. Man vereinbart daher Ratenzahlung. Damit gewährt der Verkäufer dem Käufer in gewisser Weise einen Vertrauensvorschuss, einen Kredit. Denn der Käufer bekommt die Sache ja bereits übergeben und darf sie nutzen. Aber als Sicherheit für diesen „Kredit“ behält sich der Verkäufer eben auf der sachenrechtlichen Ebene sein Eigentum vor. Wie macht er das? Bei der Übereignung der Sache von V an K gemäß § 929 Satz 1 BGB gibt der Verkäufer eine dingliche Willenserklärung mit dem folgenden Inhalt ab: „Lieber Käufer, willst du Eigentümer der Sache werden?“ Daraufhin sagt der Käufer konkludent durch die Annahme der Sache: „Ja, ich will.“ Bei einem Eigentumsvorbehalt gibt der Verkäufer auch diese Erklärung ab, stellt aber die Wirksamkeit seiner Erklärung unter die aufschiebende Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung, also der letzten Ratenzahlung. Das ist gemäß § 158 Abs. 1 BGB möglich. Die Wirksamkeit der Erklärung ist also aufgeschoben, und zwar so lange, bis die gewählte Bedingung eingetreten ist: Zahlung der letzten Rate. Erst in dem Moment entfaltet die Willenserklärung („Ich biete dir hiermit Eigentum an“) volle Wirksamkeit. Vorher haben wir nur eine Schwebezeit, in der es noch nicht sicher ist, ob die letzte Rate gezahlt wird oder nicht.
Wir sehen also, es ist wie mit der Tischreservierung: Nachdem man einen Tisch reserviert hat, hängt es im Grunde nur noch vom Gast ab, ob er kommt oder nicht. Und im Sachenrecht ist es auch so: Ob der Käufer das Eigentum, auf das er eine Anwartschaft hat, erwirbt oder nicht, hängt nur noch davon ab, ob er die letzte Rate zahlt oder nicht. Und in dieser Phase hat der Käufer also ein Anwartschaftsrecht am Eigentum. Er hat sich sozusagen das Eigentum an der Sache reserviert.
Etwas förmlich ausgedrückt bedeutet das:

Die unsichere Schwebezeit?
Ähnlich wie bei dem Tisch, den man im Restaurant reserviert hat, kann natürlich trotzdem auch beim Anwartschaftsrecht noch etwas dazwischenkommen. In einem Restaurant kann etwa versehentlich ein Tisch doppelt reserviert worden sein und so weiter. Und auch im Sachenrecht kann nach der Einräumung eines Anwartschaftsrechts noch etwas schiefgehen. Eigentlich sagt ja § 161 Abs. 1 BGB, dass, wenn etwa ein Verkäufer unter einer aufschiebenden Bedingung verfügt hat, der Erwerber jetzt sicher ist. Denn in der Vorschrift steht, dass alle weiteren Verfügungen, die danach noch getroffen werden, dem Anwartschaftsrechtsinhaber gegenüber im Grunde unwirksam sind, wenn er denn die letzte Rate zahlt. Noch mal in einfachen Worten: Einem Anwartschaftsrechtsinhaber kann grundsätzlich nichts passieren, wenn er tatsächlich ein Anwartschaftsrecht hat und er irgendwann die letzte Rate zahlt. Denn dann wird aus dem Anwartschaftsrecht das Eigentum. Die aufschiebende Bedingung ist eingetreten und die vorher aufschiebend bedingte Übereignung ist jetzt wirksam.Nun gibt es aber den § 161 Abs. 3 BGB. Dort steht sinngemäß, dass doch noch mit dem Anwartschaftsrecht etwas schiefgehen kann. Diese Vorschrift verweist darauf, dass ein Verkäufer, der unter aufschiebender Bedingung eine Sache bereits an einen ersten Käufer übereignet hat, auf sachenrechtlicher Ebene nicht gehindert ist, die Sache noch mal an eine andere Person zu verkaufen und auch dinglich zu übereignen. Denn in der Schwebezeit i.S.d. § 161 Abs. 1 BGB ist der Verkäufer ja immer noch der Eigentümer der Sache. An dieser Stelle ist es aber ganz wichtig, sich vor Augen zu halten, dass in aller Regel der (erste) Käufer bereits den Besitz an der Sache erhalten hat.
Warum ist das so? Einen Eigentumsvorbehalt zu vereinbaren, macht in der Praxis häufig bei folgender Konstellation Sinn: Der Käufer hat ein Interesse daran, die Sache bereits zu benutzen, obwohl er den Kaufpreis nicht sofort bezahlen kann. Der Verkäufer hat eigentlich kein Interesse daran, seine Sache aus der Hand zu geben, bevor er den Kaufpreis erhalten hat. In diesem Interessenkonflikt ist der Eigentumsvorbehalt ein gutes Mittel zum Ausgleich, weil der Verkäufer in der Zwischenzeit sein Eigentum nicht verliert.
Für die Folgeprobleme in der Schwebezeit („Kann mir trotz der Reservierung auf das Eigentum noch etwas passieren?“) sind die Besitzverhältnisse oft ausschlaggebend.
Zurück zum Beispiel:
Der Verkäufer und Eigentümer, der nicht unmittelbarer Besitzer der Sache ist, kann seine Sache nur gemäß § 931 BGB an eine dritte Person (Zweitkäufer) übereignen. Er muss hierzu seinen zukünftigen Herausgabeanspruch gegen den Erstkäufer, seinen potenziellen Anspruch auf Rückgabe der Sache, falls der Erstkäufer in Zahlungsverzug gerät, an den Zweitkäufer abtreten und sich mit ihm darüber einig sein, dass dieser (der Zweitkäufer) Eigentümer werden soll. Diese Übereignung ist eine sogenannte Zwischenverfügung im Sinne des § 161 BGB. Und noch mal: Während der § 161 Abs. 1 BGB eigentlich sagt, dass so eine Zwischenverfügung den Anwartschaftsrechtsinhaber nicht zu jucken braucht, macht § 161 Abs. 3 BGB hiervon eine Ausnahme, wenn die Voraussetzungen eines gutgläubigen, lastenfreien Erwerbs des Eigentums zu Gunsten des Zweitkäufers vorliegen. Damit sind wir über § 161 Abs. 3 BGB im Anwendungsbereich des § 936 BGB. Denn der § 936 ermöglicht es, Eigentum zu erwerben, ohne dass eine etwaige Belastung an der Sache (hier: das Anwartschaftsrecht des Erstkäufers) fortbesteht. Der Zweitkäufer will ja Eigentum an der Sache erwerben, und zwar am liebsten ohne dass das lästige Anwartschaftsrecht für den Erstkäufer noch besteht. Aber hier macht der § 936 Abs. 3 dem Zweitkäufer einen Strich durch die Rechnung. Denn es ist ja ein Dritter, nämlich der Erstkäufer, der im Besitz der Sache ist. Genau derjenige, der im Besitz der Sache bleibt, verliert sein Recht nicht. Das steht so in § 936 Abs. 3 BGB.
Wir sehen: Das Anwartschaftsrecht des Erstkäufers, der im Besitz der Sache ist, bleibt also bestehen. Wenn jetzt der Erstkäufer die letzte Rate zahlt, greift die Vorschrift des § 161 Abs. 1 BGB: Jede weitere Verfügung, die nach der bedingten Verfügung getroffen wurde (das ist die Übereignung an den Zweitkäufer), wird mit dem Bedingungseintritt unwirksam. Der zweite Erwerber wird also aus seiner Eigentümerposition wieder verdrängt und das Anwartschaftsrecht beim ersten Erwerber erstarkt zum Eigentum. Und das war die Lektion des Anwartschaftsrechts: Wer eine Anwartschaft am Eigentum hat, dem kann grundsätzlich nichts passieren. Es hängt nur davon ab, ob er die letzte Rate zahlt oder nicht.
Ausblick: Die Vormerkung
So wie es das Anwartschaftsrecht im beweglichen Sachenrecht gibt, gibt es die Vormerkung im Immobiliarsachenrecht. Denn die Vormerkung funktioniert genauso wie ein Anwartschaftsrecht. Wer im Hinblick auf ein Recht an einem Grundstück eine Vormerkung hat, der ist ganz ähnlich geschützt wie, wenn er eine Anwartschaft auf das Eigentum an einem Gegenstand hat. Am besten liest man hierzu einfach mal § 161 Abs. 1 BGB und vergleicht den Wortlaut mit § 883 Abs. 2 BGB. Dieser Zusammenhang wird von vielen Studierenden leider erst sehr spät erkannt. Die Probleme, die sich beim Anwartschaftsrecht stellen, sind ganz ähnlich wie bei der Vormerkung. Auf die Vormerkung gehen wir noch einmal genauer in einem der folgenden Beiträge ein.Fazit
Viele Studierende fühlen sich im Sachenrecht nicht besonders sicher. Fakt ist aber, das Sachenrecht ist kein Randgebiet, sondern ist vielmehr in fast jeder Examenskampagne relevant. Ein solides Grundlagenwissen ist daher wichtig. Wie so oft hilft es also beim Verständnis, verknüpft und praxisnah zu lernen. Für weitere hilfreiche Beiträge rund um das Thema Sachenrecht abonniert gerne unseren Newsletter.Solltet Ihr Euch im Sachenrecht noch nicht examensreif fühlen, oder während des Studiums merken, dass etwas Unterstützung nicht schaden könnte, dann vereinbart gerne einen kostenlosen Probetermin. Unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie stehen Euch vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite.
Sophie Goldenbogen
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