Das subjektive Rechtfertigungselement: Alle Streitstände und Probleme

08.07.2024 | von Henrik Heinze


 

Überblick über das subjektive Rechtfertigungselement

Das subjektive Rechtfertigungselement entspricht der inneren Einstellung des Täters zu dem betreffenden Rechtfertigungsgrund.
Es ist jedoch seit jeher umstritten, ob die Rechtfertigungsgründe überhaupt eines subjektiven Elementes bedürfen oder ob das bloße Vorliegen einer objektiven Rechtfertigungslage schon die Rechtswidrigkeit einer Tat entfallen lässt.
Die ganz h.M. - so viel kann man an dieser Stelle vorwegnehmen - bejaht diese Frage, sodass sich im Anschluss daran der zweite Meinungsstreit auftut: Welche Folgen hat das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements für die Strafbarkeit des Täters?
Im Prinzip beziehen sich diese beiden Meinungsstreite auf alle Rechtfertigungsgründe, obwohl sie (in der Literatur) hauptsächlich auf die Notwehr gem. § 32 StGB oder den Notstand gem. § 34 StGB bezogen werden. Daher stützen sich einige Argumente auf die Formulierung des § 32 StGB. Es ist jedoch möglich (und in der Klausur oder Hausarbeit auch notwendig), den Meinungsstreit auf die übrigen Rechtfertigungsgründe zu übertragen.

Notwendigkeit und Anforderungen an das subjektive Rechtfertigungselement

Eine Ansicht: Es bedarf keines subjektiven Rechtfertigungselements

Nach einer Ansicht bedürfen Rechtfertigungsgründe keines subjektiven Rechtfertigungselements. So wird die Rechtsordnung einzig objektiv durch die Tat und nicht subjektiv durch die Gesinnung gestört. In diesem Sinne kommt eine Rechtfertigung auch dann in Betracht, wenn der Täter in Unkenntnis der objektiven Rechtfertigungslage handelt (vgl. Spendel, DRiZ 1978, 327, 331 ff.).

Andere Ansicht: Kenntnistheorie

Nach einer anderen Ansicht bedürfen Rechtfertigungsgründe bei Vorsatzdelikten sowohl eines objektiven Rechtsfertigungselements, welches das Erfolgsunrecht (z.B. die „Tötung“ bei einem Tötungsdelikt) einer Tat beseitigt, als auch eines subjektiven Rechtsfertigungselements, welches das Handlungsunrecht (z.B. die „vorsätzliche“ Tötung bei einem Tötungsdelikt) einer Tat beseitigt. Hierbei reicht es für die Verwirklichung des subjektiven Rechtfertigungselements bereits aus, wenn der Täter in Kenntnis der Rechtfertigungslage handelt (Rönnau, JuS 2009, 594, 596). Die bloße Kenntnis des jeweiligen Rechtfertigungsgrundes reicht mithin aus.

Herrschende Meinung & BGH: Willenstheorie

Nach einer weiteren Ansicht bedürfen Rechtfertigungsgründe bei Vorsatzdelikten sowohl eines objektiven als auch eines subjektiven Rechtsfertigungselements. Hierbei setzt die Verwirklichung des subjektiven Rechtfertigungselements voraus, dass man über die Kenntnis der Rechtfertigungslage hinaus mit einem Rechtfertigungswillen zur Beseitigung der die Rechtfertigungslage begründenden Umstände handelt (vgl. BGHSt 2, 111, 114, Fischer, § 32 StGB Rn. 25). Bei der Notwehr spricht man in diesem Zusammenhang terminologisch von einem Verteidigungswillen oder einer Verteidigungsabsicht.
Im Rahmen eines Motivbündels schließen andere Motive, wie Hass oder Wut, das subjektive Rechtfertigungselement jedoch nach dieser Ansicht nicht aus, solange letzteres nicht völlig in den Hintergrund gedrängt wird (BGH, NStZ 2000, 365). Auf die besonders klausurrelevante Notwehr bezogen, muss der Verteidigungswille also, auch wenn andere Motive daneben vorliegen, dominierend sein.
Hinweis: Auch wenn die Anforderungen der zweiten und der dritten Ansicht an das subjektive Rechtsfertigungselement variieren, sind sich beide Ansichten dahingehend einig, dass eine Rechtfertigung ausscheidet, wenn der Täter bei einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung in Unkenntnis der objektiven Rechtfertigungslage handelt. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Täter gar nicht wusste, dass sein Opfer unmittelbar davorstand, ihn zu erstechen, als er das Opfer erschoss. 

Stellungnahme zum Meinungsstreit

Der dritten Ansicht ist zu folgen. Gegen die erste Ansicht spricht, dass sich das Gesamtunrecht einer Tat aus dem Handlungsunrecht und dem Erfolgsunrecht zusammensetzt. In diesem Sinne erfordert eine gänzliche Rechtfertigung des betreffenden Täters, dass objektive Rechtfertigungselemente das Erfolgsunrecht beseitigen und subjektive Rechtfertigungselemente das Handlungsunrecht. Bei dem Fehlen subjektiver Rechtfertigungselemente würde also das sanktionswürdige Handlungsunrecht der Tat bestehen bleiben. Gegen die zweite Ansicht spricht hingegen, dass es nicht sachgerecht begründbar ist, in einschlägigen das Verhalten eines mit rechtsfeindlichem Willen Handelnden als im Einklang mit der Rechtsordnung stehend anzusehen. Darüber hinaus spricht gegen die zweite und für die dritte Ansicht insbesondere bei der rechtfertigenden Notwehr und dem rechtfertigenden Notstand der Wortlaut der §§ 32, 34 StGB („um … zu“).
Hinweis: Wenn Ihr Probleme habt, einen Meinungsstreit in der Klausur gut darzustellen, lest Euch gerne unseren Artikel dazu durch.

Folge des Fehlens des subjektiven Rechtfertigungselements

Nimmt man zutreffend an, dass die Rechtfertigungsgründe eines subjektiven Rechtfertigungselements bedürfen, ist nunmehr erneut allgemein (also innerhalb der gesamten Rechtsfertigungslehre und nicht nur im Hinblick auf das Notwehrrecht: Vgl. Rönnau, JuS 2009, 594, 596) fraglich, wie der Täter zu bestrafen ist, wenn er objektiv gerechtfertigt, aber ohne subjektives Rechtfertigungselement handelt.

Eine Ansicht: Versuchsstrafbarkeit

Nach einer Ansicht finden vorliegend trotz des Eintritts des tatbestandlichen Erfolgs die Versuchsregelungen (zumindest) analog Anwendung, sofern eine Versuchsstrafbarkeit gesetzlich angeordnet ist. So wird das objektiv vorliegende Erfolgsunrecht durch die erfüllten objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen kompensiert. Übrig bleibt nur das isolierte Handlungsunrecht des nach außen getragenen rechtsfeindlichen Willens. Mithin handelt es sich um eine Konstellation vergleichbar dem unter Strafe stehenden Versuch (vgl. Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 8 Rn. 415, 410; Rönnau, JuS 2009, 594, 596).

BGH: Vollendungsstrafbarkeit

Nach einer anderen Auffassung kommt vorliegend mangels eines einschlägigen Rechtfertigungsgrunds eine Vollendungsstrafbarkeit in Betracht (BGHSt 2, 111, 114). Der Täter handelt folglich rechtswidrig.

Stellungnahme zum Streitstand

Beide Ansichten sind gut vertretbar. Für die zweite Ansicht spricht jedoch im Zweifel, dass der Tatbestand objektiv und subjektiv tatsächlich erfüllt ist und letztendlich mangels eines subjektiven Rechtfertigungselements kein Rechtfertigungsgrund einschlägig ist.

Klausurtaktischer Hinweis

Klausurtaktisch ist zu beachten, dass die vorgenannten Streitstände im Hinblick das Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements i.R.d. Rechtfertigungsgründe nur dann anzusprechen sind, wenn der Klausursachverhalt diesbzgl. problematisch ist. Wenn der Täter unstreitig in Kenntnis der Rechtfertigungslage zur Abwehr der die Rechtfertigungslage begründenden Umstände handelt, kann das Vorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements schlicht angenommen werden.

Fazit: Das subjektive Rechtfertigungselement ist nicht nur bei Notwehr nach § 32 StGB relevant

Beide Streitstände zum subjektiven Rechtfertigungselement sind absolute Klassiker in juristischen Prüfungen. Daher werden die Streitstände auch häufig von den Bearbeitern zumindest im Ansatz erkannt - jedenfalls bei der Notwehr gemäß § 32 StGB. Bei anderen Rechtfertigungsgründen außerhalb der Notwehr werden beide Streitstände von der Mehrheit der Studenten leider regelmäßig übersehen, so dass diese Klausuren dementsprechend schlecht ausfallen. Wenn in der Klausur steht, dass der Täter eine Rechtfertigungslage nur kannte und eventuelle subjektive Motive nicht genannt werden, sollte man daher hellhörig werden.
Falls Ihr vermeiden möchtet, dass Ihr in der Klausur einen wichtigen Streitstand überseht, stehen Euch die Kraatz Group, die Akademie Kraatz und die Assessor Akademie vom 1. Semester bis 2. Examen stets zur Seite. Unsere Dozenten achten im Rahmen des effektiven Jura Individualunterrichts von Anfang an darauf, dass Euer Problembewusstsein am Prüfungsfall geschult wird.

Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
 

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