Das Versäumnisurteil (§§ 330 ff. ZPO)
06.03.2024 I Hendrik Heinze



Nicht nur in der Praxis ist es ein häufiges Problem, dass in Zivilprozessen eine Prozesspartei nicht zur Verhandlung erscheint. Gerade auch in Assessor Klausuren stellt sich die Frage, wie mit dem betreffenden Ausbleiben der Partei umzugehen ist. 

Dispositionsmaxime (ZPO & VwGO) vs. Offizialprinzip (StPO)

Nach der Dispositionsmaxime des Zivil- und des Verwaltungsprozesses steht es grds. allen Prozessparteien bzw. Verfahrensbeteiligten zu, sowohl über den Klagegegenstand als auch den Beginn und das Ende des jeweiligen Prozesses zu bestimmen. Die Dispositionsmaxime des Zivilprozesses findet v.a. in der Klageerhebung gem. § 253 I ZPO und der Klagerücknahme gem. § 269 ZPO Ausdruck. Entsprechendes gilt für die Klageerhebung gem. § 81 VwGO und die Klagerücknahme gem. § 92 VwGO im Verwaltungsprozess.
Damit unterscheidet sich die Dispositionsmaxime des Zivil- und des Verwaltungsprozesses erheblich von dem Offizialprinzip des Strafprozesses gem. § 152 I StPO. Nach letzterem ist aufgrund des Anklagemonopols des Staats grds. nur die Staatsanwaltschaft dazu berechtigt, eine öffentliche Klage zu erheben. Das öffentliche Strafverfolgungs- und Wahrheitsfindungsinteresse wird mithin i.d.R. unabhängig von dem Willen des von der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung Verletzten von Amts wegen durchgesetzt. Von dem Offizialprinzip werden jedoch bei den folgenden 3 Deliktsarten Ausnahmen gemacht: Privatklagedelikte (§ 374 I StPO, Antragsdelikte und Ermächtigungsdelikte). Sieh Dir dazu gerne unseren Beitrag zu den Prozessmaximen der StPO an.

Grenzen der Dispositionsmaxime im Zivilprozess

Wie bereits geschildert, gilt im Zivilprozess der Grundsatz, dass die Prozessparteien über den Beginn, den Umfang und das Ende des Verfahrens bestimmen können. Bereits aus dem Wortsinn „grundsätzlich“ ergibt sich jedoch, dass diese Regel nicht ausnahmslos gilt. So wird von den Prozessparteien ein Mindestmaß an prozessualer Mitwirkung verlangt, um eine bestmögliche Prozessökonomie zu gewährleisten. Wird gegen diese Mitwirkungspflicht verstoßen, kommt ein Versäumnisurteil in Betracht. 

Arten von Versäumnisurteilen

Echtes Versäumnisurteil (§§ 330 ff. ZPO)

Bei einem echten Versäumnisurteil gem. §§ 330 ff. ZPO erscheint eine der beiden Prozessparteien nicht zur mündlichen Verhandlung (ein Nichtverhandeln der erschienenen Prozesspartei steht gem. § 333 ZPO einem Nichterscheinen gleich) oder der Beklagte reagiert gem. § 331 III ZPO im schriftlichen Vorverfahren gem. § 276 ZPO nicht auf die Aufforderung zur Verteidigungsanzeige gem. § 276 I 1, II ZPO.

Hinweis: Wenn im schriftlichen Vorverfahren gem. § 276 ZPO die Klageerwiderungsfrist gem. § 276 I 2 ZPO versäumt wird, ergeht kein Versäumnisurteil gem. §§ 330 ff. ZPO, sondern ein „normales“ Endurteil. Die Fristversäumnis kann sich insofern auf dieses Urteil auswirken, als dass es unter den Voraussetzungen des § 296 I ZPO zu einer Präklusion der verspäteten Angriffs- und Verteidigungsmittel kommt.

Klausurtipp: Wenn sich die Säumnis nur auf einen Teil des Streitgegenstands bezieht, ist es in den meisten Bundesländern üblich, das betreffende Urteil im Rubrum als „Teilversäumnis- und Schlussurteil“ zu bezeichnen. Die Bezeichnung „Teilversäumnis- und Endurteil“ ist jedoch ebenfalls vertretbar.

Unechtes Versäumnisurteil

Ein unechtes Versäumnisurteil ergeht bei der Säumnis des Beklagten nur aufgrund der Unzulässigkeit oder Unschlüssigkeit der Klage, aber gerade nicht wegen der Säumnis selbst (daher: „unechtes“ Versäumnisurteil). Ein echtes Versäumnisurteil gegen den Beklagten gem. § 331 ZPO kommt vorliegend nicht in Betracht, da sowohl die Zulässigkeit als auch die Schlüssigkeit der Klage entscheidende Voraussetzungen eines solchen Urteils sind.

Hinweis: Eine Klage ist „schlüssig“, wenn ihr unter der Annahme, dass alle von dem Kläger vorgebrachten Tatsachen vorliegen (die Behauptungen des Klägers werden also als wahr unterstellt), stattzugeben wäre. Der korrespondierende Begriff für den Beklagtenvortrag ist die „Erheblichkeit“. Erheblich ist ein Beklagtenvortrag dann, wenn er unter Annahme, dass alle von dem Beklagten vorgebrachten Tatsachen vorliegen (die Behauptungen des Beklagten werden also als wahr unterstellt), geeignet wäre, den schlüssig vorgetragenen Klageanspruch ganz oder teilweise zu Fall zu bringen.
Ebenfalls nicht wegen der Säumnis selbst, sondern aufgrund der Unzulässigkeit der Klage ergeht ein unechtes Versäumnisurteil bei der Säumnis des Klägers (die Unschlüssigkeit einer zulässigen Klage führt in diesem Fall hingegen nicht zu dem Erlass eines unechten Versäumnisurteils zulasten des Klägers, sondern kann Gegenstand eines betreffenden echten Versäumnisurteils sein, vgl. Thomas / Putzo – Reichold, § 330 ZPO Rn. 3). Ein echtes Versäumnisurteil gegen den Kläger gem. § 330 ZPO kommt bei einer unzulässigen Klage nicht in Betracht, da die Zulässigkeit der Klage eine entscheidende Voraussetzung eines solchen Urteils ist.
Das unechte Versäumnisurteil kann nur zu Lasten des Klägers ergehen, da der Beklagte weder mit der Unzulässigkeit noch mit der Unschlüssigkeit der Klage etwas zu tun hat.
Das unechte Versäumnisurteil ist ein „normales“ Endurteil und wird dementsprechend zumindest in den Bundesländern Berlin und Brandenburg im Rubrum nicht ausdrücklich angegeben.

Bedeutung des Versäumnisurteils

Das Versäumnisurteil ist eines der wichtigsten zivilprozessualen Themen im Assessorexamen. Dies gilt sowohl für Klausuren aus der Sicht des Richters als auch für Rechtsanwaltsklausuren.
Wer die hiermit verbundenen prozessualen Problematiken und Aufbaubesonderheiten zivilgerichtlicher Entscheidungen nicht beherrscht, droht in einschlägigen Prüfungen nicht einmal ein „ausreichend“ (4 bis 6 Punkte) zu erreichen.
Unsere qualifizierten Dozenten der Assessor Akademie stehen Euch gerne zur Seite, wenn Ihr Euch im Zivilrecht verbessern möchtet und insbesondere im Hinblick auf das Versäumnisurteil Fragen habt. Ruft uns gerne für einen kostenlosen Probetermin an.

Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
 


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