Die Notwehrprovokation: Der Klassiker, einfach erklärt!
14.06.2024 | von Hendrik Heinze

Die Notwehrprovokation (Absichtsprovokation und sonstwie vorwerfbare Notwehrlage) ist ein wahrer (Examens-)Klassiker! Deswegen ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihr Euch mit den hiermit verbundenen Problemen auf Eurem Weg durch das Jura Studium hin zum Staatsexamen in einer Prüfung auseinandersetzen müsst.


 

Allgemeines zur Notwehrprovokation

Im Hinblick auf die Notwehrprovokation sind die folgenden 3 Fälle zu unterscheiden:

Absichtsprovokation

Bei der Absichtsprovokation wird der Angriff bewusst von dem provozierenden Angegriffenen verursacht, um den provozierten Angreifer unter Ausnutzung des Notwehrrechts verletzen zu können.

Meinungsstreit zur Behandlung der Absichtsprovokation

Fraglich ist, wie die Absichtsprovokation rechtlich zu behandeln ist.
Eine Ansicht
Nach einer Ansicht besteht unter Berücksichtigung des Rechtsbewährungsprinzips ein volles bzw. zumindest ein eingeschränktes Notwehrrecht des provozierenden Angegriffenen i.S.d. § 32 StGB, um den sich im Unrecht befindlichen provozierten Angreifer nicht unzulässig zu privilegieren.
Im Falle des eingeschränkten Notwehrrechts muss der Angegriffene i.d.R. ausweichen. Ist ein bloßes Ausweichen nicht möglich bzw. reicht es zum Schutz des angegriffenen Rechtsguts nicht aus, ist der Angegriffene zur Schutzwehr berechtigt. Reicht auch die Schutzwehr nicht aus, ist der Angegriffene zur Trutzwehr berechtigt (für ein vollumfängliches Notwehrrecht: Matt, NStZ 1993, 271; für ein eingeschränktes Notwehrrecht: Schönke / Schröder – Perron / Eisele, § 33 StGB Rn. 55 ff.).
Andere Ansicht (BGH)
Nach einer anderen Ansicht besteht kein Notwehrrecht des provozierenden Angegriffenen.
So handelt der provozierende Angegriffene nur aufgrund eines vorgetäuschten Verteidigungswillens und daher ohne das nach der zutreffenden Ansicht der Rspr. für eine Rechtfertigung erforderliche subjektive Rechtfertigungselement. Dies gilt selbst dann, wenn der provozierte Angreifer letztendlich deutlich heftiger reagiert als von dem provozierenden Angegriffenen angenommen (BGHSt 48, 207).

Stellungnahme

Der zweiten Ansicht ist zu folgen.
Für sie spricht, dass der gesamte Vorgang von dem provozierenden Angegriffenen rechtsmissbräuchlich intendiert wurde, so dass er sich im Grunde auf die Seite des Unrechts stellt. In diesem Sinne ist es sachgerecht, ihm lediglich ein Ausweichrecht zu belassen.

Sonstwie verschuldete Notwehrlage (unbeabsichtigte Provokation)

Bei einer sonstwie verschuldeten Notwehrlage, bei welcher der provozierende Angegriffene nicht absichtlich, aber sonst vorwerfbar eine Notwehrsituation herbeigeführt hat, kommen Einschränkungen seines Notwehrrechts in Betracht. Im Falle eines eingeschränkten Notwehrrechts muss er einem Angriff des provozierten Angreifers also grds. ausweichen. Ist ein bloßes Ausweichen nicht möglich bzw. reicht es zum Schutz des angegriffenen Rechtsguts nicht aus, ist der Angegriffene zur Schutzwehr berechtigt. Reicht auch die Schutzwehr nicht aus, ist der Angegriffene zur Trutzwehr berechtigt.

Meinungsstreit

Fraglich ist jedoch, wann genau eine sonstwie verschuldete Notwehrlage angenommen werden kann, deren Herbeiführung als vorwerfbar zu bewerten ist und damit eine Einschränkung des Notwehrrechts gebieten kann.
Eine Meinung
Nach einer Meinung liegt eine sonstwie verschuldete Notwehrlage nur bei einem rechtswidrigen Vorverhalten des provozierenden Angegriffenen vor.
So ist eine Einschränkung seines Notwehrrechts unter Berücksichtigung des Rechtsbewährungsprinzips erst dann geboten, wenn der provozierende Angegriffene den Boden des Rechts verlässt (Schönke / Schröder – Perron / Eisele, § 32 StGB Rn. 59).
Andere Meinung (BGH)
Nach einer anderen Meinung liegt eine sonstwie verschuldete Notwehrlage bereits bei einem sozialethisch missbilligten Verhalten des provozierenden Angegriffenen vor (BGHSt 42, 97 ff.).
Ein sozialethisch missbilligtes Verhalten kann z.B. bei Äußerungen angenommen werden, die nur knapp unter der Strafbarkeitsschwelle der Beleidigungsdelikte gem. §§ 185 ff. StGB liegen. So nahm beispielsweise der Bundesgerichtshof ein das Notwehrrecht einschränkendes sozialethisch missbilligtes Verhalten des Angegriffenen in einem Fall an, bei dem das Verhalten seinem Gewicht nach mit einer „schweren Beleidigung“ vergleichbar war (vgl. BGHSt 42, 97 ff.).

Streitentscheid

In der Klausur solltest Ihr der zweiten Ansicht folgen.
Für sie spricht, dass es für die Nachvollziehbarkeit des Angriffs des provozierten Angreifers und eine evtl. Einschränkung der gegen diesen Angriff gerichteten Verteidigungshandlung des provozierenden Angegriffenen nicht auf die Rechtswidrigkeit des provozierenden Vorverhaltens ankommt, sondern auf die Schwere der Provokation in dem jeweiligen Einzelfall.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass Einschränkungen des Notwehrrechts des Angegriffenen bei einer sonstwie verschuldeten Notwehrlage stets nur dann zulässig sind, wenn zwischen seinem Vorverhalten und dem daraus resultierenden Angriff des Provozierten sowohl ein objektiver Provokationszusammenhang als auch ein subjektiver Provokationszusammenhang besteht.
Ein objektiver Provokationszusammenhang zwischen der Provokation und dem daraus resultierenden Angriff setzt neben einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang voraus, dass der Angriff eine adäquate sowie voraussehbare Folge der Provokationshandlung darstellt.
Ein betreffender subjektiver Provokationszusammenhang liegt hingegen vor, wenn das provozierende Vorverhalten die Rechtssphäre des Angreifers bzw. einer ihm nahestehenden Person berührt, so dass er sich individuell provoziert fühlen darf (vgl. BGH, Urteil vom 02.072015 – 4 StR 509/14; BGH, NStZ 2009, 626; BGHSt 42, 97 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 538 ff.).

Abwehrprovokation („Hochrüsten“)

Eine Abwehrprovokation liegt vor, wenn sich jemand in eine erwartete Notwehrsituation begibt und dabei bewusst übertrieben „aufrüstet“, um den betreffenden Gegenstand als einzig zur Verfügung stehendes erforderlich Mittel zur Verteidigung einzusetzen.
So etwa, wenn sich der später Notwehrübende bewusst mit einer Schusswaffe ausrüstet anstatt unbewaffnet oder nur mit einem Messer ausgestattet den Ort der potentiellen Notwehrsituation aufzusuchen.
Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob ein derartiges Verhalten das Notwehrrecht auf der Gebotenheitsebene einschränken muss.
Eine Mindermeinung will auch in diesen Fällen das Notwehrrecht in dem Sinne einschränken, als dass nach Möglichkeit vor Anwendung von Trutzwehr zunächst auf das Mittel der Flucht bzw., wenn dies nicht möglich oder zum Schutz des angegriffenen Rechtsguts nicht ausreichend sein sollte, der bloßen Schutzwehr zurückzugreifen ist (Schönke / Schröder – Perron / Eisele, § 32 StGB Rn. 61b).
Dem hält die ganz h.M. jedoch entgegen, dass ein bloßes Hochrüsten des Täters nicht mit einer vorwerfbaren Notwehrprovokation vergleichbar ist, da die Notwehrlage als solche nicht vorwerfbar herbeigeführt wird. Da das Recht dem Unrecht bei der Notwehr nicht zu weichen braucht, ist es generell nicht zu missbilligen, wenn der in Notwehr Handelnde sich mit einem effektiven Verteidigungsmittel verteidigt (Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 537).

Fazit zur Notwehrprovokation

Wie Ihr seht, hat es die korrekte rechtliche Erörterung der Notwehrprovokation durchaus in sich. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass in diesem Zusammenhang häufig Fehler gemacht werden. Dies liegt aber nicht nur an der Schwierigkeit der Thematik an sich, sondern, wie so oft im Strafrecht, häufig auch daran, dass der betreffende Sachverhalt nicht genau genug gelesen wird. Nicht wenige Prüfungskandidaten übersehen das Problem schlichtweg. Auch wird mitunter nicht präzise genug gearbeitet, womit auf unnötige Weise Punkte verschenkt werden.
Falls Ihr noch mehr zur Notwehr lernen wollt, lest Euch gerne unseren Artikel zu den wichtigsten Problemfeldern der Notwehrlage durch.
Wenn Ihr mit den Strafrechtsprüfungen Probleme habt, dann steht Ihr damit nicht alleine da, denn die Noten im Strafrecht fallen generell nicht besonders gut aus.
Unsere qualifizierten und erfahrenden Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz (1. Semester bis 1. Staatsexamen) und der Assessor Akademie (Referendariat und 2. Examen) stehen Euch gerne zur Seite, wenn Ihr Euch im Strafrecht verbessern wollt. Meldet Euch gerne bei uns für einen kostenlosen Probetermin.
 
Hendrik Heinze
Geschäftsführer der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR
 


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