Vorsatz ist das Wissen und Wollen bzgl. der Tatbestandsverwirklichung zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung gem. § 8 StGB (Simultanitätsprinzip / Koinzidenzprinzip i.S.d. § 8 StGB i.V.m. § 16 I StGB).

Neben den 3 Grundformen des Vorsatzes in der Gestalt der Absicht (dolus directus 1. Grades), des direkten Vorsatzes (dolus directus 2. Grades) und des Eventualvorsatzes (dolus eventualis) sind darüber hinaus 5 Sonderfälle zu unterscheiden. Zu diesen Sonderfällen zählen der dolus alternativus, der dolus cumulativus, der dolus antecedens, der dolus subsequens und der dolus generalis.


 

Dolus alternativus

Bei dem dolus alternativus weiß der Täter nicht mit Sicherheit, welchen Tatbestand er bei mehreren prinzipiell möglichen, sich aber gegenseitig ausschließenden Tatbeständen verwirklichen wird.

Fraglich ist, wie der dolus alternativus rechtlich zu behandeln ist.

Nach einer Ansicht handelt der Täter nur bzgl. des schwersten Tatbestands vorsätzlich (Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 27 b).

Nach einer anderen Ansicht handelt der Täter nur bzgl. des verwirklichten Tatbestands vorsätzlich (Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch – Zaczyk, § 22 StGB Rn. 20).

Nach einer weiteren Ansicht handelt der Täter bzgl. aller vorgestellten Tatbestände vorsätzlich (BGH, Urteil vom 14.01.2021 – 4 StR 95/20; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 14 Rn. 52).

Der dritten Ansicht ist zu folgen. Gegen die erste Ansicht spricht, dass sie das Vollendungsunrecht unter Umständen überhaupt nicht berücksichtigt. Außerdem bietet sie keinen Lösungsansatz, wenn mehrere gleich schwere Tatbestände vorliegen.

Gegen die zweite Ansicht spricht, dass bei der Verwirklichung eines minder schweren Tatbestands sachwidriger Weise ein versuchter schwererer Tatbestand rechtlich nicht berücksichtigt werden würde. Darüber hinaus bietet sie keinen Lösungsansatz, wenn letztlich überhaupt keine Tatbestandsvollendung eintritt.

Für die dritte Ansicht spricht hingegen, dass sich der Vorsatz des Täters vorliegend auf mehrere Rechtsgutsverletzungen bezieht. In diesem Sinne umfasst die dritte Ansicht den Unrechtsgehalt des Täterverhaltens am sachgerechtesten.

Um eine Gleichstellung mit dem dolus cumulativus zu vermeiden, bei dem der Täter mit einer Handlung zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er mehrere Tatbestände verwirklicht, kann bei dem dolus alternativus der Wille, nur einen Tatbestand verwirklichen zu wollen, i.R.d. Strafzumessung mildernd berücksichtigt werden.


 

Dolus cumulativu

Bei dem dolus cumulativus nimmt der Täter zumindest billigend in Kauf, mit einer Handlung mehrere voneinander unabhängige Tatbestände zu verwirklichen.

Vorliegend handelt der Täter bzgl. aller Tatbestandsverwirklichungen vorsätzlich (Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 294 a).


 

Dolus antecedens

Bei dem dolus antecedens besteht der Vorsatz nur vor dem Beginn der Tat (Vorbereitungsstadium oder früher). Er umfasst jedoch nicht den Zeitraum der Tatbestandsverwirklichung selbst und begründet in diesem Sinne keine betreffende Strafbarkeit (Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 311).


 

Dolus subsequens

Bei dem dolus subsequens besteht der Vorsatz erst nach der Tatausführung. Er umfasst jedoch nicht den Zeitraum der Tatbestandsverwirklichung selbst und begründet in diesem Sinne keine betreffende Strafbarkeit (Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 289).


 

Dolus generalis

Nach der Lehre vom dolus generalis wurden früher Fälle gelöst, in denen sich der Täter insofern über den Kausalverlauf irrt, als dass bei einem einheitlichen zweiaktigen Handlungsgeschehen der tatbestandliche Erfolg nicht bereits wie gewollt durch die erste Handlung verwirklicht wird, sondern ungewollt durch die zweite Handlung. Der Täter handelt hier nach der Lehre des dolus generalis bzgl. des eingetretenen tatbestandlichen Erfolgs vorsätzlich, da bei einem einheitlichen Handlungsgeschehen ein Generalvorsatz besteht. Es ist also nicht erforderlich, zwischen den beiden Handlungsakten zu differenzieren, vielmehr erstreckt sich der Vorsatz der ersten Handlung automatisch auf die zweite Handlung (Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 13 I 3 d).

Die Lehre vom dolus generalis ist jedoch abzulehnen, da sie eine unzulässige Fiktion zu Lasten des Täters darstellt. Schließlich handelt der Täter zu dem Zeitpunkt der Tatbegehung gem. § 8 StGB in der Gestalt des zweiten Handlungsakts nicht vorsätzlich (Verstoß gegen das in Art. 103 II GG und § 1 StGB geregelte Analogieverbot). Der Vorsatz muss sich nach dem Simultanitätsprinzip / Koinzidenzprinzip i.S.d. § 8 StGB i.V.m. § 16 I StGB jedoch stets auf die konkrete Tathandlung beziehen und nicht auf das allgemeine Tatgeschehen an sich.

Für mehr Informationen zum dolus generalis und dem Jauchegrubenfall sehen Sie sich gerne unseren entsprechenden Blogbeitrag an.


Hendrik Heinze
Mitgeschäftsführender Gesellschafter der Assessor Akademie Kraatz und Heinze GbR

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